Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Man verliert sich im Klein-Klein“
FDP-Landeschef attackiert Große Koalitionen in Berlin und Stuttgart
- Das Ziel hat Michael Theurer hochgesteckt: Acht Prozent plus X will der FDP-Landeschef mit den Liberalen in Baden-Württemberg bei den Bundestagswahlen erzielen. Wie Theurer das schaffen will, erläutert er vor Landesparteitag und Dreikönigstreffen der Liberalen im Gespräch mit Katja Korf.
Herr Theurer, trauen Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Die Erfahrungen, die die FDP zuletzt in der Koalition mit der CDU im Bund gemacht hat, waren nicht durchweg positiv. Deshalb setzt die FDP im Bundestagswahlkampf 2017 auf einen eigenen Kurs.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Hans-Ulrich Rülkem traut Merkel nicht, wenn es etwa um einen Koalitionsvertrag nach der Bundestagswahl 2017 geht. Mit wem würde die FDP koalieren?
Eine Regierungsbeteiligung ist aus meiner Sicht nicht das vorrangige Ziel der FDP bei der Bundestagswahl. Das Ziel ist der Wiedereinzug in den Bundestag und die Sicherung der parlamentarischen Existenz der FDP. Wir werden uns der Verantwortung aber nicht entziehen. In einem Sieben-Parteien-Parlament mit CDU, CSU, SPD, Grünen und FDP, aber voraussichtlich auch mit Linken und AfD müssen alle Parteien des Verfassungsbogens untereinander gesprächsfähig sein. Deswegen schließe ich keine Koalitionsoption von vornherein aus.
Welche Parteien gehören für Sie zum Verfassungsbogen?
Neben der FDP die CDU/CSU, die SPD und die Grünen.
Wenn Bürger hören, dass das vorrangige Ziel der FDP nicht die Regierungsbeteiligung ist – warum sollten sie die FDP wählen?
Die im Bundestag vertretenen Parteien unterscheiden sich kaum. Es gibt vier etatistische Fraktionen, die sich mit staatlicher Regulierung und Wahlgeschenken überbieten. Die Freien Demokraten sind die einzigen, die pro-europäisch, marktwirtschaftlich, weltoffen und rechtsstaatlich agieren. Wir setzen auf Privatund Eigeninitiative, wollen die Europäische Union reformieren, rechtsstaatliche Institutionen stärken und die Wachstumskräfte der sozialen Marktwirtschaft entfesseln.
Sie haben als Motto für das Dreikönigstreffen „Politik für die Mitte der Gesellschaft“ausgegeben. Auf die Mitte zielen viele Parteien. Nun die FDP – ist das die richtige Strategie für die Bundestagswahlen?
Absolut. Die Stimmungslage ist ja gespalten: Wir haben Vollbeschäftigung, es herrscht in vielen Branchen Fachkräftemangel und gleichzeitig artikulieren viele Menschen in der Mitte Verlust- und Abstiegsängste. Die Mitte fühlt sich vergessen und missverstanden. Vor diesem Hintergrund haben wir den Eindruck, dass die Freien Demokraten gefordert sind, um konstruktive Kritik an Missständen zu äußern.
Wie sieht der eigenständige Kurs der FDP im Wahlkampf aus?
Die Große Koalition aus CDU und SPD liegt wie Mehltau über dem Land. Zentrale Themen werden nicht angepackt. Stattdessen verliert man sich im Klein-Klein, Stichworte sind da zum Beispiel die Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung oder das Entgeltgleichheitsgesetz. CDU und SPD regulieren die Wirtschaft stark, während Zukunftsfragen nicht den Stellenwert haben, den sie haben müssten. Da wollen wir ansetzen.
Mit welchen Maßnahmen?
Digitalisierung und Globalisierung sind gigantische Herausforderungen. Hier versagt die Bundesregierung. Bei der Infrastruktur – also etwa bei Glasfasernetzen in der Fläche – braucht Deutschland einen Kraftakt. Wir wollen privates Kapital mobilisieren für den Ausbau dieser Netze. Wir müssen Wirtschaft und Bürger entlasten von Bürokratie und Steuern. Deshalb wollen wir die Bürger vom Solidaritätszuschlag befreien. Ein dritter Punkt: Wir wollen den liberalen Rechtsstaat stärken. Dazu brauchen wir mehr Personal, vor allem bei der Polizei und der Justiz. Dafür müssen Ressourcen in der öffentlichen Verwaltung umgeschichtet werden.
Wie würden Sie Mittel kürzen?
Zum Beispiel durch Entbürokratisierung. Schauen wir doch mal auf Baden-Württemberg: Da gibt es eine Begrünungspflicht für Fassaden und eine Überdachungspflicht für Fahrradabstellplätze. So etwas schafft eine unnötige Kontrollbürokratie. Der Normalbürger wird mit Lappalien drangsaliert. Der Staat greift nahezu in alle Lebensbereiche regulierend ein, ist aber mit zentralen Fragen überfordert. Die vorrangige Aufgabe des Staates ist es, die innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten. Da muss mehr getan werden.
Im Land regiert Grün-Schwarz. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Die Bilanz ist dürftig. Manchmal hat man den Eindruck, es handle sich um ein grüne Alleinregierung. Die Handschrift der CDU ist kaum sichtbar. Ob Innenminister Thomas Strobl mit seinen jüngsten Vorschlägen zur Asylpolitik selbst in der eigenen Partei im Bund durchdringt, ist äußerst fraglich. Bei diesen Fragen blockieren sich Grüne und CDU gegenseitig. Der Streit um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber schwelt unter der Oberfläche ja ständig weiter. Und wo sind eigentlich die wirtschaftspolitischen Initiativen? Nicole Hoffmeister-Kraut von der CDU ist eine sympathische Erscheinung, aber was war noch mal ihre Funktion? Ach ja, sie ist Wirtschaftsministerin. Spaß beiseite: Das Land ist im KfW-Gründungsmonitor auf den vorletzten Platz aller westdeutschen Bundesländer zurückgefallen. Nur im Saarland werden weniger Unternehmen gegründet als in Baden-Württemberg. Wenn wir nicht aufpassen, verspielt Baden-Württemberg die eigene wirtschaftliche Zukunft.