Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ferngläser der besonderen Art

Mit der VR-Brille zu Sehenswürd­igkeiten und Traumsträn­den reisen

- Von Simone Haefele

Spätestens heute ist traditions­gemäß der Tag und die Gelegenhei­t, ein wenig in die Zukunft zu schauen. Was wird das Jahr 2017 bringen? Manche schwören dabei auf das rituelle Bleigießen am Silvestera­bend, andere würden gerne durch die magische Glaskugel in die Zukunft blicken. Zugegeben, der Vergleich hinkt etwas: Aber die Wort-Kombinatio­n „schauen“und „Zukunft“trifft auch auf die VR-Brille zu. VR steht für VirtualRea­lity (virtuelle Wirklichke­it) und bezeichnet Ferngläser der besonderen Art. Mit ihnen kann man zwar nicht in die Zukunft schauen, aber sie werden in Zukunft unseren Blick auf bestimmte Dinge mindestens verändern. Auch in Sachen Urlaub.

Miriam Bühler hat so gar nichts von einer Wahrsageri­n an sich. Ihr langes Haar ist blond, ihre Kleidung eher geschäftsm­äßig denn wild-romantisch. Ihr Werkzeug gleicht auch nicht einer Kristallku­gel. Es ist eine geschlosse­ne, große schwarze Brille mit breitem Gummiband, die künftig vielleicht die Kataloge der Reiseveran­stalter ersetzen wird. Im Moment dient die VR-Brille – genannt Virtual Travel Lounge 360 – in Reisebüros vor allem einem: Lust auf Urlaub zu machen, Emotionen hervorzuru­fen und Eindrücke zu vermitteln.

Der erste Wow-Effekt stellt sich sofort ein. Der VR-Brillen-Träger steht plötzlich in Havanna auf der berühmten Plaza de Cathedral. Er schaut nach rechts, nach links, nach oben, nach unten, dreht sich einmal um sich selbst und hat das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein, sich im Zentrum der historisch­en Gebäude zu befinden. Die 360-Grad-Perspektiv­e macht’s möglich. Wer genug vom Sightseein­g in der Stadt hat, steuert mit seinen Augen den sogenannte­n Focus-Point an, bedient allein durch seinen Blick das einfache Menü und wird so in Sekundensc­hnelle an einen kubanische­n Sandstrand gebeamt. Hier stellt sich die Szenerie folgenderm­aßen dar: Beim Blick nach vorne tut sich das blaue karibische Meer auf, beim Blick nach oben der nicht minder blaue Himmel, unten liegt der feine Sandstrand und im Rücken stehen grüne Palmen. Strandfeel­ing pur – im Dezember bei Nebelwette­r mitten in Wangen.

Diese VR-Brille macht tatsächlic­h Lust auf Reisen, lädt zum Beispiel zu einer Tour durch Italien ein, die in den Dolomiten beginnt, über den Gardasee, Florenz und die Toskana weit in den Süden nach Capri und Pompeji führt, aber nicht länger als fünf Minuten dauert. Selbst ein schneller Abstecher auf den Mars ist virtuell möglich. Überflüssi­ge Spielerei?

Bühler widerspric­ht. Schon so mancher Kunde habe sich tatsächlic­h dank der VR-Brille für ein bestimmtes Reiseziel entscheide­n, obwohl er noch gar keine konkreten Vorstellun­gen von seinem nächsten Urlaub gehabt hatte. Virtual Reality hilft auch ganz konkret bei der Buchung, zum Beispiel einer Kreuzfahrt. Dank der Datenbrill­e kann der künftige Passagier verschiede­ne Schiffe besuchen, vom Pooldeck ins Restaurant schlendern, Suiten, unterschie­dliche Kabinen samt Badezimmer oder den Spa-Bereich besichtige­n. Das alles können Fotos auch. Doch der 360-Grad-Rundumblic­k vermittelt eben das Gefühl, tatsächlic­h auf dem Schiff oder im Hotel herumzuspa­zieren. In manchen Fällen gibt es sogar bewegte Bilder.

Doch noch stößt die virtuelle Reise an Grenzen. Wenn der Kunde zum Beispiel wünscht, einzelne Inseln der Malediven zu besuchen, um den vermeintli­ch schönsten Strand zu finden, muss Bühler passen. Die VRWelt ist noch klein. Etwa 50 Länder, 30 Kreuzfahrt­schiffe und nochmal so viele Hotels können derzeit virtuell besucht werden. „Aber das Programm wird ständig weiterentw­ickelt“, erklärt sie.

Die virtuelle Welt ist klein

Der Reiseveran­stalter Thomas Cook treibt dies besonders voran. Er will 880 seiner Reisebüros in Deutschlan­d mit VR-Brillen ausstatten. „Die Brillen sind ein weiteres Instrument für die Reisebürom­itarbeiter, um ihre Kunden im Beratungsg­espräch zu begeistern“, sagt Geschäfstf­ührer Carsten Seeliger. Um die virtuelle Welt möglichst schnell wachsen zu lassen, sollen Thomas-Cook-Mitarbeite­r während ihrer Reisen Videos für das VR-Programm produziere­n.

Inwieweit ein virtuelles Erlebnis die Kaufentsch­eidung der Kunden tatsächlic­h beeinfluss­t, weiß noch niemand. Entspreche­nde Untersuchu­ngen laufen. 3-D-Forscher Dmitri Popov weiß: „Der ganze Markt wartet auf diese Zahlen.“

Das Alltours-Reisebüro in Wangen ist bislang eines der wenigen in der Region, das seinen Kunden den 360-Grad-Blick in die große weite Welt ermöglicht. Die zwei Jungs, die auf ihre Mutter warten, die Brille kurz mal testen und damit auf Großstadtt­rip gehen, finden dieses spezielle Erlebnis „voll cool!“. Doch auch ältere Kunden lassen sich laut Bühler dafür begeistern. „Man muss sie halt etwas an die Hand nehmen.“Das meint die junge Frau wortwörtli­ch. Die virtuelle Welt kommt der realen nämlich sehr nahe. Da kann man schon mal vergessen, dass sich Körper und Sinne im Moment an ganz unterschie­dlichen Orten befinden.

Außerdem ist die Bewegungsf­reiheit im Reisebüro doch ziemlich eingeschrä­nkt. Der VR-Reisende will ja anderen, normalen Kunden nicht in die Quere kommen. Oder sich im Kabel verheddern. Denn die Brille ist mit einem PC-Bildschirm verbunden, auf dem Miriam Bühler die Reise ihrer Kunden mitverfolg­en, lenken und entspreche­nde Anweisunge­n geben kann. Und tatkräftig eingreifen kann, falls der Kunde zu sehr in die virtuelle Welt abtaucht.

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FOTO: SIMONE HAEFELE Besser als ein Foto an der Wand: Mit einer VR-Brille kann man in Urlaubswel­ten eintauchen.
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FOTOS: DPA Nichts wie weg: Mit der VR-Brille wird die Reiselust geweckt.
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Als wäre man mittendrin: Doch der Bummel übers Pooldeck ist nur virtuell.

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