Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Keltenfieber, Babyboom und das Hotel „Zum Kretsche“
Ein nicht ganz ernst gemeinter Ausblick auf mögliche Ereignisse im Jahr 2017 in Riedlingen und der Umgebung
Januar:
Das Langenenslinger Christkind hat seinen Gemeinderäten Stirnlampen beschert, damit diese sich künftig bei Nacht und Nebel treffen können, um im Stillen Kämmerlein Dinge von großer Tragweite auszubaldowern. Und damit die Gemeinderäte bei ihrem heimlichen Tun vom Fußvolk nicht gesehen werden, sollen die Straßenlampen abgeschaltet werden. Allerdings produziert die Verwaltung durch einen Fehler im Relais einen kompletten Stromausfall, der sich über alle Teilorte ausweitet. Und weil nun abends weder Fernsehen noch Internet gehen, fällt die Großgemeinde für vier Wochen in einen Dornröschenschlaf.
Februar:
Große Verwirrung bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Traditionell kommt er zum Riedlinger Abrutschen. Doch an der Stelle seiner angestammten Übernachtungsherberge „Zur Brücke“findet er gähnende Leere vor. Doch so leicht gibt er nicht auf: „Brücke ist Brücke“, sagt sich Kretschmann: „Wenn ich schon nicht in der Brücke übernachten kann, dann wenigstens unter der Brücke“– und er macht sich auf, unter der Hochwasserbrücke zu nächtigen. Erst die hartnäckige Intervention seiner Leibwächter, die sich gegen diese Art des Schlafens verweigern und auf ihren Arbeitsvertrag verweisen, lassen Kretschmann einsichtig werden. Für ihn wird auf die Schnelle ein Zimmer im Mohren fertiggemacht, das klammheimlich eine kurze, präsidiale Renaissance erlebt.
März:
Spatenstich für das Riedlinger Hallenbad. Die Bevölkerung jubelt, der Gemeinderat gründet einen Arbeitskreis zur Haushaltskonsolidierung. Erstes Ergebnis: Es wird beschlossen, dass nach Fertigstellung des Hallenbads jedem Eintrittsticket automatische ein Überweisungsträger für eine Spende beigelegt werden soll. Vom Riedlinger City- und Marketingverein kommt der passende Werbespruch: „Wir schwimmen in Wasser, nicht in Geld.“
In Unlingen macht derweil ein seltsames Phänomen die Runde. Klammheimlich entstehen nachts neben der neuen Umgehungsstraße Lehmlöcher ohne Zahl. Die Polizei ist zunächst ratlos, bis endlich klar wird: In der Gemeinde hat das Altertumsforschungsfieber um sich gegriffen. Nachts sieht man immer mehr Unlinger, die lehmverschmiert heimlich in ihren Garagen werkeln und historische Funde in den Lehmblöcken suchen. Allerdings wird das Tun wegen der Gefahren durch die vielen Löcher neben der Straße alsbald untersagt.
Große Gesten von Sana und St. Elisabeth-Stiftung: Denn Ende März fällt die Entscheidung über den Bau des Gesundheitszentrums und des Wohnparks. Hand in Hand rufen Sana-Regionalgeschäftsführer Andreas Ruland, SES-Vorstand Matthias Ruf und Landrat Dr. Heiko Schmid in bester John F. Kennedy-Manier: „Wir sind Riedlinger“und verkünden den Baubeginn noch in diesem Jahr. Im Rathaus ist die Erleichterung groß, Bürgermeister und Wirtschaftsförderer besuchen eine Dankandacht, Landrat Heiko Schmid wird zum Riedlinger Schutzheiligen ernannt und die BI schießt vor lauter Begeisterung ein Feuerwerk ab. Dafür bekommt sie eine saftige Mahnung vom Ordnungsamt – was zu einer gewissen Missstimmung führt.
April:
In Riedlingen beginnen die Abrissarbeiten für die Hochwasserkanalbrücke. Stadt, HGR und RGW sind bestens vorbereitet. Die Marketingmaschinerie läuft auf Hochtouren, die Verantwortlichen haben aus den Erfahrungen der Abbrucharbeiten der Haldenstraße gelernt. So werden große blickdichte Bauzäune errichtet. Wer was sehen will, muss Eintritt bezahlen. Im Inneren sind Tische und Stühle aufgebaut für das gemütliche Baustellen-Sightseeing mit Currywurst und Bier. Und für die betuchteren Gäste gibt es extra VIP-Lounges mit Kaviar und Sekt. Für ein Extra-Aufgeld darf man sogar den Bagger kurz bedienen und ein bisschen am Abbruch mitwirken. Und die Steine werden wie an der Berliner Mauer verhökert. Als Marketinghit läuft von morgens bis abends „Über sieben Brücken musst du gehn...“Und auch den passenden Slogan gibt es bereits: Nachdem die „Wir schütten die Gräben zu“-Masche in der eher streitbaren Stadt verbrannt ist, lautet er nun: „Wir sind Brückenbauer“.
