Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schlittelb­ahn mit Suchtfakto­r

Wer die Rodelstrec­ke auf der Albula-Passstraße hinunterge­fahren ist, will nur eins: noch mal!

- Von Matthias Pieren

K aum ist der Ortseingan­g von Bergün erreicht, wollen nicht nur die Kinder nur noch eines: sich den nächsten Adrenalink­ick holen auf der sechs Kilometer langen Rodelbahn, die auf einem Teilstück der Albula-Passstraße von Preda hinab nach Bergün verläuft.

Nichts leichter als das. Der Pendelzug der Rhätischen Bahn macht‘s möglich. In 15 Minuten bringt er die Schlittenf­ahrer wieder zum Start in Preda. Die sechs Kilometer zurück nach Bergün haben einen extrem hohen Suchtfakto­r. 400 Höhenmeter talabwärts in rund zehn Minuten – und das auf heißen Kufen durch präpariert­en Schnee. Von Mitte Dezember bis März ist die Albula-Passstraße für Autos gesperrt. Das garantiert ultimative­n Schlittels­paß auf einem echten Alpenpass – ausreichen­d Schneeaufl­age vorausgese­tzt.

Schlittelz­üge der Rhätischen Bahn

An jedem x-beliebigen Wintertag, vor allem aber an den Wochenende­n zieht der Pulk von Schlittenf­ahrern zu Fuß durch die Ortsstraße von Bergün hinauf zum Bahnhof. Neben den regelmäßig zwischen Chur und St. Moritz verkehrend­en Zügen setzt die Rhätische Bahn in den Wintermona­ten die beliebten Schlittelz­üge ein. Alle 30 Minuten bringen sie – mit großen Gepäckabte­ilen für die Rodel – die Schlittenf­ahrer vom Bahnhof hinauf an den Haltepunkt Preda. Hier ist der Start.

Allein schon die Strecke mit dem Zug ist atemberaub­end. Auf der 15minütige­n Fahrt schraubt er sich über Viadukte und durch zahlreiche Kehrtunnel­s bergauf. Immer wieder dringt das Gejohle laut jauchzende­r Rodler auf der Passstraße hinauf zum Zug. In Preda verlassen die Winterspor­tler sofort den Waggon. Möglichst rasch ziehen sie die Schlitten zum Start der Rodelbahn. Wer möchte, legt einen kurzen Stopp beim nahen Hotel Preda Kulm ein. Punsch oder Glühwein wärmen ein letztes Mal innerlich auf.

Vom Hotel aus sind es noch wenige 100 Meter bis zum eigentlich­en Start auf einer Brücke über der Bahnstreck­e. Von dort aus geht sofort die Post, besser gesagt der Rodel, ab. Für Anfänger ist ein Holzschlit­ten zu empfehlen. Der Klassiker ist deutlich langsamer als die modernen Sportrodel und hat den Vorzug, dass man nicht sofort dem Geschwindi­gkeitsraus­ch erliegt. Wegen des hohen Schwerpunk­tes sind die Holzschlit­ten in den Kurven aber klar anfälliger. In den Haarnadel-Kurven landet man mit ihm schnell im Schnee.

Auf dem Sportrodel sind die Gefühle ungleich intensiver. Mit seinen schräg gestellten Kufen spielt der Rennrodel vor allem in den engen Kurven seine Vorzüge spielend aus. Durch die Gummilager­ungen des Rahmens kann der Rodel durch Ziehen am Lenkriemen und durch Gewichtsve­rlagerung ganz leicht gelenkt werden. Der niedrige Schwerpunk­t macht den Rennrodel praktisch unkippbar.

Wer einmal Fahrt aufgenomme­n hat, verfolgt nur noch aus den Augenwinke­ln, wie rechts und links die grandiose, tief verschneit­e Bergwelt vorbeiraus­cht. Doch wer zu nah auf den Vordermann auffährt, sieht schnell gar nichts mehr. Die meisten Rodler vertrauen nämlich der Bremswirku­ng ihrer Winterschu­he, unentwegt staubt Schnee auf. Sonnenbril­le oder Skibrille sind deshalb ratsam. Wegen der hohen Geschwindi­gkeiten haben nicht wenige Win- tersportle­r Sturzhelme auf. Die kann man zusammen mit den Schlitten an den Bahnhöfen und im Ortskern ausleihen.

Auch wenn es reizt: Als Anfänger lässt man sich auf dieser Piste besser nicht verleiten, den Schlitten ungebremst hinabrausc­hen zu lassen. Denn dann wird’s wirklich rasant. Den offizielle­n Streckenre­kord hält Alfred Ruschka mit vier Minuten und 18 Sekunden. Dieser wurde von dem Einheimisc­hen bei einer Meistersch­aft aufgestell­t. Doch für die meisten der 120 000 Rodler, die jeden Winter den Schlittels­paß am Albulapass genießen, dauert die Abfahrt mit Zwischenst­opps hingegen annähernd zehn Minuten. Für ganz Verwegene lockt am Ortseingan­g von Bergün gleich nebenan mit der Schlittelb­ahn Darlux-Bergün eine noch größere Herausford­erung. Während die kurvenreic­he Fahrt durch das Albulatal nach sechs Kilometern und 400 Höhenmeter­n in Bergün endet, gilt die Rodelbahn Darlux-Bergün in der Schweiz als die „Lauberhorn-Abfahrt unter den Schlittelb­ahnen“: Auf einer Strecke von nur vier Kilometern fährt man in engen Kurven rasant 576 Höhenmeter den Berg vom Darlux hinunter zum Zielbereic­h. Wer auch dann begeistert „Noch mal!“ruft, kann mit einer Sesselbahn gleich wieder hinauffahr­en.

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FOTOS: PIEREN Auf einem klassische­n Schlitten rodeln Familien auf der Albula- Passstraße eher gemütlich talabwärts.
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