Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Italiens Fünf-Sterne-Bewegung in der Krise

- Von Thomas Migge, Rom

Italiens EU-Gegner dürfen nicht in die Fraktion der Liberalen wechseln. Der Chef der liberalen ALDE-Fraktion im Europaparl­ament, Guy Verhofstad­t, lehnte den Wechsel der italienisc­hen Protestpar­tei Movimento 5 Stelle (M5S, Fünf-Sterne-Bewegung) von der EUkritisch­en Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) in die ALDE ab. Dass die M5S, die sich selbst als transparen­teste Partei Italiens tituliert, klammheiml­ich den Wechsel von der einen in die andere EU-Parlaments­fraktion plante, erweist sich als Existenz bedrohende­s Eigentor.

Beppe Grillo, ex-Komiker und zusammen mit dem Informatik­unternehme­r Gianrobert­o Casaleggio Gründer der M5S, lehnt die EU und den Euro ab. Dass Grillo und Davide Casaleggio, Sohn des verstorben­en Gianrobert­o, vor Monaten damit begonnen hatten, den Wechsel von der EU-kritischen zur proeuropäi­schen ALDE einzufädel­n, ohne die Basis zu informiere­n, wird lautstark kritisiert. Umfragen zufolge sind etwa 75 Prozent aller M5S-Wähler gegen den EUVerbleib. Die Vormundsch­aft aus Brüssel war eines der wichtigste­n Argumente zur Parteigrün­dung.

Auf Vorteile erpicht

Der Meinungswe­chsel bei Grillo und Casaleggio hat verschiede­ne Gründe. Zu offensicht­lich ist die Tatsache, dass das M5S-Direktoriu­m nur auf finanziell­e und unternehme­rische Vorteile erpicht war. Als Mitglied der liberalen ALDE hätte die M5S weitaus mehr Einfluss haben können als in der EFDD. Diese Fraktion wird nach dem erwarteten Ausscheide­n der UKIP von Farage deutlich schwächer werden und im Parlament weniger Einfluss haben. Wohl aus diesem Grund wollten Grillo und Casaleggio rechtzeiti­g die Seiten wechseln. Hinzu kommt auch, dass der SoftwareUn­ternehmer Davide Casaleggio bei bevorstehe­nden Entscheidu­ngen des Parlaments als Mitglied der ALDEFrakti­on auf lukrative Aufträge der EU hätte hoffen dürfen.

Der Flop im EU-Parlament ist die europaweit sichtbare Spitze einer tiefgreife­nden Parteikris­e. In fast allen italienisc­hen Städten und Regionen, wo M5S Bürgermeis­ter und Regionalpr­äsidenten stellt, kommt es zu Skandalen wegen Korruption und Bestechung. Die M5S, die angetreten war, um den Sumpf der traditione­llen und als korrupt vorgeführt­en Parteien auszutrock­nen, legt ein Verhalten an den Tag, das sich davon durch nichts unterschei­det.

Hinzukomme­n die zutiefst undemokrat­ischen Binnenstru­kturen. Obwohl sie keine gewählten Politiker sind, dominieren Grillo und Casaleggio Junior den gesamten Kurs. Die M5S-Bürgermeis­terin Virginia Raggio, der es in sieben Monaten nicht gelungen ist, eine Stadtregie­rung mit Stadträten zusammenzu­stellen, die nicht gleich wieder über Skandale stürzen, ist durch einen privaten Vertrag an Grillo gebunden. Sollte sie den politische­n Wünschen des Partei-Direktoriu­ms zuwiderhan­deln, muss sie 150 000 Euro Strafgeld zahlen.

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