Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Eine Stadt trägt Trauer und verstummt
Für die Berliner ist ein Alptraum wahr geworden, der sie in ihrem Selbstverständnis erschüttert
01.11.
Der 38-jährige Miroslav Klose beendet seine Karriere als Fußballprofi und beginnt bei der deutschen Nationalelf eine Ausbildung zum Trainer. Von 2001 bis 2014 absolvierte der Ausnahmestürmer 137 Länderspiele und schoss 71 Tore.
Die Brauerei Härle aus Leutkirch darf für ihr Bier nicht mit dem Begriff „bekömmlich“werben. Das entscheidet das OLG Stuttgart. Der Fall geht nun in die nächste Instanz.
Die CSU gibt sich auf ihrem Parteitag in München ein neues Grundsatzprogramm mit dem Titel „Die Ordnung“. Als „konservative Zukunftspartei“plädiert sie für eine deutsche „Leitkultur“. Die CDUVorsitzende Angela Merkel war erstmals nicht als Gastrednerin erschienen.
Der Republikaner Donald Trump wird zum 45. Präsidenten der USA gewählt. Der Unternehmer hat 306 der 538 Wahlmänner hinter sich. Die demokratische Gegenkandidatin Hillary Clinton bringt es nur auf 232.
Bei Wildvögeln am Bodensee wird die Geflügelpest H5N8 festgestellt. Bis Mitte November werden 230 tote Vögel entdeckt. Das Land ordnet eine landesweite Stallpflicht an.
Die Union akzeptiert den SPD-Vorschlag, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu nominieren. Damit ist seine Wahl am 12. Februar zum Nachfolger von Joachim Gauck so gut wie sicher.
Da werden vier Millionen Euro im Nachlass des toten Abts des Klosters Neresheim gefunden – und gut drei Jahre später ist immer noch rätselhaft, wo das Geld herkommt. Drei Kläger können ihre vermeintlichen Ansprüche vor Gericht nicht beweisen.
Die Deutsche Bahn beschließt, ihre Stuttgart-21-Partner zu verklagen. Dazu gehören vor allem das Land Baden-Württemberg, aber auch die Landeshauptstadt, der Flughafen Stuttgart und der Verband Region Stuttgart. Hintergrund ist der Streit über Mehrkosten, für die die Partner nicht aufkommen wollen.
Die Opec drosselt erstmals seit acht Jahren ihre Ölförderung, um den Preis des Rohstoffs hochzutreiben.
Im dritten Anlauf wählen die Österreicher den Pro-Europäer Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten.
Auf dem Parteitag in Essen wird Bundeskanzlerin Angela Merkel mit 89,5 Prozent der Stimmen als CDU-Chefin wiedergewählt.
Die Tennis-Weltranglistenerste Angelique Kerber, Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen sowie die Beachvolleyball-Goldmedaillengewinnerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst werden in BadenBaden als „Sportler des Jahres“2016 geehrt.
Ein türkischer Polizist erschießt in Ankara bei der Eröffnung einer Ausstellung den russischen Botschafter Andrej Karlow.
Der UN-Sicherheitsrat verlangt von Israel, seinen Siedlungsbau in den Palästinensergebieten sofort und vollständig zu stoppen. Die Resolution kommt zustande, weil die USA unerwartet auf ihr Vetorecht verzichten. Israel reagiert empört.
Der britische Popsänger George Michael stirbt im Alter von 53 Jahren. Michael wurde in den 1980er-Jahren mit dem Pop-Duo Wham! und besonders dem Lied „Last Christmas“bekannt.
Mehr als sechs Jahre nach dem Wasserwerfereinsatz gegen Stuttgart-21-Demonstranten haben zwei Opfer eine Entschädigung des Landes Baden-Württemberg akzeptiert. Bei der Räumung des Stuttgarter Schlossgartens für das Bahnprojekt Stuttgart 21 waren viele Menschen verletzt worden.
