Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Apothekensterben auf Rezept
Onlineversand, Verkaufsautomaten und Nachfolgermangel machen Betrieben auch im Kreis Ravensburg zu schaffen
(jab) - Die Beratung erfolgt über einen Bildschirm, ein Automat spuckt das Medikament aus. So könnte in der Gemeinde Hüffenhardt, rund 30 Kilometer südöstlich der Stadt Heidelberg, die medizinische Zukunft aussehen. Denn die niederländische Versandapotheke Doc Morris will dort in den nächsten Wochen einen Arzneimittel-Abgabeautomaten aufstellen. Setzt sich dieses Verkaufssystem durch, hätten herkömmliche Apotheken womöglich bald ausgedient. Nun könnte man sagen, Hüffenhardt ist weit weg. Aber auch im Landkreis Ravensburg haben Apotheker mit einem Aussterben ihres Berufsstandes zu kämpfen.
Vor allem im Stadtgebiet von Ravensburg sind jüngst mehrere Betriebe geschlossen worden: darunter die Bären-Apotheke in der Gartenstraße, die Apotheke am Hirschgraben sowie die St.-Jodok-Apotheke in der Eisenbahnstraße. Der Hauptgrund ist immer der gleiche: Die Führung der Apotheke ist wirtschaftlich nicht mehr rentabel, Nachfolger bleiben aus.
Was den Apotheken besonders zusetzt, ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen ihre Medikamente im Internet bestellen. Hinzu kommt: Im Oktober 2016 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschlossen, dass ausländische Versandapotheken die Arzneimittelpreisverordnung nicht mehr beachten müssen, wenn sie rezeptpflichtige Medikamente zu Patienten nach Deutschland schicken. Während sich deutsche Präsenzapotheken und Versandhändler also an vorgegebene Preise halten müssen, gilt das für ausländische Anbieter nicht.
„Das Urteil erlaubt nur den ausländischen Versandapotheken, Rabatte auszuhandeln und an die Kunden oder Krankenkassen weiterzugeben“, ärgert sich Marion Banßhaf von der Engel-Apotheke in Ravensburg. „Diese können nun Kunden mit Rabatten locken, die wir nicht geben dürfen und nicht geben können.“ Das Urteil hält Banßhaf daher für mehr als ungerecht, aber auch folgenreich: „Dadurch wird ein gut funktionierendes, flächendeckendes Apothekensystem von ausländischen Versandapotheken zerstört“, befürchtet sie. Der Gesetzgeber müsse hier umgehend aktiv werden.
Vorwurf der „Rosinenpickerei“
Der gleichen Meinung ist auch Anton Eberle, Inhaber der HubertusApotheke in Baindt. Versandapotheken bezeichnet er als „Rosinenpicker“. „Kostenintensive Dienstleistungen wie die Notdienstbereitschaft rund um die Uhr, die Herstellung individueller Arzneimittelzubereitungen, die Vorratshaltung – auch von selten benötigten Medikamenten –, die Abgabe von Betäubungsmitteln oder die Akutversorgung können und wollen diese Versandapotheken nicht leisten“, führt der Baindter an. „Auch die Beratung – meist durch Callcenter – ist in der Regel anonym und selten auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten.“
Doch erkennt Eberle einen weiteren Grund, warum es Apotheken derzeit nicht leicht haben. „Für Ärzte – hauptsächlich im ländlichen Raum – wird es immer schwieriger, jemanden zu finden, der ihre Praxis übernimmt“, schildert er, „und wenn die Arztpraxis schließt, verschwindet meist auch für die Apotheke die Existenzgrundlage.“
Laut Alexander Franze von der Ravensburger Apotheke im Spital liegt die Stärke der Präsenzapotheken vordergründig in der kompetenten und persönlichen Beratung der Kunden. Dies könne keine Versandapotheke und kein Arzneimittel-Automat leisten. Dennoch sieht Franze Entwicklungsbedarf: „Wir als Apotheken müssen uns, auch in Zusammenarbeit mit den Ärzten, mehr in das Medikationsmanagement – also in die optimierte Arzneimittelversorgung – einbringen und unser Image vom reinen Lieferanten abschütteln.“