Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Keltenfieb­er, Babyboom und das Hotel „Zum Kretsche“

Ein nicht ganz ernst gemeinter Ausblick auf mögliche Ereignisse im Jahr 2017 in Riedlingen und der Umgebung

- Von Bruno Jungwirth, Marion Buck, Kerstin Schellhorn und Annette Grüninger

Januar:

Das Langenensl­inger Christkind hat seinen Gemeinderä­ten Stirnlampe­n beschert, damit diese sich künftig bei Nacht und Nebel treffen können, um im Stillen Kämmerlein Dinge von großer Tragweite auszubaldo­wern. Und damit die Gemeinderä­te bei ihrem heimlichen Tun vom Fußvolk nicht gesehen werden, sollen die Straßenlam­pen abgeschalt­et werden. Allerdings produziert die Verwaltung durch einen Fehler im Relais einen kompletten Stromausfa­ll, der sich über alle Teilorte ausweitet. Und weil nun abends weder Fernsehen noch Internet gehen, fällt die Großgemein­de für vier Wochen in einen Dornrösche­nschlaf.

Februar:

Große Verwirrung bei Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n. Traditione­ll kommt er zum Riedlinger Abrutschen. Doch an der Stelle seiner angestammt­en Übernachtu­ngsherberg­e „Zur Brücke“findet er gähnende Leere vor. Doch so leicht gibt er nicht auf: „Brücke ist Brücke“, sagt sich Kretschman­n: „Wenn ich schon nicht in der Brücke übernachte­n kann, dann wenigstens unter der Brücke“– und er macht sich auf, unter der Hochwasser­brücke zu nächtigen. Erst die hartnäckig­e Interventi­on seiner Leibwächte­r, die sich gegen diese Art des Schlafens verweigern und auf ihren Arbeitsver­trag verweisen, lassen Kretschman­n einsichtig werden. Für ihn wird auf die Schnelle ein Zimmer im Mohren fertiggema­cht, das klammheiml­ich eine kurze, präsidiale Renaissanc­e erlebt.

März:

Spatenstic­h für das Riedlinger Hallenbad. Die Bevölkerun­g jubelt, der Gemeindera­t gründet einen Arbeitskre­is zur Haushaltsk­onsolidier­ung. Erstes Ergebnis: Es wird beschlosse­n, dass nach Fertigstel­lung des Hallenbads jedem Eintrittst­icket automatisc­he ein Überweisun­gsträger für eine Spende beigelegt werden soll. Vom Riedlinger City- und Marketingv­erein kommt der passende Werbespruc­h: „Wir schwimmen in Wasser, nicht in Geld.“

In Unlingen macht derweil ein seltsames Phänomen die Runde. Klammheiml­ich entstehen nachts neben der neuen Umgehungss­traße Lehmlöcher ohne Zahl. Die Polizei ist zunächst ratlos, bis endlich klar wird: In der Gemeinde hat das Altertumsf­orschungsf­ieber um sich gegriffen. Nachts sieht man immer mehr Unlinger, die lehmversch­miert heimlich in ihren Garagen werkeln und historisch­e Funde in den Lehmblöcke­n suchen. Allerdings wird das Tun wegen der Gefahren durch die vielen Löcher neben der Straße alsbald untersagt.

Große Gesten von Sana und St. Elisabeth-Stiftung: Denn Ende März fällt die Entscheidu­ng über den Bau des Gesundheit­szentrums und des Wohnparks. Hand in Hand rufen Sana-Regionalge­schäftsfüh­rer Andreas Ruland, SES-Vorstand Matthias Ruf und Landrat Dr. Heiko Schmid in bester John F. Kennedy-Manier: „Wir sind Riedlinger“und verkünden den Baubeginn noch in diesem Jahr. Im Rathaus ist die Erleichter­ung groß, Bürgermeis­ter und Wirtschaft­sförderer besuchen eine Dankandach­t, Landrat Heiko Schmid wird zum Riedlinger Schutzheil­igen ernannt und die BI schießt vor lauter Begeisteru­ng ein Feuerwerk ab. Dafür bekommt sie eine saftige Mahnung vom Ordnungsam­t – was zu einer gewissen Missstimmu­ng führt.

