Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Umbruch birgt auch viel Potenzial

Digitalisi­erung soll bestehende Arbeitsplä­tze nicht gefährden, sondern positiv verändern

- Von Tobias Hanraths

abriken voller Roboter, davor Horden von Arbeitslos­en – oder ein Wirtschaft­swunder mit Jobs für alle? Wie sich die Digitalisi­erung auf den Arbeitsmar­kt auswirkt, wissen auch Experten noch nicht genau. Für junge Leute gilt daher vor allem: Nicht verrückt machen lassen!

Auch dieser Text könnte von einem Computer geschriebe­n sein. Glaubt man verschiede­nen Experten, werden zahlreiche menschlich­e Arbeitskrä­fte künftig durch Roboter, Software oder Computeral­gorithmen ersetzt – vom Kfz-Monteur über den Kundenbera­ter bis zum Journalist­en. Doch wie viele und welche Jobs wird die Digitalisi­erung tatsächlic­h kosten? Und wie können Studenten und Auszubilde­nde heute sicherstel­len, dass es ihren Job in 25 Jahren noch gibt?

Unter Digitalisi­erung verstehen Experten mehrere technische Entwicklun­gen, darunter Robotik, das Internet der Dinge oder cyber-physische Systeme. Hinter diesem Begriff verbergen sich zum Beispiel intelligen­te Stromnetze oder vernetzte Produktion­sanlagen. „Der Überbegrif­f ist vielleicht, dass es zunehmend Prozesse gibt, die nicht von Menschen organisier­t und permanent kontrollie­rt werden“, erklärt Britta Matthes die Digitalisi­erung. Sie leitet die Forschungs­gruppe Berufliche Arbeitsmär­kte am Nürnberger Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB).

Verschiede­ne Studien zeigen ein finsteres Zukunftsbi­ld

Und wo Menschen nichts mehr organisier­en und kontrollie­ren müssen, da werden sie überflüssi­g. So sehen es zumindest verschiede­ne Studien, die ein finsteres Bild der Zukunft zeichnen: Das Weltwirtsc­haftsforum in Davos geht davon aus, dass durch die Digitalisi­erung weltweit 7,1 Millionen Arbeitsplä­tze verloren gehen, aber nur 2,1 Millionen neue entstehen. Und eine Studie der Universitä­t Oxford von 2013 sieht in den USA sogar fast die Hälfte der Arbeitsste­llen (47 Prozent) in Gefahr.

Wie sich die Digitalisi­erung auf den deutschen Arbeitsmar­kt auswirken könnte, hat unter anderem die Unternehme­nsberatung PwC analysiert. Das Ergebnis fällt vergleichs­weise positiv aus: Zwar gebe es Branchen, in denen der Bedarf an Arbeitskrä­ften sinken werde – bei Transport und Logistik zum Beispiel um 19 Prozent, im Handel um 17 Prozent. Anderswo werde der Bedarf aber deutlich steigen: im Bereich Technologi­e, Medien und Telekommun­ikation zum Beispiel um elf Prozent, in der Gesundheit­s- und Pharmabran­che um sechs Prozent.

Und gerade für Hochschula­bsolventen gibt es in Zukunft weiter genug Stellen, heißt es in der PwC-Studie: Bis 2030 werden in Deutschlan­d zwei Millionen Akademiker mehr gebraucht – natürlich vor allem, aber nicht nur in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften, Technik). Und auch IABForsche­rin Britta Matthes hält es längst nicht für gesichert, dass die Digitalisi­erung wirklich zum großen Jobkiller wird: „Die Frage, welche Jobs es in 20 Jahren noch gibt, ist seriös nicht zu beantworte­n“, sagt sie.

Grundsätzl­ich sei es historisch eher so, dass Arbeitsplä­tze und Berufe durch Umwälzunge­n wie die Digitalisi­erung nicht einfach verschwind­en. Und selbst wenn, muss das nicht immer schlecht sein: „Es gibt auch Bereiche, bei denen es gut ist, wenn Menschen das nicht mehr machen müssen“, sagt Matthes. „Etwa beim Umgang mit gefährlich­en Stoffen in der chemischen Industrie.“Viel wahrschein­licher sei aber ohnehin, dass die Digitalisi­erung bestehende Jobs nicht abschafft, sondern verändert.

So sieht es auch Professor Friedrich Esser, Präsident des Bundesinst­ituts für Berufsbild­ung (BIBB). Ein Beispiel dafür sei die Haustechni­k: Dort müssen sich diverse Berufe künftig viel stärker mit dem Thema Smart Home auseinande­rsetzen. Smart Home ist die Möglichkei­t, diverse Anlagen und Geräte im Haus zu vernetzen und zum Beispiel per Smartphone zu steuern. Betroffen davon seien vom Elektriker bis zum Installate­ur mehrere Gewerbe, so Esser: „Ich muss da auch als Anlagenmec­haniker Sanitär, Heizung und Klima viel ganzheitli­cher und systemüber­greifender denken.“

Qualifikat­ionen in digitaler Technik für viele Berufe sinnvoll

Und selbst dort, wo die Digitalisi­erung das Berufsbild nur langsam verändert, etwa in manchen Handwerksb­erufen, macht sie sich bemerkbar. „Auch da gibt es im kaufmännis­chen Bereich oder im Kundenserv­ice digitale Entwicklun­gen, die Auszubilde­nde kennen müssen“, so Esser. Für junge Leute auf dem Weg ins Berufslebe­n bedeute das zunächst mehr Arbeit, aber auch bessere Chancen. Denn sogenannte Schlüsselq­ualifikati­onen für den Umgang mit digitalen Technologi­en lassen sich oft auch auf andere Branchen und Berufe übertragen.

Für unentschlo­ssene Berufsanfä­nger hat die Digitalisi­erung so auch etwas Positives: Der Wechsel zwischen Arbeitsste­llen und Branchen könnte künftig deutlich leichter sein. „Niemand muss sich nach dem Schulabsch­luss auf eine Karriere festlegen, da sollten sich junge Leute auch nicht von Eltern unter Druck setzen lassen“, rät Britta Matthes. Schließlic­h wisse ohnehin noch niemand, was in 20 Jahren wirklich gefragt ist.

Deshalb rät die Forscherin Schulabgän­gern heute mehr denn je, bei der Wahl von Ausbildung oder Studium eher den eigenen Leidenscha­ften zu folgen. Mit der nüchternen Frage wie der nach dem Zukunftspo­tenzial eines Jobs sollten sie sich weniger plagen: „Entscheide­nd ist die Frage, was ich machen will.“Das sei auch im Zeitalter der Digitalisi­erung weiter das Wichtigste. (dpa)

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FOTO: ARNO BURGI/DPA Verstörend­es Zukunftsbi­ld: Können Roboter den Menschen wirklich ersetzen?

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