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- Eine eigentümliche Stille liegt an diesem Morgen über der Stadt. Der Mercedes-Stern über dem Europa-Center, die oberen Stockwerke des Waldorf Astoria am Breitscheidplatz sind von tief hängenden Wolken verdeckt. Die Menschen schweigen. Ein Polizist steht mit schwarzer Maschinenpistole vor dem großen Areal, genau dort, wo am Abend zuvor fröhliche Menschen bei Glühwein, Punsch und Bratwürsten den Weihnachtsmarkt besuchten, bevor der riesige, graue Lastwagen in den Markt raste, mindestens zwölf Tote und viele Schwerverletzte hinterlassen hat. Darunter manche, die noch mit dem Tod kämpfen. Auf dem Boden liegt ein Herz. Hilflos die Aufschrift: „Ihr lebt in uns weiter“und als Unterschrift „Berliner“.
Für viele Berliner war sie bis zum Montagabend abstrakt, aber präsent: die Gefahr, dass auch in ihrer Stadt etwas passieren kann, so wie in Paris, Brüssel, Istanbul. „Doch wenn ein solcher Anschlag dann da ist, ist es doch etwas anderes“, hört man überall.
In ganz Deutschland und auch in vielen anderen Ländern bangten Mütter und Väter um ihre in Berlin studierenden Söhne und Töchter, oder Geschwister um ihre Verwandten, die einen Weihnachtsausflug nach Berlin machten. „Geht’s Euch gut?“, mindestens eine dieser besorgten SMS erhielt wohl jeder Berliner. Das Netz um den Breitscheidplatz war schnell zusammengebrochen. Vor dem Hashtag „prayforberlin“haben sich viele gefürchtet, jetzt ist er da. „Wir dürfen uns davon nicht kleinkriegen lassen“, diese typische und oft eher großmäulige Berliner Haltung ist erschüttert.
Gegen die Angst
„Millionen Menschen fragen sich: Wie können wir damit leben, dass beim unbeschwerten Bummel über den Weihnachtsmarkt, einem Ort, an dem wir das Leben feiern, ein Mörder so vielen den Tod bringt“, fragt um elf Uhr Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt. Ganz in Schwarz tritt sie vor die Presse, ihr Regierungssprecher Steffen Seibert steht mit sehr blassem Gesicht an ihrer Seite. „Eine einfache Antwort habe ich auch nicht“, sagt Merkel. „Aber wir wollen nicht damit leben, dass uns diese Angst lähmt.“
Doch das Bedrohungsgefühl hat zugenommen. „Ich gehe auf jeden Fall nicht mehr auf den Weihnachtsmarkt“, sagen viele. Selbst Generalbundesanwalt Peter Frank versichert, er sei aktuell nicht in der Stimmung, auf einen Weihnachtsmarkt zu gehen.
Weihnachtsmärkte geschlossen
Berlin hat 60 Märkte, kleine und große, laute, lärmende mit Kinderkarussells und Jahrmarkt, wie es im Osten der Stadt Tradition ist, und stille, leise wie der teure Markt am Gendarmenmarkt.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) bat die Betreiber all dieser Märkte, aus Pietätsgründen einen Tag lang geschlossen zu halten und später wieder zu öffnen, aber es etwas ruhiger angehen zu lassen. Die Polizeipräsenz werde erhöht. „Wir bitten die Berliner, sich den Mut nicht nehmen zu lassen und einen kühlen Kopf zu bewahren“, sagt Geisel. Die Gefährdung sei nach wie vor sehr hoch, warnt Polizeipräsident Klaus Kandt. Weihnachtsmärkte seien immer ein potenzielles Ziel. Viele Märkte dauern in Berlin bis zum Jahresende. Jetzt stehen Polizisten mit Maschinenpistolen und Schutzwesten vor den Eingängen. Steinbarrieren sollen verhindern, dass noch einmal ein Lastwagen ungehindert einfahren kann. Und auch das HerthaSpiel wird jetzt besonders geschützt. Die Pressekonferenz des Generalbundesanwalts am Mittag trägt nicht zur Beruhigung bei. Noch tappt man im Dunkeln. Klar ist nur, dass elf Besucher des Weihnachtsmarktes sowie der Beifahrer des Lastwagens tot sind und weitere 18 noch in Lebensgefahr schweben. Dass andere schon das Krankenhaus wieder verlassen konnten.
