Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Londoner Trio The xx zieht den Rollladen hoch

Doch die Kraft der neuen Songs liegt auch auf „I See You” weiterhin in ihrer Stille

- Von Steffen Rüth

- Zunächst einmal möchte Oliver Sim (27, Gesang und Bass) beim Gespräch im Berliner Privatclub „Soho House“mit einem weitverbre­iteten Vorurteil aufräumen. So schüchtern, wie alle immer schreiben würden, seien sie nämlich gar nicht, weder er, noch Sängerin/ Gitarristi­n Romy Madley Croft (27), noch Keyboarder/ Produzent Jamie Smith (28) alias Jamie xx –na gut, der vielleicht schon. „Wir sind von Anfang an als extrem scheue Menschen porträtier­t worden, aber das sind wir nur im Vergleich zu manchen sehr offensiven, draufgänge­rischen Popstars. Alles in allem sind wir recht normale Menschen“, sagt Sim.

Er und Romy kennen sich seit Ewigkeiten, sie gingen zusammen in London zur Schule, Jamie stieß etwas später hinzu. Ein Paar waren Croft und Sim trotz des ewigen emotional-amourösen Tauziehens in ihren Texten nie, beide sind homosexuel­l. „Wir schrieben unsere ersten Songs als Teenager, und gleich hieß es, da sei so viel Sex, so viel Erotik in unserer Musik. Das war uns damals mordsmäßig unangenehm und peinlich. Jeder andere Mensch, der so schnell wie wir im öffentlich­en Interesse gelandet wäre, hätte wohl ähnlich zurückhalt­end reagiert.“Auch vor Auftritten habe das Trio bis heute ordentlich Bammel.

Für eine derart introverti­erte Band hat es das stets ganz in schwarz gekleidete Freundestr­io verdammt weit gebracht. Direkt das erste Album „The xx“war 2009 ein Erfolg bei Publikum und Kritikern, es gewann unter anderem den renommiert­en „Mercury Prize“. Das zweite Album „Coexist“untermauer­te den Erfolg und erreichte auch in Deutschlan­d die Top Drei der Charts. Auf beiden Alben spielt The xx einen reduzierte­n, minimalist­ischen Mix aus IndiePop und R&B, aus klassische­n Instrument­en und Beats, aus Schönheit und Melancholi­e. „Wir können auch wunderbar miteinande­r schweigen“, sagt Oliver Sim, und wenn man hört, wie sie bisweilen in ihren Stücken eine gefühlte Ewigkeit überhaupt nicht singen und trotzdem in der Stille harmoniere­n, glaubt man ihm aufs Wort.

Probleme mit der Kommunikat­ion

Doch die große Stärke war zeitweise zum Problem geworden für das Trio, auch deshalb dauerte es fünf Jahre, bis nun endlich das dritte Album erscheint. „Es haperte an der Kommunikat­ion“, gibt Sim zu. „Plötzlich wurde unser Schweigen zu einem ‚Haben wir uns überhaupt noch etwas zu sagen?‘ Aber wir haben an unseren Schwachpun­kten gearbeitet, sind offener und verletzlic­her geworden.“Auch deshalb habe man das Album „I See You“genannt. „Wir haben uns alle drei noch einmal neu kennengele­rnt, sehen die anderen – aber auch uns selbst – mit frischen Augen. Die Zeit zwischen Anfang und Ende 20 ist diesbezügl­ich ja ein riesiger Sprung. Immer besser verstehen wir, wer und was wir sind und sein wollen.“

Um zu reifen, gingen Romy, Oliver und Jamie zeitweise eigene Wege. Jamie xx nahm 2015 das feine Soloalbum „In Colour“auf und produziert­e etwa für Drake und Rihanna. Oliver Sim verdingte sich als Model für „Dior Homme“(„sehr schmeichel­hafte Erfahrung, aber eine zweite Karriere soll das nicht werden“), und Romy Madley Croft lebte eine Weile in Los Angeles, wo sie an „Songwritin­g Camps“teilnahm und etwa gemeinsam mit Ryan Tedder an neuen Hits für Beyoncé tüftelte. „Wir hatten uns voneinande­r entfernt, doch als wir schließlic­h wieder zusammenka­men, war uns sofort klar, dass unsere Freundscha­ft wie auch die kreative Verbundenh­eit noch völlig intakt waren.“

Tapetenwec­hsel für neue Ideen

The xx haben auf „I See You“sprichwört­lich die Sonne hereingela­ssen, die neuen Songs sind bunter und mehrdimens­ionaler als die alten, für ihre Verhältnis­se passiert auf dieser Platte unheimlich viel. „Der Sound ist nicht mehr so nackt. Wir sind lockerer geworden, haben mehr gewagt.“Auch das Umfeld trug zum helleren Gesamtklan­g bei. Sie arbeiteten an den neuen Songs erstmals nicht in den heimischen Londoner Schlafzimm­ern, sondern in Los Angeles, Marfa/Texas und Reykjavik, wo sie mit „On Hold“den womöglich poppigsten Song ihrer Karriere komponiert­en. „Dangerous“wiederum geht fast schon als „uptempo“durch, auch Bläser sind neu. „Wir haben sehr viel Soft Rock gehört“, so Sim, „Fleetwood Mac, The Beach Boys, die amerikanis­che Westküste hat uns insgesamt stark inspiriert. Für mich ist ,I See You’ ein Album, das am Tag spielt, während die ersten beiden reine Nachtalben waren.“

Aber alles bleibt relativ. Wundervoll tieftrauri­ge und intime Lieder wie „Performanc­e“oder „Brave for You“haben mit dem üblichen Chartpop aber auch rein gar nichts gemein. „Wir sind forscher, abenteuerl­ustiger und mutiger geworden“, fasst Oliver Sim zusammen, „aber wir sind immer noch The xx.“

 ?? FOTO: ALASDAIR MCLELLAN ?? Jamie Smith, Romy Madley Croft und Oliver Sim (von links) veröffentl­ichen am Freitag, 13. Januar, ihr neues Album „I See You“. „Wir sind forscher, abenteuerl­ustiger und mutiger geworden – aber wir sind immer noch The xx“, sagt Oliver Sim.
FOTO: ALASDAIR MCLELLAN Jamie Smith, Romy Madley Croft und Oliver Sim (von links) veröffentl­ichen am Freitag, 13. Januar, ihr neues Album „I See You“. „Wir sind forscher, abenteuerl­ustiger und mutiger geworden – aber wir sind immer noch The xx“, sagt Oliver Sim.

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