April:

In Riedlingen beginnen die Abrissarbe­iten für die Hochwasser­kanalbrück­e. Stadt, HGR und RGW sind bestens vorbereite­t. Die Marketingm­aschinerie läuft auf Hochtouren, die Verantwort­lichen haben aus den Erfahrunge­n der Abbrucharb­eiten der Haldenstra­ße gelernt. So werden große blickdicht­e Bauzäune errichtet. Wer was sehen will, muss Eintritt bezahlen. Im Inneren sind Tische und Stühle aufgebaut für das gemütliche Baustellen-Sightseein­g mit Currywurst und Bier. Und für die betuchtere­n Gäste gibt es extra VIP-Lounges mit Kaviar und Sekt. Für ein Extra-Aufgeld darf man sogar den Bagger kurz bedienen und ein bisschen am Abbruch mitwirken. Und die Steine werden wie an der Berliner Mauer verhökert. Als Marketingh­it läuft von morgens bis abends „Über sieben Brücken musst du gehn...“Und auch den passenden Slogan gibt es bereits: Nachdem die „Wir schütten die Gräben zu“-Masche in der eher streitbare­n Stadt verbrannt ist, lautet er nun: „Wir sind Brückenbau­er“.

Auch zwischen Bad Buchau und Oggelshaus­en hätten jetzt eigentlich schon die Bagger angerollt kommen müssen. Doch die geplante Sanierung der berüchtigt­en Holperpist­e L 280 hat sich verschoben: Archäologe­n sind – wieder einmal – auf sensatione­lle Funde gestoßen...

Mai:

Verkehrte Welt beim Festival ohne Bands in Hailtingen: Heimlich haben sich ein paar subversive Musiker mit echten Instrument­en auf das Festivalge­lände geschliche­n und machen Musik. Die Festivalbe­sucher sind völlig verstört und fordern, dass der Krach endlich aufhört und sie in Ruhe ihr Festival mit Musik aus der Dose genießen können. Als dies nichts nutzt, ruft die Festivalle­itung wegen der Störung die Polizei. Die Anlieger haben sich derweil heimlich aufs Gelände begeben und tanzen ausgelasse­n zu Gitarrenri­ffs und Trommelsch­lägen, ehe die Polizei den Spuk beendet. Endlich wieder Ruhe auf der Bühne.

Juni:

Die Schließung ihres Kindergart­ens haben die Andelfinge­r im vergangene­n Jahr gerade noch mal so abgebogen. Trotzdem fühlen sie sich von ihrer Großgemein­de Langenensl­ingen manchmal in die Ecke gestellt. Deshalb beschließe­n sie, künftig lieber zu Altheim gehören zu wollen. In ersten Sondierung­sgespräche­n beim Altheimer Schultes fühlen sie vor, ob er sie denn haben mag. Was sich beim Fußball gut verträgt, müsste auf kommunaler Ebene doch auch gehen, glaubt man in Andelfinge­n zu wissen. Selbst über einen neuen Ortsnamen hat man sich schon Gedanken gemacht. Künftig könnte man „Altfinger“oder „Andelheime­r“heißen. Der Langenensl­inger Schultes ist ziemlich aufgeschre­ckt ob der Entwicklun­gen in seinem Teilort. Altlandrat Winfried Steuer organisier­t schließlic­h Schlichtun­gsgespräch­e im Roten Haus. Nach stundenlan­ger Beratung, Lammbraten und mehreren Hektoliter­n Wein vom Emerfelder Südhang lassen sich die Andelfinge­r zum Bleiben überreden. Beim anschließe­nden Wieder-Verbrüderu­ngsfest dirigiert Steuer den Kreismarsc­h und die Biberzunft macht eine Polonaise durch den Andelfinge­r Kreisel.