Angriff auf Merkel
Angela Merkel weiß zu dieser Stunde, dass Marcus Pretzell, AfD-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, ihr bereits öffentlich die Schuld zuweist, dass es so weit kommen konnte. „Es sind Merkels Tote“, hat er getwittert. Merkel muss auch zur Kenntnis nehmen, dass in München CSU-Chef Horst Seehofer schon eine Neujustierung der gesamten Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik gefordert hat.
Am frühen Nachmittag geht die Kanzlerin zusammen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) zum Breitscheidplatz, um weiße Rosen niederzulegen. Dort, wo handgeschrieben auf einem Pappschild steht: „Das Herz Berlins getroffen“. Sie tragen sich in das Kondolenzbuch in der Gedächtniskirche ein. Am Morgen standen schon lange Menschenschlangen vor der Kirche, um sich in das Buch einzutragen.
Hier steht jetzt die Ordensschwester Juvenalis. Die Franziskanerin ist den ganzen Tag mit einem Seelsorger-Team im Einsatz, an sie wenden sich die Menschen mit ihren Nöten, gleich ob Touristen oder Berliner. „Heute Morgen kam ein junges Mädchen, deren Freund auf dem Weihnachtsmarkt war und jetzt im Krankenhaus ist und die noch nicht genau weiß, wie es ihm geht“, berichtet Schwester Juvenalis. Sie leidet mit.
„Manchmal kann man nur noch den anderen in den Arm nehmen“, sagt die Franziskanerin. Und manche ANZEIGE kämen auch vorbei, denen selbst nichts passiert ist, sondern die einfach betroffen seien und weinten über das, was in der Welt los ist. „Manchmal kann man auch nur mitweinen“, sagt Schwester Juvenalis.
Die kleinen Holz-Weihnachtsbuden mit den rot-weiß gestreiften Dächern sind geschlossen. Verbarrikadiert mit Polizeiabsperrungen. Keine Händler sind zu sehen, keine Touristen, nur wenige Schaulustige. Ein einzelner Aussteller klagt mit Tränen in den Augen vor den Kameras: „Unsere Freiheit und unsere Toleranz gehen den Bach runter.“Kurz bevor Angela Merkel ihren Blumenstrauß ins Meer von Kerzen und Blumen vor der Gedächtniskirche niederlegt, steht der Politaktivist Jürgen Elsässer auf dem Tauentzien gegenüber der Kirche und hält auf einem Plakat sein „Compact Magazin“in die Höhe mit der Forderung „Merkel verhaften“. Er kämpfe gegen die Islamisierung des Landes und solche, die einwandern, um dann Leute umzubringen, sagt Elsässer. Als ein Journalist auf Englisch diskutieren will, bescheidet ihm Elsässer: „I am proud to speak German.“
Wortgefechte entstehen, aber die meisten Menschen wenden sich ganz einfach ab. Sie wollen ihre Ruhe. Sie suchen die innere Einkehr. In der Gedächtniskirche zum Beispiel, wo sich am Abend viele Repräsentanten Berlins zum ökumenischen Trauergottesdienst für die Opfer versammeln.
Das Brandenburger Tor, das nach den Anschlägen von Paris in der Trikolore leuchtete, um Solidarität zu zeigen, nach dem Massaker von Orlando in Regenbogenfarben und nach dem Anschlag in Istanbul in den Farben der türkischen Flagge, es leuchtete am Abend Schwarz-RotGold. Vor diesem Moment haben sich viele Berliner gefürchtet. Der Alptraum ist wahr geworden.