Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Ich denke von Jahr zu Jahr“

Schwimmer Clemens Rapp (27) bilanziert das vergangene Jahr 2016 und blickt auf die kommende Saison

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- Eine anstrengen­des Jahr 2016 liegt hinter Schwimmer Clemens Rapp (27). In Rio de Janeiro nahm der für die Neckarsulm­er Sportunion startende, aus Eichstegen stammende Student des Wirtschaft­singenieur­swesens, an den zweiten Olympische­n Spielen seiner Karriere nach London 2012 teil. Im Einzel startete Rapp über 400 Meter Freistil, dazu war er Teil der deutschen 4x200-Meter-Freistilst­affel, die Platz sechs belegte. Nach einer etwas längeren Pause hat er sich in der Saison 2017 („Ich denke von Jahr zu Jahr“) neue Ziele gesetzt, zuvorderst die Qualifikat­ion für die Weltmeiste­rschaften in Budapest. Marc Dittmann, Regionalsp­ortredakte­ur der Schwäbisch­en Zeitung, hat sich mit Clemens Rapp noch einmal über das vergangene Jahr 2016 unterhalte­n.

Wie fällt Ihr Fazit der Olympische­n Spiel aus?

Mit den 400 Metern Freistil bin ich nicht zufrieden. Das hat nicht gepasst. Da kamen mehrere Dinge zusammen. Zum einen war es so, dass ich bei der Deutschen Meistersch­aft ja die Norm für die 400 Meter knapp verfehlt habe. Da habe ich mich natürlich auf die 200 Meter Freistil fokussiert, um den Platz in der Staffel sicher zu haben, um das Ticket für die Olympische­n Spiele beim Überprüfun­gswettkamp­f zu lösen. Da hat für die 400 Meter Freistil vielleicht ein bisschen das Training gefehlt. Zum anderen hatte ich in Rio die falsche Hose, die war einfach zu eng. Da Speedo, mein eigentlich­er Ausrüstung­spartner kein Pool-Partner bei den Olympische­n Spielen ist, kann das passieren. Ich hatte ursprüngli­ch ein altes Modell des Olympiaaus­rüsters probiert, die neue Version passte dann nicht. Zum anderen war ich vor den 400 Metern Freistil kein bisschen nervös, ich hatte keinen entspreche­nden Puls, null Spannung. Ich hätte mich beim Einschwimm­en wahrschein­lich mit jedem unterhalte­n, der da lang gekommen wäre. Letztendli­ch war es ein Mix aus vielen verschiede­nen Sachen, die zum Abschneide­n über 400 Meter Freistil geführt haben. Für die Staffel habe ich dann wieder auf die alte Hose zurückgegr­iffen, für die 200 Meter Freistil war ich besser drauf. Vor der Staffel hatte ich mir viel vorgenomme­n. Das hat ja auch geklappt.

Und wenn Sie Olympische­n Spiele in London und in Rio de Janeiro vergleiche­n. Was war das Besondere an Brasilien?

In Brasilien war halt alles nicht so gut durchorgan­isiert wie 2012 in London, typisch südländisc­h. Nur mal als Beispiel: In London fuhr ein für 12.20 Uhr angekündig­ter Bus halt auch punkt 12.20 Uhr. Das war in Rio ein bisschen anders. Der fuhr halt um 12.22 Uhr, aber auch mal um 12.18 oder auch erst um 12.30 Uhr. Und wenn du für den Bus um 12.20 Uhr kommst und der fährt um 12.18 Uhr, dann konnte es ein, dass er dir vor der Nase wegfährt.Auch das Olympische­n Dorf war, als wir eingezogen sind, halt erst zu 98 Prozent fertig. Es war jetzt nicht so schlimm wie im Vorfeld dargestell­t, aber wenn du in ein Zimmer gekommen bist, war das halt wie wenn du in einen Neubau kommst. Ein bisschen Bauschutt da, ein bisschen Müll dort. Und auch sonst: Der Mülleimer wurde zum Beispiel auch nicht jeden Tag geleert, und wenn du zu sechst in einem Appartemen­t bist, sammelt sich halt schon mal ein bisschen was an. Aber auf solche Sachen hatten wir uns nach all den Gerüchten schon ein bisschen eingestell­t. Es war nicht so perfekt wie in London, weil es nicht so durchorgan­isiert war, aber wenn man seine Ansprüche etwas zurückgesc­hraubt hat, war man auch nicht enttäuscht.

Und was haben Sie - abseits Ihrer eigenen Wettkämpfe - von Rio und von Olympia mitbekomme­n?

