Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schlittelbahn mit Suchtfaktor
Wer die Rodelstrecke auf der Albula-Passstraße hinuntergefahren ist, will nur eins: noch mal!
K aum ist der Ortseingang von Bergün erreicht, wollen nicht nur die Kinder nur noch eines: sich den nächsten Adrenalinkick holen auf der sechs Kilometer langen Rodelbahn, die auf einem Teilstück der Albula-Passstraße von Preda hinab nach Bergün verläuft.
Nichts leichter als das. Der Pendelzug der Rhätischen Bahn macht‘s möglich. In 15 Minuten bringt er die Schlittenfahrer wieder zum Start in Preda. Die sechs Kilometer zurück nach Bergün haben einen extrem hohen Suchtfaktor. 400 Höhenmeter talabwärts in rund zehn Minuten – und das auf heißen Kufen durch präparierten Schnee. Von Mitte Dezember bis März ist die Albula-Passstraße für Autos gesperrt. Das garantiert ultimativen Schlittelspaß auf einem echten Alpenpass – ausreichend Schneeauflage vorausgesetzt.
Schlittelzüge der Rhätischen Bahn
An jedem x-beliebigen Wintertag, vor allem aber an den Wochenenden zieht der Pulk von Schlittenfahrern zu Fuß durch die Ortsstraße von Bergün hinauf zum Bahnhof. Neben den regelmäßig zwischen Chur und St. Moritz verkehrenden Zügen setzt die Rhätische Bahn in den Wintermonaten die beliebten Schlittelzüge ein. Alle 30 Minuten bringen sie – mit großen Gepäckabteilen für die Rodel – die Schlittenfahrer vom Bahnhof hinauf an den Haltepunkt Preda. Hier ist der Start.
Allein schon die Strecke mit dem Zug ist atemberaubend. Auf der 15minütigen Fahrt schraubt er sich über Viadukte und durch zahlreiche Kehrtunnels bergauf. Immer wieder dringt das Gejohle laut jauchzender Rodler auf der Passstraße hinauf zum Zug. In Preda verlassen die Wintersportler sofort den Waggon. Möglichst rasch ziehen sie die Schlitten zum Start der Rodelbahn. Wer möchte, legt einen kurzen Stopp beim nahen Hotel Preda Kulm ein. Punsch oder Glühwein wärmen ein letztes Mal innerlich auf.
Vom Hotel aus sind es noch wenige 100 Meter bis zum eigentlichen Start auf einer Brücke über der Bahnstrecke. Von dort aus geht sofort die Post, besser gesagt der Rodel, ab. Für Anfänger ist ein Holzschlitten zu empfehlen. Der Klassiker ist deutlich langsamer als die modernen Sportrodel und hat den Vorzug, dass man nicht sofort dem Geschwindigkeitsrausch erliegt. Wegen des hohen Schwerpunktes sind die Holzschlitten in den Kurven aber klar anfälliger. In den Haarnadel-Kurven landet man mit ihm schnell im Schnee.
Auf dem Sportrodel sind die Gefühle ungleich intensiver. Mit seinen schräg gestellten Kufen spielt der Rennrodel vor allem in den engen Kurven seine Vorzüge spielend aus. Durch die Gummilagerungen des Rahmens kann der Rodel durch Ziehen am Lenkriemen und durch Gewichtsverlagerung ganz leicht gelenkt werden. Der niedrige Schwerpunkt macht den Rennrodel praktisch unkippbar.
Wer einmal Fahrt aufgenommen hat, verfolgt nur noch aus den Augenwinkeln, wie rechts und links die grandiose, tief verschneite Bergwelt vorbeirauscht. Doch wer zu nah auf den Vordermann auffährt, sieht schnell gar nichts mehr. Die meisten Rodler vertrauen nämlich der Bremswirkung ihrer Winterschuhe, unentwegt staubt Schnee auf. Sonnenbrille oder Skibrille sind deshalb ratsam. Wegen der hohen Geschwindigkeiten haben nicht wenige Win- tersportler Sturzhelme auf. Die kann man zusammen mit den Schlitten an den Bahnhöfen und im Ortskern ausleihen.
Auch wenn es reizt: Als Anfänger lässt man sich auf dieser Piste besser nicht verleiten, den Schlitten ungebremst hinabrauschen zu lassen. Denn dann wird’s wirklich rasant. Den offiziellen Streckenrekord hält Alfred Ruschka mit vier Minuten und 18 Sekunden. Dieser wurde von dem Einheimischen bei einer Meisterschaft aufgestellt. Doch für die meisten der 120 000 Rodler, die jeden Winter den Schlittelspaß am Albulapass genießen, dauert die Abfahrt mit Zwischenstopps hingegen annähernd zehn Minuten. Für ganz Verwegene lockt am Ortseingang von Bergün gleich nebenan mit der Schlittelbahn Darlux-Bergün eine noch größere Herausforderung. Während die kurvenreiche Fahrt durch das Albulatal nach sechs Kilometern und 400 Höhenmetern in Bergün endet, gilt die Rodelbahn Darlux-Bergün in der Schweiz als die „Lauberhorn-Abfahrt unter den Schlittelbahnen“: Auf einer Strecke von nur vier Kilometern fährt man in engen Kurven rasant 576 Höhenmeter den Berg vom Darlux hinunter zum Zielbereich. Wer auch dann begeistert „Noch mal!“ruft, kann mit einer Sesselbahn gleich wieder hinauffahren.