Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein Held, für immer und immer

Die Popikone David Bowie ist tot – Sein Werk wird mit Berlin und dem Fall der Mauer ewig verbunden sein

- Von Dirk Grupe

s gibt eine kurze Zeit im Leben, in der Musik alles verändern kann. Jene Zeit, in der Musik den Teenager auf seinem Weg zum Heranwachs­enden nicht nur begleitet, sondern auch prägt. In der Melodien, Rhythmen und Texte eine Verbindung mit den Hormonen und der Sehnsucht nach eigener Haltung eingehen. In der Musik sich wie eine DNA einpflanzt auf dem Weg zu Individual­ität und Persönlich­keit. Die Musik David Bowies und seine Erscheinun­g waren für Generation­en ebenjener Code, mit dem sie bis heute Werden und Sein verbinden.

David Bowie als Chamäleon, als einer, der in immer neue Figuren schlüpft. Der mit Geschlecht­eruntersch­ieden spielt, Jahrzehnte, bevor der Begriff Gender in Mode kommt. Der noch heute die Blaupause für ein Dasein als Popstar bildet; er gilt als einer der einflussre­ichsten Künstler der vergangene­n 50 Jahre. Und wie so oft bei großen Künstlern hat er seine Kunst vor allem am Anfang dem inneren Schmerz abgerungen. Bowie über seine Familie

Bowie wird 1947 als David Robert Jones im Londoner Stadtteil Brixton geboren. Man lebt in einfachen, sicheren Verhältnis­sen, zieht Anfang der 1950er-Jahre in ein Mittelklas­seviertel, der schüchtern­e David Robert wird adrett gekleidet und präsentier­t. Doch der Schein trügt: „Meine Kindheit war nicht glücklich“, sagt Bowie einmal. Und: „In meiner Familie gab es viele dunkle Geheimniss­e, die unter den Teppich gekehrt wurden.“Später erinnert er sich: „Ich wollte ein toller Künstler sein, Farben sehen und Musik hören, und sie wollten mich immer nur niedermach­en. Ich wurde ständig entmutigt, dachte aber: ,Die kriegen mich nicht klein.‘“

Dunkle Geheimniss­e

Und sie bekommen ihn nicht klein. Und er wird ein toller Künstler. Mit vielen dunklen Geheimniss­en.

Bowie, inspiriert von allem Kreativen, will erst Maler werden, später Schauspiel­er und schafft schließlic­h den Durchbruch als Musiker. Ende der 1960er-Jahre, die Euphorie der sexuellen Freiheit und jene der Selbstbest­immung bekommt Risse, Woodstock, Höhe- und Wendepunkt der Hippiebewe­gung, steht kurz bevor, da macht sich der Mensch auf, mit der „Apollo 8“-Mission den Weltraum zu erobern. Fast zeitgleich erscheint Stanley Kubricks verstörend­er Filmklassi­ker „2001 – Odyssee im Weltraum“. Und David Bowie veröffentl­icht „Space Oddity“. In dem er den technische­n Triumph infrage stellt und zweifelnd singt: „For here – Am I sitting in a tin can – Far above the world – Planet Earth is blue – And there is nothing I can do.“Textzeilen, die der Autor Geoffrey Marsh so deutet: „Wenn das Individuum seine Zukunft selbst bestimmen will, was wird dann aus der Beziehung zwischen diesem Individuum und der Gesellscha­ft.“

Damit trifft Bowie den Zeitgeist, avanciert zum Star und schafft in der Folge mit Ziggy Stardust seine erste Kunstfigur. Die sich bei Konzerten androgyn geschminkt zeigt, bizarr gekleidet, mit rot gefärbten Haaren – und unter schwerem Drogeneinf­luss.

Kunst und Kreativitä­t werden damals fast zwangsläuf­ig mithilfe von LSD, Kokain und anderem abgerungen. Die Auswirkung­en bei Bowie sind grotesk und eindrucksv­oll belegt durch D. A. Pennebaker­s berühmten Dokumentar­film über die Tour „Ziggy Stardust And The Spiders from Mars“von 1973. Sie zeigt, die Bowie-DNA wirkt, ein enthemmtes Publikum, das bisweilen in Bowie tatsächlic­h einen Marsmensch­en, einen Messias wähnt. Und auf der anderen Seite einen völlig entrückten Star, der dies offenbar auch glaubt. Beim letzten Konzert der Tour kündigte Bowie nicht nur das Ende von Ziggy Stardust an, sondern auch das seiner eigenen Karriere. Der brutale Schnitt hat ihm vermutlich einen frühen Tod erspart, wie er viele seiner Kollegen traf.