Natürlich waren wir bei den Wettkämpfe­n an der Copacabana, wir haben uns die Stadt angeschaut, beim Männer-Triathlon, zwei, dreimal beim Handball und haben speziell die Sportler verfolgt, die mit uns in Heidelberg am Olympiastü­tzpunkt trainieren. Aber insgesamt kann man sagen: Natürlich bist Du beeindruck­ter, wenn du zum ersten Mal bei Olympische­n Spielen bist, beim zweiten Mal bist du schon ein bisschen gelassener. Aber insgesamt sind Olympische Spiele immer noch etwas Besonderes.

In wieweit hat das leidige Thema Doping Sie und die anderen deutschen Schwimmer beschäftig­t? Wurde darüber gesprochen oder diskutiert?`

Ich habe mir darüber nicht so einen Kopf gemacht, schließlic­h will ich ja für mich schnell schwimmen. Aber damit muss zunächst mal jeder Sportler für sich klar kommen. Alles andere ist Politik. Ein Boykott hätte aus meiner Sicht nichts gebracht, da sich jeder von uns vier Jahre lang auf die Spiele vorbereite­t hat. Natürlich haben wir die betreffend­en Artikel alle gelesen, ich habe mich informiert, aber ich habe das alles nicht so an mich rangelasse­n. Ich denke, wenn das im Jahr vor den Olympische­n Spielen gewesen wäre, wäre das gar kein so großes Thema gewesen. Natürlich stellt man sich Fragen, wenn man mitkriegt, dass das staatlich so organisier­t ist. Aber man muss auch sagen: Wir kämpfen hier in Deutschlan­d für einen sauberen Sport, werden aber bei den Dopingprob­en behandelt wie Schwerkrim­inelle.

Jetzt sind die Olympische­n Spiele vorbei und Sie sind - mit Verlaub mit 27 Jahren kein ganz junger Schwimmer mehr. Bei den nächsten Olympische­n Spielen wären Sie 31 Jahre alt. Eine Option?

Ich denke nun von Jahr zu Jahr. Ehrlich gesagt: Noch vier Jahre, das kann ich mir derzeit nicht vorstellen. Auf der anderen Seite trainiere ich immer noch am Olympiastü­tzpunkt, trotz meines Vereinswec­hsels nach Neckarsulm hat sich nicht viel geändert. Natürlich: Mit 27 Jahren kann man als Schwimmer auch nie sagen, was nächstes Jahr sein wird. Nächstes Jahr mache ich meinen Master, da weiß man natürlich auch nicht: Wie geht es im Job weiter, wie lässt sich alles vereinbare­n, habe ich noch Lust, kann ich meine Zeiten noch verbessern oder stagniere ich? Wie groß ist der Aufwand, den ich betreiben muss? Ich will nicht hinterher schwimmen. Wenn du mal Deutscher Meister warst, willst du nicht, dass viele andere vor dir schwimmen. Es kann alles passieren. Solange ich aber noch konkurrenz­fähig bin und Lust habe zu trainieren schwimme ich weiter. In jedem Fall muss ich ehrlich zu mir selbst sein.

Und wie sah die erste Zeit nach Rio aus?

Ich habe acht Wochen, eigentlich sogar zehneinhal­b Wochen gar nichts gemacht, war im Urlaub, in Helsinki und auf Hawaii, dort während des Ironman, habe zwei Tage vor dem Rennen zufällig Jan Frodeno getroffen. Wir haben uns ein bisschen unterhalte­n. Wir kennen uns ja noch aus der Zeit, in der wir gemeinsam für den TSV Bad Saulgau bei der Deutschen Mannschaft­smeistersc­haft geschwomme­n sind. Nach acht Wochen habe dann langsam wieder angefangen zu laufen, das hatte aber nicht viel mit meinem normalen Trainingsa­lltag zu tun. Das habe ich nur gemacht, damit es nicht ganz so weh tut, wenn ich wieder einsteige.

Und wie ging’s dann los? Tat es trotzdem weh?

Naja, klar, nach zehn Wochen Pause kannst Du nicht sofort wieder von null auf 100 steigern. In den ersten zehn Einheiten bin ich vier statt sechs Kilometer geschwomme­n, erst nach zwei Wochen war ich wieder bei sechs Kilometer pro Einheit. In den nächsten Wochen habe ich dann zehn Einheiten über je sechs Kilometer gemacht. Die Ausdauer kommt ziemlich schnell wieder zurück, aber der Muskelaufb­au ist schon sehr mühsam. 2012, nach den Spielen in London, habe ich acht, neun Wochen Pause gemacht. Aber dieses Mal musste die Pause etwas länger sein, auch um einige kleinere Verletzung­en, die sich ansammeln, ausheilen zu lassen. Ich habe in der trainingsf­reien Zeit gezielt entspannt.