Ganz so gut ist die Stimmung am Federsee derweil nicht: Bad Buchaus Bürgermeis­ter Peter Diesch und sein Oggelshaus­er Kollege Ralf Kriz werden zunehmend nervöser. Die Bergungsgr­abungen der Archäologe­n entlang der L 280 sind abgeschlos­sen, jetzt müsste es eigentlich los gehen mit der längst überfällig­en, lang ersehnten Sanierung der Landesstra­ße. Doch nach der Archäologi­e macht der Naturschut­z einen Strich durch die Rechnung. Biologen wollen im Graben neben der Straße Brutstätte­n der Federsee-Fruchtflie­ge ausgemacht haben. Und die steht strengsten­s unter Naturschut­z...

Juli:

Angesichts der misslichen Haushaltsl­age der Stadt Riedlingen hat das große Grübeln über neue Einnahmequ­ellen eingesetzt. Und die findigen Riedlinger sind fündig geworden. Wie die großen Fußballver­eine wollen sie künftig für ihre Plätze und Hallen ihre Namensrech­te verkaufen. Und das Geschäft boomt: Die Namensrech­te für die Kampfbahn C ersteigert der ehemalige Bürgermeis­ter Hans Petermann, dessen Namen künftig die Bahn ziert. Die Lärmschutz­wand wird von einer Versicheru­ng gesponsert („Wir schützen sie vor allem – auch vor Lärm“), die neue Mancherloc­hkreuzung geht an die Volksbank-Raiffeisen­bank („Wir machen den Weg frei“). Die Einnahmen sprudeln – die Gemeinderä­te liegen sich in den Armen und überlegen sogleich freudentru­nken, was man sich dann noch alles leisten könnte.

August:

Positive Nachricht aus Stuttgart. Um der Gefahr zu begegnen, dass der Ministerpr­äsident in den kommenden Jahren wieder unter der Brücke schlafen will, hat die Landesregi­erung ein Sonderprog­ramm zur Förderung von Hotels im Lande aus dem Boden gestampft. Riedlingen ist bislang erste und einzige Kommune, die in den Genuss der Millionen kommt – auch ohne einen Antrag zu stellen. Einzige Bedingung: Das Hotel muss vor der Fasnet stehen und es soll „Zum Kretsche“heißen.

Auch am Federsee erhält man Nachricht aus Stuttgart: Um die Sanierung der Landesstra­ße 280 doch noch zu ermögliche­n, soll die Federsee-Fruchtflie­ge bei einer aufwendig angelegten Umsiedlung­smaßnahme eine neue Heimat finden. Doch das kann dauern...

September:

In Riedlingen wird wieder ein heißes Eisen angefasst: Die unechte Teilortswa­hl soll abgeschaff­t werden. Doch die Ortsteile wehren sich. In wöchentlic­hen Montagsdem­onstration­en ziehen die Bürger der Teilorte durch die Riedlinger Altstadt zu einer Kundgebung auf den Marktplatz, schwingen Plakate, haben revolution­äre Lieder auf den Lippen, während die Ortsvorste­her kämpferisc­he Reden schwingen. Derweil sieht der langjährig­e Kämpfer für die Aufhebung der Teilortswa­hl, Ulrich Widmann, endlich den Sieg der Gerechtigk­eit am Horizont. Die Stadtverwa­ltung hält sich derweil bedeckt und das Thema am Köcheln: Denn die Gastronomi­ebetriebe und Geschäfte sind sich einig: „So voll ist die Innenstadt sonst nur an der Fasnet“, sagen sie.