Auch zwischen Bad Buchau und Oggelshausen hätten jetzt eigentlich schon die Bagger angerollt kommen müssen. Doch die geplante Sanierung der berüchtigten Holperpiste L 280 hat sich verschoben: Archäologen sind – wieder einmal – auf sensationelle Funde gestoßen...
Mai:
Verkehrte Welt beim Festival ohne Bands in Hailtingen: Heimlich haben sich ein paar subversive Musiker mit echten Instrumenten auf das Festivalgelände geschlichen und machen Musik. Die Festivalbesucher sind völlig verstört und fordern, dass der Krach endlich aufhört und sie in Ruhe ihr Festival mit Musik aus der Dose genießen können. Als dies nichts nutzt, ruft die Festivalleitung wegen der Störung die Polizei. Die Anlieger haben sich derweil heimlich aufs Gelände begeben und tanzen ausgelassen zu Gitarrenriffs und Trommelschlägen, ehe die Polizei den Spuk beendet. Endlich wieder Ruhe auf der Bühne.
Juni:
Die Schließung ihres Kindergartens haben die Andelfinger im vergangenen Jahr gerade noch mal so abgebogen. Trotzdem fühlen sie sich von ihrer Großgemeinde Langenenslingen manchmal in die Ecke gestellt. Deshalb beschließen sie, künftig lieber zu Altheim gehören zu wollen. In ersten Sondierungsgesprächen beim Altheimer Schultes fühlen sie vor, ob er sie denn haben mag. Was sich beim Fußball gut verträgt, müsste auf kommunaler Ebene doch auch gehen, glaubt man in Andelfingen zu wissen. Selbst über einen neuen Ortsnamen hat man sich schon Gedanken gemacht. Künftig könnte man „Altfinger“oder „Andelheimer“heißen. Der Langenenslinger Schultes ist ziemlich aufgeschreckt ob der Entwicklungen in seinem Teilort. Altlandrat Winfried Steuer organisiert schließlich Schlichtungsgespräche im Roten Haus. Nach stundenlanger Beratung, Lammbraten und mehreren Hektolitern Wein vom Emerfelder Südhang lassen sich die Andelfinger zum Bleiben überreden. Beim anschließenden Wieder-Verbrüderungsfest dirigiert Steuer den Kreismarsch und die Biberzunft macht eine Polonaise durch den Andelfinger Kreisel.
Ganz so gut ist die Stimmung am Federsee derweil nicht: Bad Buchaus Bürgermeister Peter Diesch und sein Oggelshauser Kollege Ralf Kriz werden zunehmend nervöser. Die Bergungsgrabungen der Archäologen entlang der L 280 sind abgeschlossen, jetzt müsste es eigentlich los gehen mit der längst überfälligen, lang ersehnten Sanierung der Landesstraße. Doch nach der Archäologie macht der Naturschutz einen Strich durch die Rechnung. Biologen wollen im Graben neben der Straße Brutstätten der Federsee-Fruchtfliege ausgemacht haben. Und die steht strengstens unter Naturschutz...
Juli:
Angesichts der misslichen Haushaltslage der Stadt Riedlingen hat das große Grübeln über neue Einnahmequellen eingesetzt. Und die findigen Riedlinger sind fündig geworden. Wie die großen Fußballvereine wollen sie künftig für ihre Plätze und Hallen ihre Namensrechte verkaufen. Und das Geschäft boomt: Die Namensrechte für die Kampfbahn C ersteigert der ehemalige Bürgermeister Hans Petermann, dessen Namen künftig die Bahn ziert. Die Lärmschutzwand wird von einer Versicherung gesponsert („Wir schützen sie vor allem – auch vor Lärm“), die neue Mancherlochkreuzung geht an die Volksbank-Raiffeisenbank („Wir machen den Weg frei“). Die Einnahmen sprudeln – die Gemeinderäte liegen sich in den Armen und überlegen sogleich freudentrunken, was man sich dann noch alles leisten könnte.
August:
Positive Nachricht aus Stuttgart. Um der Gefahr zu begegnen, dass der Ministerpräsident in den kommenden Jahren wieder unter der Brücke schlafen will, hat die Landesregierung ein Sonderprogramm zur Förderung von Hotels im Lande aus dem Boden gestampft. Riedlingen ist bislang erste und einzige Kommune, die in den Genuss der Millionen kommt – auch ohne einen Antrag zu stellen. Einzige Bedingung: Das Hotel muss vor der Fasnet stehen und es soll „Zum Kretsche“heißen.
Auch am Federsee erhält man Nachricht aus Stuttgart: Um die Sanierung der Landesstraße 280 doch noch zu ermöglichen, soll die Federsee-Fruchtfliege bei einer aufwendig angelegten Umsiedlungsmaßnahme eine neue Heimat finden. Doch das kann dauern...
