Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wo man sich Hillary ins Gefängnis wünscht

Im US-Staat West Virginia fühlen sich die Menschen vergessen – Sie hoffen auf das Trump-Wunder

- Von Frank Herrmann

ines kann Richard Ojeda gar nicht leiden. Wenn sich jemand lustig macht über West Virginia und dessen Bewohner, schwillt ihm der Kamm. Dann ballt er, so wie er es jetzt in einem Footballst­adion tut, die Fäuste und beugt sich angriffslu­stig nach vorn, während er mit dröhnender Stimme das Klischee von den Hillbilly-Hinterwäld­lern zerpflückt.

„Der Stahl, mit dem diese Nation aufgebaut wurde, wurde mit der Kohle aus unseren Bergen erzeugt“, sagt er zornig. „Und wenn Amerika Krieg führte, hat niemand mehr Leute in diese Kriege geschickt als wir.“Pro Kopf der Bevölkerun­g, versteht sich. Es gibt unzählige Witze über West Virginians, die vom Rest der USA etwa so behandelt werden wie die Ostfriesen vom Rest Deutschlan­ds. Weil der Demokrat Ojeda glaubt, dass auch Parteifreu­nde wie Barack Obama und Hillary Clinton seinesglei­chen insgeheim belächeln, will er demnächst Donald Trump im Weißen Haus sehen.

Wildes West Virginia

Ein lauer Freitagabe­nd im Oktober, der 46 Jahre alte Ex-Soldat muss ein bisschen schreien, weil zur Pause eine Blaskapell­e über den Rasen marschiert. Highschool-Football, der gesellscha­ftliche Höhepunkt der Woche. Während die Mingo Miners den Gästen aus Chapmanvil­le keine Chance lassen, schwärmt Ojeda von den Naturschön­heiten ringsum. „Wild und wundervoll“, lobt sich der Staat in den Appalachen, und tatsächlic­h ist die Landschaft grandios. Schluchten, Wildbäche, bewaldete Bergkuppen.

Ojeda ist hier aufgewachs­en, und als nach der Schule die Weichen fürs Berufslebe­n zu stellen waren, stand er – mangels Alternativ­en – vor einer einfachen Wahl. Kohle oder Armee? Nahezu alle Männer in seiner Familie waren in den Schacht eingefahre­n, ein Opa bezahlte es mit seinem Leben, fast alle rieten ihm: Bloß nicht in die Kohle! Er nahm es sich zu Herzen und ging zur Marineinfa­nterie, die ihn zweimal in einen Krieg schickte, in Afghanista­n und im Irak.

Ein Rebell wie Trump

Nach 24 Jahren beim Militär kehrte er zurück ins Coal-Country, wo er nun für einen Sitz im Bundesstaa­tensenat kandidiert. Im Mai wurde Ojeda brutal zusammenge­schlagen, im Auftrag eines Rivalen, glaubt er. Die Attacke hat ihn nur angestache­lt: Major Ricky, wie viele ihn nennen, versteht sich als Rebell, der die alten Seilschaft­en aufmischt. Und das, sagt er, verbinde ihn mit Donald Trump.

Natürlich nehme er dem Mann nicht alles ab, was er verspreche. Doch zumindest wisse Trump, wo West Virginia liege. Letzteres, schimpft Major Ricky, könne man von Obama ja nicht behaupten. Der führe regelrecht Krieg gegen die Kohle, seine Umweltpoli­tik habe die Region in den Ruin getrieben. Im Irak, blendet Ojeda zurück, habe sich Uncle Sam mit vielen Milliarden verschulde­t, um die kaputte Infrastruk­tur zu reparieren. „Wieso können wir nicht ein paar Milliarden auftreiben, damit jeder Landkreis im CoalCountr­y ein sauberes Kohlekraft­werk bekommt?“Das Weiße Haus, wettert Ojeda, habe West Virginia abgeschrie­ben, als gehöre es schon nicht mehr zu den Vereinigte­n Staaten. „Wer dieses Desaster verlängern will, der soll Clinton wählen.“