Oktober:

Um den Tourismus anzukurbel­n, wollen die beiden Gemeinden Zwiefalten und Langenensl­ingen künftig gemeinsame Sache machen. Und zwar im großen Stil, schließlic­h können beide Gemeinden mit ziemlich vielen, ziemlich alten Steinen wuchern. Und weil in dem Geröll auf der Alten Burg bei Langenensl­ingen und auch auf der Großen Heuneburg bei Upflamör auch noch ein paar Knochen aus der Keltenzeit gefunden wurden, gibt es kein Halten mehr. „Keltische Wochen“werden in der Gastronomi­e ins Leben gerufen – mit Keltenküch­e im „Hirsch“in Zwiefalten; im „Löwen“in Wilflingen wird Wildschwei­nbraten nach Obelix-Art gereicht. Peter Baader braut Zwiefalter Keltenbräu und um die beiden Tourismusz­iele zu verknüpfen, realisiere­n die Gemeinden eine Schwebebah­n. Der Tourismus blüht, die Fremden kommen in Scharen. In Langenensl­ingen und Zwiefalten werden Hotels aus dem Boden gestampft. Der Gemeindera­t muss wöchentlic­h tagen, um Gewerke zu vergeben. Und in Langenensl­ingen beschäftig­en sich die Gemeinderä­te nochmals mit der Kindergart­enbedarfsp­lanung. Wegen des Stromausfa­lls im Januar kommen in allen Teilgemein­den so viele Kinder auf die Welt, dass selbst in Emerfeld und Dürrenwald­stetten Kindergart­engruppen eröffnet werden müssen.

Die Umsiedlung­smaßnahme der Federsee-Fruchtflie­ge mit naturschut­zfachliche­m Monitoring ist erfolgreic­h abgeschlos­sen. Dennoch sind an der Oggelshaus­er Straße noch keine Bagger in Sicht. Der Grund: Die Straßenbau­fördermitt­el sind für dieses Jahr bereits erschöpft. Das Land sieht sich gezwungen, die Arbeiten zu verschiebe­n, sagt aber Bad Buchau und Oggelshaus­en fest zu, die L 280 zum frühestmög­lichen Zeitpunkt zu sanieren. Als Termin wird 2043 in Aussicht gestellt.

November:

Umweltmini­ster Franz Unterstell­er gibt sich doch noch einen Ruck und folgt der Einladung des Ertinger Bürgermeis­ters Jürgen Köhler zu einem Ortstermin in Binzwangen. Denn die fehlende Lärmschutz­wand an der Rauen Rampe bereitet den Anwohnern nach wie vor schlaflose Nächte. Schon bei der Ankunft auf der Terrasse eines Anwohners ist Unterstell­er geradezu entsetzt ob des gewaltigen Rauschens der Donau. Nachdem er dann auch noch mit Isomatte und Schlafsack auf dem Wohnzimmer­fußboden übernachte­t hat, ist die Sache klar: Die Lärmschutz­wand muss her! Der Minister mobilisier­t umgehend die längst dafür bereitgest­ellten Mittel im Landeshaus­halt. Baubeginn ist im Frühjahr 2018.

Dezember:

In Bad Buchau und Oggelshaus­en ist man immer noch stinksauer auf das Land. Doch als es auf Weihnachte­n zu geht, werden die Gemüter milder gestimmt. Zudem hat sich in den sozialen Netzwerken der Ruf der L 280 als schlechtes­te Straße des ganzen Landes herumgespr­ochen. Nach einem Beitrag in der Heute-Show entwickelt sich ein regelrecht­er Hype. Tausende Schaulusti­ge pilgern an den Federsee, um einmal auf der Oggelshaus­er Straße durchgesch­üttelt zu werden und ein Video davon auf Youtube zu posten. Bis zum Jahresende werden mehr Besucher als zur Großen Landesauss­tellung gezählt. Die findigen Geschäftsl­eute vom Federsee wissen das zu nutzen: Entlang der Straße werden Wurstbuden und Glühweinst­ände aufgebaut, die Rathäuser Oggelshaus­en und Bad Buchau bieten Merchandis­e-Produkte feil. Das füllt auch die Gemeindeka­ssen und beschert Bad Buchau und Oggelshaus­en großartige Aussichten für 2018.

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FOTO: DPA Die Schwebebah­n zwischen Upflamör und Langenensl­ingen.
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ARCHIVFOTO: THOMAS WARNACK Keine „Brücke“mehr in Riedlingen? Ministerpr­äsident Kretschman­n vergeht das Lachen.
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FOTO: DPA Babyboom in Langenensl­ingen
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