Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Trump versetzt Mexikos Autoindustrie ersten Schlag
Ford stoppt Milliardeninvestition – Produktionsketten zu zerschlagen, würde aber auch US-Firmen schaden
- Es war eine böse Überraschung zum neuen Jahr für Mexiko und seine Vorzeige-Industrie. Der US-Automobilhersteller Ford sagte am Dienstag unerwartet eine Neuinvestition in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar im mexikanischen Bundesstaat San Luís Potosí ab und reagierte damit offenbar auf Drohungen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, US-Hersteller für ihre Produktion in Mexiko mit einem Strafzoll von 35 Prozent zu belegen. Ford wollte in San Luís Potosí eine Fabrik für die Modelle Fiesta und Fokus aufbauen und 3000 direkte und weitere indirekte Arbeitsplätze schaffen. Das Geld soll nun zum Teil in den Ausbau einer E-Auto-Produktion im US-Bundesstaat Michigan fließen. Ein anderer Teil geht in das bereits bestehende Ford-Werk im mexikanischen Bundesstaat Sonora. Politiker und Analysten reagierten dennoch erschrocken, und die mexikanische Währung ging unmittelbar auf Talfahrt, kaum dass die Nachricht in der Welt war.
Der mexikanische Wirtschaftsminister Ildefonso Guajardo zeigte sich verschnupft und forderte Ford auf, dem Staat jeden einzelnen Heller der bisher gemachten Investitionen zu erstatten. „Wir haben der Führung von Ford Mexico verdeutlicht, dass wir genau beobachten werden, wie unsere Ausgaben zurückbezahlt werden“, betonte Guajardo. Rund eine Milliarde Dollar hatten Bundesund Landesregierung ausgegeben, um den Standort San Luís Potosí für Ford attraktiv zu machen.
Weniger Auslandsinvestitionen
Volkswirte befürchten eine Schneeballreaktion anderer US-Hersteller. „Es besteht die reale Gefahr, dass andere Unternehmen das Gleiche tun wie Ford“, sagt Gabriela Siller, Chefanalystin beim mexikanischen Finanzinstitut Banco Base. Ford werde sicher kein Einzelfall bleiben. 2017 werde ein „schwieriges, aber ein desaströses Jahr für die mexikanische Wirtschaft“, betonte Siller. Schon jetzt zeichne sich ein Rückgang der Auslandsinvestitionen ab.
Mitte Dezember sah der mexikanische Branchenverband AMIA noch keinen Grund zur Besorgnis. Und auch die vielen internationalen Hersteller im Land hatten sich abwartend geäußert und sich mit Kommentaren zu den Ankündigungen Trumps zurückgehalten. „Unsere Projekte führen wir wie geplant durch“, sagte zum Beispiel Thomas Karig vom Vorstand bei Volkswagen de México. Zu den möglichen Auswirkungen der Politik der neuen USRegierung wollte sich Karig aber nicht äußern.
Volkswagen baut bereits seit rund einem halben Jahrhundert in Mexiko und hat in der Stadt Puebla eines der größten Einzelwerke innerhalb des Konzerns stehen. Dort werden heute der Beetle II, der Golf Variant und der Jetta erfolgreich für den Weltmarkt zusammengesetzt. Ab 2017 soll zudem das neue Tiguan-Modell in Puebla gefertigt werden. Wie wichtig aber der US-Markt für das mexikanische Werk der Wolfsburger ist, belegt eine Zahl: Fünf der zehn in Mexiko gebauten Autos gehen in die USA. Auf den gesamten Sektor bezogen, ist die Zahl noch größer: 77 Prozent der mexikanischen Fahrzeugexporte werden laut AMIA in die USA exportiert.
Hersteller zieht es nach Mexiko
Die Nähe zu den Vereinigten Staaten von Amerika und die Vorteile des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA vor allem sind es, die fast alle weltweit großen Hersteller nach Mexiko gezogen haben. Die VW-Tochter Audi hat im Herbst 2016 ihr erstes Werk in Mexiko eröffnet und will von dort vor allem den Geländewagen Q5 in die USA exportieren. BMW baut gegenwärtig ebenfalls in San Luís Potosí. Die Münchner werden wohl 2019 die Produktion starten. Auch Daimler baut gemeinsam mit Nissan ein Werk, Eröffnung wird vermutlich 2017 sein. Investitionsvolumen: rund eine Milliarde Dollar pro Hersteller.
Die globalen Autohersteller drängen massiv nach Mexiko, weil ihnen eine Fertigung hier gleich einen ganzen Strauß an Vorteilen bringt: die Nähe zu den USA, dem wichtigsten Automarkt der Welt, Freihandelsverträge mit 46 Staaten und damit zollbegünstigter Export in die halbe Welt, eine gut 50 Jahre alte Tradition in der Fertigung im Automobilsektor und vor allem Löhne, die im internationalen Vergleich nahezu absurd niedrig sind. Nach Daten des mexikanischen Wirtschaftsministeriums verdient ein Autowerker in Mexiko durchschnittlich knapp vier Dollar die Stunde (3,57 Euro), während der Lohn in Brasilien bei 11,4 Dollar und in Ungarn bei neun Dollar liegt. In den USA liegt er im Schnitt sogar bei um die 50 Dollar. Dementsprechend stehen in Mexiko Qualität und Kosten in einem ausgesprochen guten Verhältnis für die Hersteller, zumal das Land über Know-how und gut ausgebildete Facharbeiter verfügt.
Eine Verlagerung von Produktion und Arbeitsplätzen von Mexiko in die Vereinigten Staaten, so wie Trump propagiert, klingt allerdings wesentlich einfacher als es in der Realität ist. Zwischen beiden Ländern hat sich eine komplexe Arbeitsteilung etabliert. Die NAFTA-Regeln schreiben für den Automobilsektor 62,5 Prozent regionale Wertschöpfung vor. Das können Komponenten sein, aber auch die eigene Wertschöpfung in den Montagefabriken. Die Mexikaner könnten gar nicht ohne die USA fertigen – und umgekehrt. 77 Prozent seiner Autoteile exportieren die US-Hersteller nach Mexiko und Kanada. Diese Produktionsketten zu zerschlagen, wäre auch für die US-Autoindustrie ein schwerer Schlag. Ein etwaiger 35-prozentiger Strafzoll würde Fahrzeuge „only made in USA“um 3000 Dollar pro Einheit verteuern.