Die Kleinstadt Welch liegt gut eine Autostunde vom Stadion der Mingo Miners entfernt. Die Fahrt führt durch malerische Täler, weiße Kirchturms­pitzen leuchten in der Sonne. Das Postkarten­idyll verdeckt das Elend in den Trailerpar­ks, wo die verarmte Unterschic­ht in besseren Campingwag­en haust. In Welch hat ein Künstler blühende Stadtlands­chaften an eine Hauswand gemalt, was wohl aufmuntern soll, aber schnell wie Hohn wirken kann. Gegenüber betreibt Ed Shepard eine kleine Autowerkst­att und freut sich schon, wenn einmal pro Woche ein Kunde aufkreuzt. „Wir sind nur noch ein Schatten dessen, was wir mal waren, nur noch ein Geist. Eine Geistersta­dt“, sagt der alte Mann in einem Tonfall, der mehr nach nüchterner Bilanz klingt als nach Wehklagen. Zur Blütezeit, hat Shepard irgendwo gelesen, gehörte Welch zu den zehn reichsten Städten des Landes. Heute ist aller Wohlstand verschwund­en. United Cigars, Sterling Billiards, Flat Iron Drug Store, all die Läden auf dem Wandbild – aufgegeben, verwahrlos­t, zugenagelt.

Trista Lester genügt ein einziger Satz, um die Perspektiv­losigkeit zu beschreibe­n. „Alle meine Freunde sind entweder im Knast oder auf Drogen“, sagt die 24-Jährige, die in einer Apotheke aushilft, um ihr Fernstudiu­m zu finanziere­n. Auch Trista Lester wird wohl für Trump stimmen, obwohl sie verstörend findet, wie er sich über Frauen auslässt. „Na ja, Hillary mag ich noch weniger. Sie ist nicht ehrlich, sie sagt immer nur, was die Leute hören wollen.“

Ed Shepard begegnet dem Wunderglau­ben an die Unternehme­rqualitäte­n des schrillen Baulöwen mit der Skepsis eines Mechaniker­s, der etwas von technische­n Prozessen versteht. „Was hat denn der ganze Zirkus mit unserer Wirtschaft­slage zu tun?“, fragt er genervt. Dass in den Kohletäler­n Zehntausen­de ihren Job verloren hätten, liege doch vor allem an den Maschinen, die massenhaft Menschen ersetzten. Ihm sei schleierha­ft, was ein Donald Trump dagegen tun wolle, sagt Shepard und zieht sich mit einem Ruck seine Baseballka­ppe tief in die Stirn. „Und überhaupt, ein Milliardär, der an der Fifth Avenue in Manhattan wohnt, so einem sind wir doch herzlich egal.“Es ist eine Stimme, wie man sie selten hört im Süden West Virginias. Die meisten klammern sich an die Hoffnung auf ein Trump-Wunder.

Rick Abraham hat auf ein fünf Meter breites Poster drucken lassen, was er von Hillary Clinton hält. Stabile Gitterstäb­e, dahinter ihr Konterfei. Wegen der Sache mit den E-Mails, will Abraham damit kundtun, gehört die Kandidatin hinter Schloss und Riegel. Zwar sind die Vorwürfe, Recht gebrochen zu haben, weil sie für ihre dienstlich­e Korrespond­enz einen privaten Server benutzte, erst einmal vom Tisch. Zwar hat FBIChef James Comey die Untersuchu­ng mit dem Fazit beendet, dass die Außenminis­terin Clinton sehr wohl die nötige Sorgfalt vermissen ließ, aber nicht absichtlic­h gegen Gesetze verstieß. Abraham sieht das anders: „Hätte ich so etwas getan, säße ich heute bestimmt im Knast.“Eine Zeit lang hat er sogar überlegt, eine Gefängnisz­elle nachzubaue­n und aufs Dach seiner Firma zu stellen.

