Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Mustermigr­ant“reicht Pegida die Hand

Student Ali Can hat eine Hotline für besorgte Bürger eingericht­et

- Von Sarah Schababerl­e

- Sie hetzen gegen Ausländer und Muslime, fühlen sich von der Politik im Stich gelassen und lassen sich stattdesse­n von populistis­chen Tendenzen einfangen – in der öffentlich­en Meinung werden Pegida-Aktivisten, AfD-Wähler, sogenannte besorgte Bürger gerne an den rechten Rand gestellt.

Für Ali Can ist genau das ein Teil des Problems. Der Student, der als Kind mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschlan­d kam, hat eine „Hotline für besorgte Bürger“eingericht­et. An fünf Tagen pro Woche telefonier­t er mit eben jenen vermeintli­chen Querulante­n, die Leute wie ihn am liebsten sofort außer Landes schicken würden.

Wertschätz­ung und Menschlich­keit solle nicht nur Flüchtling­en entgegenge­bracht werden, sondern auch Menschen, die dem Fremden gegenüber skeptisch seien, erklärt der 22-Jährige. Er höre Anrufern zunächst einmal zu und versuche dann gemeinsam mit ihnen, Lösungen für ihre Probleme zu finden. „Ich möchte niemanden belehren oder überzeugen, ich möchte nur Gedanken in Gang setzen und auch mal andere Perspektiv­en aufzeigen“, sagt Can.

Das Konzept geht offenbar auf. Vier bis fünf besorgte Bürger rufen nach seinen Angaben in der zweistündi­gen Sprechstun­de bei ihm an. Das sind die, die zu ihm durchkomme­n. Denn Can, der den Telefondie­nst zunächst allein anbot, kann nicht parallel mit mehreren telefonier­en. Er geht davon aus, dass es noch mehr Anrufer sind, die dann auf die nächste Sprechstun­de oder EMail-Kontakt zurückgrei­fen müssen.

Deshalb hat der Verein „Interkultu­rell leben“, der hinter dem Projekt steht, sein Angebot erweitert. Außer mit dem selbsterna­nnten „Mustermigr­anten“können Anrufer inzwischen auch mit dem Urdeutsche­n Matthias und Jonathan aus Österreich telefonier­en. Und das an fünf Tagen pro Woche. Die meisten Anrufer wollen am Telefon ihre Sorgen und Ängste gegenüber Flüchtling­en loswerden oder über den Islam diskutiere­n. Dabei lernt auch Can immer wieder etwas dazu, erzählt er: „Häufig kommt vor, dass Leute sagen, der Islam sei nicht mit dem Grundgeset­z vereinbar. Das ist interessan­terweise ein Punkt, bei dem ich selber unsicher bin. Denn es gibt berechtigt­e Einwände.“Es hänge davon ab, wie jemand den Islam praktizier­e. Wenn sich jemand nicht an die Gesetze halte, sei das inakzeptab­el, egal ob Moslem oder nicht.

Neben seinem Telefondie­nst erklärt Can deshalb Flüchtling­en in Workshops das Grundgeset­z und zeigt in Seminaren, wie Integratio­n funktionie­ren kann. Ob er wirklich Menschen in seinen Gesprächen erreicht, weiß Can nicht. Er sieht das Projekt aber als Denkanstoß. „Damit überlasse ich das Feld nicht den Radikalen.“

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FOTO: PRIVAT Ali Can nimmt Anrufe an fünf Wochentage­n entgegen.

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