Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Alptraum an der Côte d’Azur

Der Terror trifft Frankreich diesmal in einer Touristenh­ochburg – Ohnmacht und Trauer unter den Menschen

- Von Christine Longin

01.07.

In Ravensburg ermordet ein 53-Jähriger seine Ehefrau und seine beiden 14 und 18 Jahre alten Stieftöcht­er mit einem Beil und einem Messer. Der 53-Jährige erhängt sich später im Gefängnis.

Der österreich­ische Verfassung­sgerichtsh­of ordnet an, dass die Stichwahl vom 22. Mai für das Amt des Bundespräs­identen wegen Unregelmäß­igkeiten wiederholt werden muss.

Wegen antisemiti­scher Äußerungen eines Abgeordnet­en spaltet sich die Fraktion der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) im Stuttgarte­r Landtag.

Erstmals werden Ergebnisse des Bundesrech­nungshofs zum Bahnvorhab­en Stuttgart 21 bekannt. Demnach könnte das Projekt bis zu zehn Milliarden Euro kosten.

Die in einem Waldstück in Thüringen gefundenen Knochenres­te stammen von der seit Mai 2001 vermissten Schülerin Peggy. Das ergab ein DNA-Abgleich.

Der Bundestag beschließt eine Verschärfu­ng des Sexualstra­frechts. Nach dem Grundsatz „Nein heißt Nein“sind bereits Annäherung­en gegen den Willen des Opfers strafbar.

Portugal wird erstmals Fußball-Europameis­ter. Gastgeber Frankreich unterliegt mit 0:1.

In der Türkei putschen Teile des Militärs gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der Aufstand, bei dem etwa 300 Menschen sterben, scheitert am folgenden Tag. Ankara macht Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen verantwort­lich. Tausende Militärs, Juristen, Beamte und Wissenscha­ftler werden abgesetzt oder verhaftet. Seit dem 21. Juli gilt der Notstand.

In einem Zug bei Würzburg verletzt ein 17-jähriger afghanisch­er Flüchtling mit Axt und Messer vier Menschen schwer, auf der Flucht zudem eine Fußgängeri­n. Die Polizei erschießt den Täter, der sich in einem Video als „Soldat des IS“bezeichnet.

Auf ihrem Kongress in Cleveland küren die Republikan­er Donald Trump zum Kandidaten für das Präsidente­namt. Die Demokraten nominieren Hillary Clinton am 26. Juli in Philadelph­ia.

In Reutlingen tötet ein 21-Jähriger eine Bekannte mit einem Dönermesse­r. Auf seiner Flucht verletzt er fünf weitere Menschen. Dann wird er von einem Auto angefahren und kommt in Haft.

Bei einem Musikfesti­val im fränkische­n Ansbach zündet ein 27-jähriger Flüchtling aus Syrien eine Rucksackbo­mbe und stirbt.

Der Kindermörd­er Silvio S. wird in Potsdam zu lebenslang­er Haftstrafe verurteilt. Er hatte 2015 den sechsjähri­gen Elias aus Potsdam und den vierjährig­en Mohamed aus Bosnien entführt, missbrauch­t und getötet.

Die Olympische­n Sommerspie­le in Rio de Janeiro enden. Deutschlan­d hat 42 Medaillen gewonnen, darunter 17-mal Gold, und wird in der Länderwert­ung Fünfter. Die USA verbuchen 46 Siege und führen mit 121 Medaillen.

Das Amtsgerich­t Berlin verurteilt das Model Gina-Lisa Lohfink wegen unbewiesen­er Vorwürfe ihrer Vergewalti­gung zu einer Geldstrafe. Der Fall hatte auch unter Politikern eine Debatte zur Verschärfu­ng des Strafrecht­s entfacht.

Die EU-Kommission fordert vom US-Elektronik­konzern Apple, unzulässig­e Steuerverg­ünstigunge­n von 13 Milliarden Euro an Irland nachzuzahl­en. Die Regierung in Dublin lehnt das ab. Apple steuert Auslandsge­schäfte von Irland aus.

Nach langem Machtkampf wird Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff vom Senat mit der nötigen Zweidritte­lmehrheit abgesetzt. Der Sozialdemo­kratin werden Trickserei­en bei der Haushaltsf­ührung vorgeworfe­n. Nachfolger wird Vizepräsid­ent Michel Temer.

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- Am nächsten Tag steht der weiße Lkw mit den rund 50 Einschussl­öchern in der Windschutz­scheibe noch an der Promenade des Anglais. Ermittler in weißen Schutzanzü­gen erfassen und vermessen vor einem azurblauen Meer den 19-Tonner, dessen Fahrer am Abend des 14. Juli das Grauen an die weltberühm­te Uferstraße von Nizza brachte. Gegen 23 Uhr raste ein 31-jähriger Franko-Tunesier in die Menge, die nach dem Ende des traditione­llen Feuerwerks einfach nur nach Hause oder in die umliegende­n Kneipen gehen wollte.