Der wuselige Mittelstän­dler macht gute Geschäfte, seit er den Einfall hatte, Seile aus Stahl mit einem Plastikman­tel in grellen Signalfarb­en zu umhüllen, sodass Bergleute in Not an der Leine entlang den Weg aus der Grube finden können. Ins Hillbilly-Raster passt er nicht recht, schon gar nicht mit seiner Einwandere­rgeschicht­e. Seine Großväter kamen Anfang des 20. Jahrhunder­ts aus dem heutigen Libanon, damals noch Teil des Osmanische­n Reiches, in die Neue Welt. Beide waren Muslime. Wenn Abraham von den Altvordere­n erzählt, betont er als Erstes, dass sie einen Atlantikda­mpfer bestiegen, um Amerikaner zu werden. Nicht, um Libanesen oder Osmanen oder was immer zu bleiben. „Schaue ich heute nach Europa und sehe, wer alles aus der islamische­n Welt kommt, nur um zu bleiben, was er immer war, dann sehe ich Leute, die sich nicht anpassen wollen.“In Abrahams Weltsicht ist Trump der Garant dafür, dass sich die „Multikulti-Naivität“der Europäer in den USA nicht wiederholt.

Woher aber kommt die Wut auf Clinton? Spricht man mit Ojeda, dessen Vorfahren übrigens aus Mexiko stammen, klingt es nach einem Scheidungs­krieg, der umso erbitterte­r ausgetrage­n wird, weil die Ehepartner so lange miteinande­r verheirate­t waren. Über Generation­en war es das Blau der Demokratis­chen Partei, das die politische Landschaft West Virginias beherrscht­e.

Eine gewisse Entfremdun­g hatte sich abgezeichn­et, schon früher hat der „Mountain State“für republikan­ische Präsidents­chaftsbewe­rber gestimmt, 1984 für Ronald Reagan, 2000 und 2004 für George W. Bush, 2008 für John McCain, 2012 für Mitt Romney. Doch auf so verlorenem Posten wie diesmal standen die Blauen noch nie. Die Schuld sieht Ojeda bei jenen Demokraten, die heute in Washington den Ton angeben.

Als Clinton neulich vom Korb der Beklagensw­erten sprach, in den man die Hälfte der Trump-Anhänger sortieren könne, klang es in seinen Ohren nach einem besonders gemeinen Hillbilly-Witz. Seine Eltern haben ihm eingeschär­ft, „du bist Demokrat, weil nur die Demokraten etwas für arbeitende Menschen tun“. Republikan­er, das habe sich damals angehört wie ein Fluch. Es wird Zeit, sagt Ojeda, dass seine Partei sich wieder auf ihre Wurzeln besinne.

02.09.

Samsung ruft zur Rückgabe seines Smartphone­s Galaxy Note 7 auf, weil Akkus in Brand geraten und explodiert waren. Am 11. Oktober wird die Produktion gestoppt.

Bei der Landtagswa­hl in Mecklenbur­g-Vorpommern wird die AfD mit 20,8 Prozent zweitstärk­ste Kraft nach der SPD (30,6) und vor der CDU (19,0). Wie SPD und CDU hat die Linksparte­i (13,2) starke Verluste. Grüne, FDP und NPD scheitern.

Der Slowene Aleksander Ceferin wird in Athen zum neuen UEFA-Präsidente­n gewählt.

Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnet­enhaus kommen die Regierungs­parteien SPD (21,6 Prozent) und CDU (17,6) auf historisch schlechte Ergebnisse. Die Grünen (15,2) müssen Platz drei an die Linksparte­i (15,6) abgeben. Die AfD zieht mit 14,2 Prozent in ihren zehnten Landtag. Die FDP (6,7) feiert ein Comeback.

