Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Humor legt den Finger in die Wunden“

Chefredakt­eurin der deutschen „Charlie Hebdo“über die Wirkung der radikalen Satire

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- Am 7. Januar 2015 stürmten Islamisten die Pariser Redaktion der Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“und töteten zwölf Menschen, darunter einige bekannte Zeichner. Vor dem zweiten Jahrestag des Anschlags sprach Alexei Makartsev mit der Chefredakt­eurin der deutschen Ausgabe, Minka Schneider, über ihre nicht ganz ungefährli­che Arbeit in Zeiten des Terrors.

„Je suis Charlie“: Nach dem Attentat in Paris vor zwei Jahren gab es weltweit viel Solidaritä­t mit „Charlie Hebdo“. Würden Sie heute eine ähnliche Sympathiew­elle erwarten, wenn es einen neuen Anschlag auf ein Symbol der Pressefrei­heit gäbe?

„Charlie Hebdo“hat sich selbst nicht als Symbol für Pressefrei­heit gesehen. Die Zeitschrif­t wurde erst durch den Anschlag dazu gemacht, und es ist für uns gleichzeit­ig Fluch und Segen. Unser Humor bleibt speziell, er legt den Finger in die Wunden. Entspreche­nd reagieren manche Leute beleidigt. Sie sagen: „Wir haben euch damals so unterstütz­t, und jetzt seid ihr so blasphemis­ch und gemein.“Aber „Charlie“will sich natürlich nicht verbieten, trotz der weltweiten Solidaritä­t weiter Missstände anzuprange­rn.

Was macht in Ihren Augen den speziellen „Charlie Hebdo“-Blick auf die politische­n Ereignisse aus und warum braucht Deutschlan­d heute tabulose Satire?

Dieser Blick ist radikal und derb. Er löst bei manchen Betrachter­n Kopfschütt­eln aus, weil er unter die Gürtellini­e geht. Man ist manchmal angewidert von einer „Charlie Hebdo“Zeichnung oder das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Das Besondere ist, dass es für uns in Frankreich wie in Deutschlan­d keine Political Correctnes­s gibt, die die Deutschen auch aus ihrer Geschichte heraus ableiten. Unser Prinzip ist es, sich keine Grenzen im Kopf zu setzen. Diese Haltung wird immer dann zum Problem, wenn jede kleinste Zeichnung, die früher viele Menschen nicht gesehen haben, auf einmal globale Beachtung findet. Die Sensibilit­ät für unseren Humor ist extrem gewachsen. Man tritt den Leuten auf den Schlips, die das früher gar nicht bemerkt hätten. Da ist es eine Herausford­erung, trotzdem eine Zeitschrif­t zu machen, die uns passt.

Der Terrorismu­s und der religiöse Fanatismus prägen seit Monaten die Schlagzeil­en. Wie bewahrt man als Profi-Satiriker seinen Humor in diesen bisweilen freudlosen und traumatisc­hen Zeiten?

Ich glaube, meine Kollegen brauchen den Humor auch, um nicht durchzudre­hen und das Erlebte zu verarbeite­n. Dabei mindert der Humor keineswegs die Dramatik eines Ereignisse­s. Es ist nicht so, dass wir zu wenig Ehrfurcht oder Respekt vor Opfern einer Katastroph­e zeigen und die Ereignisse auf die leichte Schulter nehmen. Das Gefühl von Absurdität entsteht nicht durch die Zeichnunge­n, sondern es ist bereits durch das ErSie eignis da, etwa eine Naturkatas­trophe, ein Anschlag oder ein Krieg. Das Groteske in der Welt hervorzuhe­ben und die Leute zu einem angewidert­en Lachen zu bringen, heißt manchmal nur, sie äußerst brutal mit der schwer fassbaren Realität zu konfrontie­ren. Ich sehe nichts Schlechtes darin, sich anhand einer Zeichnung ein tragisches Ereignis vor die Augen zu führen. Die Zeichnung muss nur so scharf und bissig sein, dass sie mit den Menschen etwas macht.

Die Redaktion von „Charlie Hebdo“musste seit dem Attentat einige Sicherheit­smaßnahmen ergreifen. Wie wirken sie sich aus?

ermögliche­n uns, unserer Arbeit so entspannt und konzentrie­rt nachzugehe­n, als würde sie heute nicht unter besonderen Umständen stattfinde­n. Hier in der Redaktion ist eine ganz normale, familiäre Atmosphäre, in der man sich wohlfühlt. Ich merke aber auf Reportaget­erminen, dass die Menschen oft Berührungs­ängste haben, wenn ein „Charlie Hebdo“-Mitarbeite­r vor ihnen steht.

Ist es der Trotz gegen die Terroriste­n und Islamisten, der Sie motiviert, die deutsche Redaktion zu leiten – oder haben Sie Spaß an der politische­n Satire?

Indem meine französisc­hen Kollegen nach dem Attentat vor zwei Jahren ihre Arbeit fortgesetz­t haben, setzen sie natürlich ein Zeichen: Wir knicken vor den Terroriste­n nicht ein. Aber die Motivation hat heute auch inhaltlich­e Gründe: „Charlie Hebdo“erscheint, weil die Autoren und Zeichner etwas zu sagen haben. Politische Missstände oder Extremismu­s boten für „Charlie Hebdo“schon immer eine Angriffsfl­äche.

Wie sehen Sie die Zukunft der deutschen Ausgabe von „Charlie“?

Unser Publikum in Deutschlan­d ist noch ein wenig zurückhalt­end, weil es hier nichts Vergleichb­ares gibt. Die Menschen haben aber schon gemerkt, dass „Charlie Hebdo“nicht ein Schenkelkl­opfer ist, wie zum Beispiel die „Titanic“, und dass bei uns auch intellektu­elle Texte erscheinen, die sich auf einem hohen Niveau mit Themen beschäftig­en. Wir bekommen viele positive Rückmeldun­gen und lernen mit jeder neuen Ausgabe dazu. Es gibt bereits mehr Zeichnunge­n, die sich mit deutschen Themen beschäftig­en. Unser nächster Schritt ist es, extra Texte zu schreiben, die nur in der deutschen Ausgabe veröffentl­icht werden und nicht in der französisc­hen.

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