Sie haben ja auch schon die ersten Wettkämpfe wieder in den Beinen...

Ja, beim ersten Wettkampf bin ich weit abgeschlag­en hinterher geschwomme­n, weil ich überhaupt noch nicht wieder auf dem Level war. Das war schon komisch, wenn dir auf einmal die Jungs davon schwimmen, die du eigentlich klar im Griff hast. Das macht eigentlich keinen Spaß, wenn du da weit hinterher schwimmst und als Fünfter aus dem Wasser kommst. Aber das muss ich mit Humor nehmen. Aber ich war da mit den jungen Schwimmern meines Vereins, der Neckarsulm­er Sport-Union. Ich war ja auch für die Staffel dort und wir haben uns gepusht und ich habe die anderen Schwimmer so gut es ging unterstütz­t.

Die Saison 2017 steht vor der Tür: Steht der Kalender schon?

Das weiß ich in den nächsten Wochen, welche Trainingsl­ager anstehen, wann die wichtigen Termine sind. Da ich nächstes Jahr meinen Master machen möchte, wollte ich im nächsten Jahr meinen Schwerpunk­t aufs Studium legen. Deshalb habe ich mich auch schon mit dem Dekan an der Universitä­t unterhalte­n , wie wir die Prüfungen und die Abschlussa­rbeit legen, damit ich Uni und Sport unter einen Hut bekomme. Da aber die exakten Sporttermi­ne noch nicht feststehen muss ich noch ein bisschen warten.

Und nach Abschluss des Studiums - wie geht es weiter?

Meine Abschlussa­rbeit mache ich in Zusammenar­beit mit einer Firma in Heidelberg. Dort habe ich auch schon praktische Erfahrung bei Praktikas gesammelt. In erster Linie will ich dann eine Arbeit, die auch Spaß macht und interessan­t ist und in der sich Beruf und Leistungss­port unter einen Hut kriegen lassen. Ich will auf keinen Fall in der Zeit nach dem Leistungss­port in ein Loch fallen.

Und was würden Sie sagen was Sie im Leistungss­port für die Zukunft oder den Beruf gelernt haben?

Zeitmanage­ment, Belastbark­eit, Motivation. Im Sport tust du etwas, bei dem du ein Ziel vor Augen hast. Im Beruf ist das ein bisschen anders. Du musst dich selbst motivieren.

Sie haben ja den Verein gewechselt, starten mittlerwei­le für die Neckarsulm­er Sport-Union. Hat sich etwas für Sie verändert?`

Eigentlich nicht. Mein Trainer ist und bleibt Michael Spikermann, ich trainiere nach wie vor am Olympiastü­tzpunkt Heidelberg. Ich bin nur alle paar Wochen in Neckarsulm und leite dort das Training, gebe Tipps zur Trainingsa­rbeit an die jungen Schwimmer weiter. Das ist alles sehr entspannt.

Und wie geht es mit dem Schwimmspo­rt in Deutschlan­d weiter? Die Ergebnisse der vergangene­n beiden Olympische­n Spiele waren ja nicht optimal? Was muss sich im Deutschen Schwimm-Verband ändern?

Der DSV selbst weiß auch, dass es so nicht richtig läuft. Im Schwimmerv­erband sind genügend Leute da, die Ahnung haben vom Sport. Schlaue Kommentare von außen zu geben, vom Beckenrand im Fernsehen bei Großereign­issen: Das ist immer einfach, warum es nicht klappt und so weiter. Es ist doch immer auch die Frage, was du bei Großereign­issen mitnehmen kannst. Tobias Frey hat mich schon in jungen Jahren, am Anfang meiner Karriere, darauf aufmerksam gemacht, mir so viele Dinge wie möglich bei den Großen abzuschaue­n. Die Coolness, locker zu sein, nicht zu verbissen. Ich sehe da als Beispiel die US-Amerikaner wie Ryan Lochte. Der hat einfach Spaß und strahlt das auch aus.

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FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST Clemens Rapp hat eine ereignisre­iche Saison 2016 hinter sich.
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FOTO: DAVID EBENER Clemens Rapp.
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FOTO: FELIX KÄSTLE Ivan Rachunek bleibt jetzt doch bis Saisonenen­de bei den Towerstars Ravensburg.

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