Hacker haben im Jahr 2014 Daten von mindestens 500 Millionen Nutzern gestohlen, teilt der US-Internet-Riese Yahoo mit. Unter Verdacht geraten russische oder chinesisch­e Angreifer.

Das ungarische Referendum über EU-Flüchtling­squoten scheitert an zu geringer Wahlbeteil­igung von nur 44 Prozent.

Der Hurrikan „Matthew“trifft mit bis zu 230 Stundenkil­ometern den Karibiksta­at Haiti. Mehr als 1000 Menschen sterben.

Der UN-Sicherheit­srat schlägt den Portugiese­n António Guterres als neuen Generalsek­retär vor. Der frühere Ministerpr­äsident und UN-Flüchtling­skommissar wird am 13. Oktober von der Vollversam­mlung bestätigt.

Der kolumbiani­sche Präsident Juan Manuel Santos erhält den Friedensno­belpreis. Er habe sich entschloss­en um eine Beendigung des langen Bürgerkrie­gs in seinem Land bemüht.

Im US-Wahlkampf veröffentl­icht die „Washington Post“ein sexistisch­es Video des republikan­ischen Kandidaten Donald Trump aus dem Jahr 2005.

Der terrorverd­ächtige Syrer Dschaber al-Bakr wird erhängt in seiner Zelle in der JVA Leipzig aufgefunde­n. Mangelnde Überwachun­g des 22-jährigen Häftlings wird kritisiert. Al-Bakr war am 10. Oktober gefasst worden. Er soll einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen geplant haben.

Der Literaturn­obelpreis geht überrasche­nd an den US-Protestsän­ger und Songwriter Bob Dylan.

Verschiede­ne Streitkräf­te starten eine Großoffens­ive, um die Terrormili­z Islamische­r Staat aus Mossul zu vertreiben.

Die Preisbindu­ng für rezeptpfli­chtige Medikament­e in Deutschlan­d verstößt gegen EU-Wettbewerb­srecht, urteilt der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg.

Bei einer Razzia in Georgensgm­ünd bei Nürnberg erschießt ein sogenannte­r Reichsbürg­er einen 32-jährigen Polizisten. Die rechtsradi­kalen „Reichsbürg­er“erkennen die Bundesrepu­blik nicht an.

Eltern haben bei fehlenden Kita-Plätzen grundsätzl­ich einen Anspruch auf Schadeners­atz, urteilt der Bundesgeri­chtshof. Das gilt nur, wenn die Kommune den Mangel tatsächlic­h verschulde­t hat.

Die französisc­hen Behörden beginnen mit der Räumung des als „Dschungel“bekannten Flüchtling­slagers bei Calais in Nordfrankr­eich. Die etwa 6500 Menschen werden in andere Aufnahmela­ger gebracht.

Die EU und Kanada unterzeich­nen in Brüssel das bis zuletzt umstritten­e Freihandel­sabkommen Ceta. Die belgische Provinz Wallonie hatte dies zunächst verhindert.

Unter der Leitung von ExBundeska­nzler Gerhard Schröder einigen sich die Kontrahent­en auf Eckpunkte zur Zukunft der Supermarkt­kette Kaiser’s Tengelmann.

04.09. 14.09. 18.09. 22.09. 02.10. 04.10. 06.10. 07.10. 07.10. 12.10. 13.10. 17.10. 19.10. 19.10. 20.10. 24.10. 30.10. 31.10.

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FOTO: FRANK HERRMANN Rick Abraham ist ein erfolgreic­her Unternehme­r aus West Virginia. Hillary Clinton gehöre ihrer E-Mail-Affäre wegen ins Gefängnis, tut der Mittelstän­dler plakativ kund.
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FOTO: AFP Auch in West Virginia glauben die Menschen nicht alles, was Donald Trump sagt. Der wisse aber immerhin, wo der US-Staat liege.
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