September:
In Riedlingen wird wieder ein heißes Eisen angefasst: Die unechte Teilortswahl soll abgeschafft werden. Doch die Ortsteile wehren sich. In wöchentlichen Montagsdemonstrationen ziehen die Bürger der Teilorte durch die Riedlinger Altstadt zu einer Kundgebung auf den Marktplatz, schwingen Plakate, haben revolutionäre Lieder auf den Lippen, während die Ortsvorsteher kämpferische Reden schwingen. Derweil sieht der langjährige Kämpfer für die Aufhebung der Teilortswahl, Ulrich Widmann, endlich den Sieg der Gerechtigkeit am Horizont. Die Stadtverwaltung hält sich derweil bedeckt und das Thema am Köcheln: Denn die Gastronomiebetriebe und Geschäfte sind sich einig: „So voll ist die Innenstadt sonst nur an der Fasnet“, sagen sie.
Oktober:
Um den Tourismus anzukurbeln, wollen die beiden Gemeinden Zwiefalten und Langenenslingen künftig gemeinsame Sache machen. Und zwar im großen Stil, schließlich können beide Gemeinden mit ziemlich vielen, ziemlich alten Steinen wuchern. Und weil in dem Geröll auf der Alten Burg bei Langenenslingen und auch auf der Großen Heuneburg bei Upflamör auch noch ein paar Knochen aus der Keltenzeit gefunden wurden, gibt es kein Halten mehr. „Keltische Wochen“werden in der Gastronomie ins Leben gerufen – mit Keltenküche im „Hirsch“in Zwiefalten; im „Löwen“in Wilflingen wird Wildschweinbraten nach Obelix-Art gereicht. Peter Baader braut Zwiefalter Keltenbräu und um die beiden Tourismusziele zu verknüpfen, realisieren die Gemeinden eine Schwebebahn. Der Tourismus blüht, die Fremden kommen in Scharen. In Langenenslingen und Zwiefalten werden Hotels aus dem Boden gestampft. Der Gemeinderat muss wöchentlich tagen, um Gewerke zu vergeben. Und in Langenenslingen beschäftigen sich die Gemeinderäte nochmals mit der Kindergartenbedarfsplanung. Wegen des Stromausfalls im Januar kommen in allen Teilgemeinden so viele Kinder auf die Welt, dass selbst in Emerfeld und Dürrenwaldstetten Kindergartengruppen eröffnet werden müssen.
Die Umsiedlungsmaßnahme der Federsee-Fruchtfliege mit naturschutzfachlichem Monitoring ist erfolgreich abgeschlossen. Dennoch sind an der Oggelshauser Straße noch keine Bagger in Sicht. Der Grund: Die Straßenbaufördermittel sind für dieses Jahr bereits erschöpft. Das Land sieht sich gezwungen, die Arbeiten zu verschieben, sagt aber Bad Buchau und Oggelshausen fest zu, die L 280 zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu sanieren. Als Termin wird 2043 in Aussicht gestellt.
November:
Umweltminister Franz Untersteller gibt sich doch noch einen Ruck und folgt der Einladung des Ertinger Bürgermeisters Jürgen Köhler zu einem Ortstermin in Binzwangen. Denn die fehlende Lärmschutzwand an der Rauen Rampe bereitet den Anwohnern nach wie vor schlaflose Nächte. Schon bei der Ankunft auf der Terrasse eines Anwohners ist Untersteller geradezu entsetzt ob des gewaltigen Rauschens der Donau. Nachdem er dann auch noch mit Isomatte und Schlafsack auf dem Wohnzimmerfußboden übernachtet hat, ist die Sache klar: Die Lärmschutzwand muss her! Der Minister mobilisiert umgehend die längst dafür bereitgestellten Mittel im Landeshaushalt. Baubeginn ist im Frühjahr 2018.
Dezember:
In Bad Buchau und Oggelshausen ist man immer noch stinksauer auf das Land. Doch als es auf Weihnachten zu geht, werden die Gemüter milder gestimmt. Zudem hat sich in den sozialen Netzwerken der Ruf der L 280 als schlechteste Straße des ganzen Landes herumgesprochen. Nach einem Beitrag in der Heute-Show entwickelt sich ein regelrechter Hype. Tausende Schaulustige pilgern an den Federsee, um einmal auf der Oggelshauser Straße durchgeschüttelt zu werden und ein Video davon auf Youtube zu posten. Bis zum Jahresende werden mehr Besucher als zur Großen Landesausstellung gezählt. Die findigen Geschäftsleute vom Federsee wissen das zu nutzen: Entlang der Straße werden Wurstbuden und Glühweinstände aufgebaut, die Rathäuser Oggelshausen und Bad Buchau bieten Merchandise-Produkte feil. Das füllt auch die Gemeindekassen und beschert Bad Buchau und Oggelshausen großartige Aussichten für 2018.