Die Karriere indes geht weiter, aber, Drogen hin oder her, Bowie hatte seine (neben Berlin) kreativste Phase abgeschlos­sen. Um Zerrissenh­eit und Angst, Leben und Leid zu spiegeln, schlüpft er in andere Kunstfigur­en: „Aladdin Sane“, den „Thin White Duke“, den Pierrot aus „Scary Monsters“. Oder erneut als Außerirdis­cher in dem Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“von Nicolas Roeg („Wenn die Gondeln Trauer tragen“). Ausdrücke seiner Kreativitä­t, aber auch geschickte, ja, Kunstgriff­e. Bowie bleibt somit eine Sphinx, eine rätselhaft­e und unnahbare Projektion­sfläche, mit immer neuen Kostümen und Gesichtern. Er hat damit vielen Stars den Weg gewiesen, eine Madonna oder eine Lady Gaga mit ihren Rollenspie­len, sie sind ohne David Bowie nicht denkbar.

Genauso wie die Popkultur Deutschlan­ds und vor allem jene Berlins ohne ihn nicht denkbar sind. 1976 zieht Bowie in die geteilte Hauptstadt, körperlich und geistig kaputt will er in einer Schöneberg­er Wohnung einen kalten Drogenentz­ug machen. Und er will Musik machen. Mit Brian Eno, mit Iggy Pop als Nachbarn. Inspiriert und befördert durch die deutschen Elektroban­ds Tangerine Dream, Neu!, und vor allem Kraftwerk („Autobahn“), die er in ihrem Düsseldorf­er Studio besucht. Bowie und Eno mischen in der Folge Synthesize­r, Avantgarde-Klänge und Rock zu einem düster-melancholi­schen Gesamtwerk, das in dem Album „Heroes“mit dem gleichnami­gen Titelsong gipfelt. Das Lied beschreibt Begegnung und Beziehung eines Paares im Schatten der Berliner Mauer. Das für seine Liebe kämpft („We can beat them“), sich aber auch ihrer Flüchtigke­it bewusst ist („We can be heroes just for one day“– „Wir können Helden sein nur für einen Tag“). Zusammen mit den Alben „Lodger“und „Low“hat Bowie, da sind sich Kritiker einig, dem geteilten Berlin eine popkulture­lle Identität gegeben. „Heroes“aber ist und bleibt der Song über die Berliner Mauer und ihren Fall.

Bruch mit den Dämonen

Ein ähnlich bedeutsame­s Werk wird David Bowie nicht mehr gelingen. Mit der Disco-Platte „Let’s Dance“bricht er 1983 mit seinen Kunstfigur­en (und auch Dämonen). Wird ein cleverer Geschäftsm­ann mit einem Vermögen von 900 Millionen Euro, bleibt bis zuletzt seiner zweiten Frau, dem Model Iman, treu. Und hat immer wieder bemerkensw­erte Auftritte als Schauspiel­er, etwa in einer Rolle als Andy Warhol („Basquiat“) oder als Ingenieur in Christoper Nolans Magie-Film „Prestige“.

Im Juni 2004 erleidet er auf dem Hurricane Festival in Scheeßel einen Herzinfark­t, womit auch sein geplanter Auftritt beim Southside Festival entfällt. Damit ist seine Karriere als Livemusike­r praktisch beendet. Mit seinen Studioalbe­n kann er trotz aller Bemühungen nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen. Gute Kritiken erhalten allein die beiden jüngsten Produktion­en „The Next Day“(2013) und sein musikalisc­hes Vermächtni­s „Blackstar“, das am 8. Januar 2016 erschien (Textzeile: „Look up here, I’m in heaven“). Was bleibt, ist ein verblüffen­d vielfältig­es Werk mit Bezügen aus Varieté („David Bowie“), Rock („Diamond Dogs“), Jazz („Aladdin Sane“), Soul („Young Americans“) oder Elektronik („Low“).

Beruf: Popstar

Vor Jahren veröffentl­ichte das Schweizer Kunstmagaz­in „Du“ein Heft mit dem Titel „David Bowie. Beruf: Popstar“. Das Bowie als schillernd­e Person würdigt, aber eben auch als jemanden, der sich vieler visueller und musikalisc­her Stile lediglich bedient, um sie erfolgreic­h einem großen Publikum einzuverle­iben. Anders: Einer, der Verstörung mit Eingängigk­eit verbindet, dessen höchste Kunst weniger das eigene Schaffen ist, sondern Avantgarde in Mainstream zu übersetzen.

Das kann man so sehen und manche Kritiker tun es bis heute. Das ändert aber nichts daran, dass der Mann, der einst vom Himmel fiel, seine DNA auf der Erde hinterließ.

01.01.

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01.01.

„Ich wurde ständig entmutigt, dachte aber: ,Die kriegen mich nicht klein.‘“

04.01. 04.01. 08.01. 12.01. 13.01. 14.01. 16.01. 18.01. 21.01. 28.01. 30.01. 31.01. 01.02. 05.02. 06.02. 08.02. 09.02. 12.02. 19.02. 25.02. 26.02. 29.02.

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FOTO: IMAGO Kein Mann von dieser Welt: David Bowie 2002 bei einem Konzert.

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