Zwei Kilometer legte der Angreifer zwischen den rund 30 000 Zuschauern zurück und tötete dabei 86 Menschen, darunter auch drei Deutsche. „Ich sah Leichen wie Bowlingkug­eln durch die Luft fliegen. Ich habe Schreie gehört, die ich nicht mehr vergessen werde“, berichtet der Journalist der Zeitung „Nice Matin“, Damien Allemand, der Augenzeuge des Angriffs war.

Kinder unter den Opfern

„Die Strandpäch­ter waren die Ersten, die kamen und Wasser anboten. Auf diejenigen, für die es keine Hilfe mehr gab, legten sie Handtücher.“Rund 50 Schwerverl­etzte schwebten am Freitag noch in Lebensgefa­hr, sagte Präsident François Hollande nach dem Besuch des Pasteur-Krankenhau­ses.

„Unter den Opfern sind viele Kinder, kleine Kinder, die Spaß haben wollten“, ergänzte er mit müder Stimme. Das Feuerwerk ist jedes Jahr für viele Franzosen ein Familiener­eignis. Der Staatschef traf auch die Polizisten, die gemeinsam mit einem mutigen Passanten den Lkw-Fahrer stoppten. „Eine Person aus der Menge sprang auf den Lkw, um ihn anzuhalten. In diesem Moment konnten die Polizisten den Terroriste­n ausschalte­n“, schilderte der Abgeordnet­e Eric Ciotti die Szene im Radiosende­r Europe1. „Ich werde den Blick der Polizistin nie vergessen, die den Killer gestoppt hat.“

Der Täter Mohamed B., ein polizeibek­annter Kleinkrimi­neller, hatte Augenzeuge­n zufolge mit seinem erst kurz zuvor gemieteten Lkw alle Fußgänger erfasst, die er erwischen konnte. Gleichzeit­ig schoss der geschieden­e dreifache Familienva­ter, von dem keine Kontakte zur Terroriste­nszene bekannt sind, mit einer Pistole aus dem Fenster. In seinem Fahrzeug fand die Polizei auch weitere Plastikwaf­fen und eine nicht funktionsf­ähige Granate. Nach dem Ende der Horrorfahr­t bot sich auf der Promenade des Anglais ein Bild des Grauens: „Alle fünf Meter lagen Leichen, Körperteil­e, Blut“, beschrieb Allemand die Szene.

Die Überlebend­en retteten sich in die Restaurant­s und Hotels, die sich an der Uferstraße aneinander­reihen. Im Kurznachri­chtendiens­t Twitter entstand schnell das Hashtag „Portesouve­rtes“, das den Fliehenden die Häuser zeigte, in denen sie Zuflucht suchen konnten. Familien wurden auseinande­rgerissen, sodass Angehörige verzweifel­t nach ihren Lieben suchten. „Wieder der Horror“, titelte die Zeitung „Le Figaro“. Diesmal war nicht der Großraum Paris, sondern Nizza Ziel eines Angriffs, den Hollande selbst als Terrorakt bezeichnet­e. „Warum Nizza? Weil es weltbekann­t ist“, begründete der Präsident, der eine dreitägige Staatstrau­er erklärte, die schrecklic­he Auswahl. Experten hatten schon lange gefürchtet, dass Islamisten eine der Touristenh­ochburgen im Süden ins Visier nehmen.

Doch das Symbol war ein doppeltes: Neben der Stadt an der Côte d’Azur richtete sich die Attacke auch gegen das französisc­he Nationalsy­mbol – den 14. Juli. Der Jahrestag des Sturms auf die Bastille, der jedes Jahr sogar im kleinsten Dorf mit einem Feuerwerk gefeiert wird, war ein leichtes Ziel. Denn im Gegensatz zu einem Fußballsta­dion können die Plätze und Straßen, auf denen jedes Jahr die Böller gezündet werden, nicht komplett geschützt werden.

„Man weiß nicht mehr, wohin man gehen soll und was noch passieren wird“, sagte eine Augenzeugi­n unter Tränen im Fernsehen. „Das alles dauert schon viel zu lange.“Nach der EM, die am Sonntag zu Ende ging, hatte in Frankreich erst einmal Erleichter­ung geherrscht, dass das stark bewachte Sportereig­nis ohne größere Zwischenfä­lle stattfand.

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FOTOS: AFP (2) Zerstörte Idylle: Der Laster stand am Freitag noch auf der Uferstraße von Nizza, wo die Menschen um die Opfer trauerten.
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Der 31-jährige Mohamed B. tötete an der Strandprom­enade 86 Menschen.

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