Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Tande trotzt den Winden
Markus Eisenbichler hat bei der Wetterlotterie beim Springen am Bergisel kein Glück
- „Es weht West- bis Nordwestwind mit Mittelgeschwindigkeiten zwischen 2 und 4 Meter/ Sekunde, während die Spitzenböen bis zum Ende des Bewerbes zwischen 6 und 9 Meter/Sekunde erreichen.“Das offizielle Wetterbulletin gab es vorab, den zweiten Durchgang gab es gar nicht bei Station drei der 65. Vierschanzentournee. Innsbrucks Bergisel-Schanze gilt seit jeher als windanfällig, diesmal wurde das Klassement der weltbesten Skispringer gehörig durcheinandergewirbelt. Nach zähen eineinhalb Stunden brach die Jury ab, auch weil die Lichtverhältnisse mangels Flutlicht nicht mehr ausreichend gewesen wären. Nicht wenige kritisierten: zu spät! Ganz oben stand dann immerhin einer, dessen Qualität Zweifeln wie Böen standhielt: Daniel-André Bundestrainer auf die Frage, wer den krank abgereisten Severin Freund in Bischofshofen ersetzt. Die deutschen Skispringer werden auch die letzte Tournee-Etappe mit nur fünf Mann angehen. Tande aus Norwegen (128,5 Meter/125,7 Punkte), Sieger bereits des Neujahrsspringens, neuer TourneeGesamtführender auch. Der stoischstarke Vorspringer des Deutschen Skiverbandes, Markus Eisenbichler, war bei 112 Metern (97,0 Punkte) jäh nach unten geholt worden. Er nahm Platz 29, nun ja, gewohnt eisenbichlerisch: „Mein Gott, es war halt einfach windig. Ich ärgere mich eher, dass ich etwas zu früh am Tisch war.“
Werner Schuster ärgerte sich ... auch. Sehr differenziert allerdings. Ob es so „keinen Sinn macht“, wollte der Bundestrainer nicht beurteilen, „da bin ich der falsche Mann. Es macht zumindest keinen Spaß. Weder den Sportlern noch den Betreuern – noch den Zuschauern.“Andererseits: „Man hat alles probiert mit den Tools, die man heute hat.“Kompensationspunkte zwischen 15,0 (der Pole Stefan Hula als 42. nach 100,5 Metern bei extremem Rückenwind) und -14,8 (der Überraschungszweite Robert Johansson aus Norwegen nach 133 Metern bei extremem Aufwind) wurden vergeben – die Weite war auf der kleinsten TourneeSchanze weniger eine Frage der Präzision als eine des günstigen Augenblicks. Eisenbichler erwischte keinen, Stefan Kraft auch nicht. Österreichs Tournee-Hoffnung wurde 18. (116 Meter/103,3 Punkte), zusätzlich
„Wenn Sie Ski dabei haben oder so ...“
geschwächt allerdings von MagenDarm-Problemen und einer unschönen Nacht. Sein Wort zum Tag: „Olympisch fühl’ ich mich heut’ nicht.“Das tat Evgeniy Klimov umso mehr. Seinen dritten Rang (127 Meter/119,1 Punkte) erflog sich der Russe bei wohlgesonnener Thermik. Die zu nutzen allerdings ist auch eine Kunst.
Die Lufthoheit am Bergisel also wurde ohne Werner Schusters Quintett verteilt. Severin Freund hätte, wenn gesund, daran nichts geändert, seine Teamkollegen konnte der Bundestrainer nicht allzu hart ins Gericht nehmen. Stephan Leyhe (120,5 Meter/113,0 Punkte) war Elfter geworden und hatte sich den Ratschlag aus Garmisch-Partenkirchen zu Herzen genommen: „Ich soll frecher werden.“Bitteschön: bester Deutscher! Andreas Wellinger (119 Meter/110,7 Punkte) blieb als 13. im Aufwärtstrend, haderte aber: „Da kann man auch einen Würfel werfen.“Karl Geiger (125 Meter/110,0 Punkte) als 15. hätte dann wohl Sechser in Serie gehabt – allerdings: „Der Sprung war jetzt aber auch wieder deutlich besser.“Ein Urteil, das Richard Freitag sich in eigener Sache verkniff, schlicht weil er seine Leistung (114 Meter/97,6 Punkte; Platz 28) „so heute kaum einschätzen“konnte.
Bleibt Werner Schusters Fazit. Vordergründig mögen die Resultate anderes vermuten lassen, sagte der 47-Jährige mit etwas Abstand, „aber das müsst Ihr mir glauben: Die Sprungqualität meiner Mannschaft war okay. Da kann ich nicht sagen: ,Um Gottes willen, der hat einen Scheißsprung gemacht oder der.’ Wir haben das getan, was wir tun mussten. Positiv ist: Wir sind nicht zusammengebrochen. Negativ ist: Wir sind nach wie vor zu weit weg vom Podest.“
1,7 Punkte von jenem entfernt landete vor 20 000 Zuschauern Kamil Stoch (120,5 Meter). Die Tourneeführung war er als Tagesvierter somit los; mit ebenfalls 1,7 Zählern Rückstand blieb er aber in Schlagdistanz zu Tande. Bischofshofen (Qualifikation heute, 16.45 Uhr; Wettkampf Freitag, 16.45 Uhr/jeweils ZDF und Eurosport) sieht somit ein Foto-Finish – eines, in das der DoppelOlympiasieger aus Polen gehandicapt gehen könnte: Im Probedurchgang war er nach dem Telemark bei 127 Metern gestürzt; die Schulter schmerzte, sie bremste (noch) nicht. Gegenspieler Tande wünschte ausdrücklich rechtzeitige Genesung, auch „gleiche Bedingungen für alle Athleten“hätte er am Bergisel gerne gesehen. Ein fairer Erster.
Und einer, der den Winden getrotzt hatte.