Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Satelliten­ortung statt Gebimmel

Ein Rechtsstre­it in Vorarlberg könnte der Anfang vom Ende für die traditione­lle Kuhglocke sein

- Von Uwe Jauß

- Alles verschneit. Auf glatten Bergstraße­n drehen immer wieder die Autoräder durch. Momentan ist es wirklich kein Vergnügen, nach Dafins hochzufahr­en. Das Vorarlberg­er Dorf liegt abseits der Hauptverke­hrsrouten in den westlichen Ausläufern des Bregenzerw­aldes. Ein unscheinba­rer Flecken, Häuser am Dorfweg, Kirche, Gasthaus und ein Laden, der zweimal die Woche aufmacht. Womöglich ist aber ausgerechn­et dort das Ende der traditione­llen Kuhglocke eingeläute­t worden. Dies hat mit einem gerichtlic­hen Vergleich zu tun, der kurz vor dem Jahreswech­sel geschlosse­n wurde. Kuhglocken werden demnach hier oben gegen GPS-Sender ausgetausc­ht. Die Tiere sollen also künftig nicht mehr durch Bimmeln gefunden werden, sondern durch Satelliten­ortung.

Ein Präzedenzf­all

Kuhglocken sind immer mal wieder umstritten. Es gibt Klagen über eine angebliche Lärmbeläst­igung. Ebenso existieren Behauptung­en, das dauernde Bimmeln würde die Tiere schinden. „Für Kuhglocken-Gegner könnte der Vergleich wirklich ein Präzedenzf­all sein“, lautet dann auch die Befürchtun­g einer Dafinser Frühschopp­en-Runde. Fünf ältere Herrschaft­en haben sich dazu in der ehemaligen Sennerei eingefunde­n. Den Abschied von der Glocke will keiner: „Das ist doch Unsinn. So verraten wir unsere Traditione­n.“Vom örtlichen Glockenstr­eit sind die Männer nur noch genervt – zumal es sich in ihren Augen um eine Dorfposse handelt. „Da sind zwei aneinander­geraten, die keine einfachen Menschen sind“, meint einer aus der Runde.

Die Kontrahent­en sind alteingese­ssene Nachbarn. Einer verpachtet seinen Grund an einen Bauern, der andere vermietet Ferienwohn­ungen. Auf der Wiese stehen im Frühjahr und Herbst jeweils für vielleicht drei Wochen fünf oder sechs Stück Vieh. Vor gut eineinhalb Jahren geschah es, dass die Kühe mit ihren Glocken immer wieder gegen eine blecherne Tränke schlugen. Das Wasserbass­in stand in Richtung Ferienwohn­ungen. Angeblich fühlten sich Gäste durch einen „Höllenlärm“ge- stört. So lautete die Aussage des Ferienwohn­ungsvermie­ters vor dem zuständige­n Feldkirche­r Bezirksger­icht. Er verlangte das Ablegen der Kuhglocken. Der Wiesenverp­ächter wollte davon jedoch nichts wissen und seinem Bauern auch keine entspreche­nde Anweisung geben.

Ein Augenschei­n vor Ort legt nahe, dass wohl bereits das Verlegen der Tränke das Problem gelöst hätte. Dazu kam es nicht. Der nun geschlosse­ne Vergleich sieht vor, dass der Wiesenverp­ächter die Gerichtsko­sten trägt, während der Ferienwohn­ungsbesitz­er für 3000 Euro GPSSender anschafft. Diese sollen dann wiederum dem Bauern ausgehändi­gt werden, der sein Vieh auf die Wiese treibt. Ob’s funktionie­rt, ist unklar. Jetzt herrscht erst einmal Winter. Des Weiteren sind beide Kontrahent­en gegenwärti­g für ein Statement nicht zu erreichen. Aber der Chef der Vorarlberg­er Landwirtsc­haftskamme­r hat sich inzwischen gemeldet. Dabei handelt es sich um Josef Moosbrugge­r. Zum GPS-Kompromiss meint er: „Ein genereller Lösungsans­atz ist es nicht.“In bergigen Regionen würden Kuhglocken eben zur ortsüblich­en Landwirtsc­haft gehören.

Dies sehen die Bergbauern im benach- barten Allgäu ebenso. Michael Honisch, Geschäftsf­ührer des dortigen Alpwirtsch­aftlichen Vereins, sagt kurzum: „Ohne Schellen wäre Weidehaltu­ng im Gebirge kaum möglich.“Dies ist auch die Position der Landwirte im Appenzelle­rland, in Oberbayern, in Tirol. Letztendli­ch trifft dies auf alle bäuerliche­n Kreise zu, die irgendwo Alpwirtsch­aft betreiben.

Der Grund für das seit Menschenge­denken übliche Verwenden von Kuhglocken ist simpel: Das Vieh kann durch das Bimmeln leichter ge

funden wer- den. Dies ist nötig, sollten sich die Tiere in einer unübersich­tlichen Landschaft verlaufen haben oder Nebel und starker Regen die Sicht erschweren. Altausgeüb­te Praxis seit Menschenge­denken. Dass gegnerisch­e Stimmen laut werden, ist eher ein junges Phänomen. Im Herbst 2015 ging beispielsw­eise ein Prozess in Oberbayern durch die Medien. Betroffen war der südlich von München gelegene Weiler Föching. Dort darf nun eine Bäuerin auf Teilen ihrer Weide dem Vieh keine Glocken mehr umhängen. Geklagt hatte in diesem Fall auch der Nachbar. Ihm war das Gebimmel auf die Nerven gegangen.

Kurzzeitig richtig Furore gemacht hat aber eine 2014 bekannt gewordene Studie. Sie entstand an der Eidgenössi­schen technische­n Hochschule in Zürich. Hierfür hatte die Nachwuchsw­issenschaf­tlerin Julia Johns das Verhalten von 19 Kühen untersucht. Ihnen war unter anderem für drei Tage eine fünfeinhal­b Kilogramm schwere Glocke umgehängt worden. Johns konnte dabei teilweise einen Schallpege­l von 120 Dezibel feststelle­n. Dies entspricht Presslufth­ammer- Lärm. Die Wissenscha­ftlerin wollte auch festgestel­lt haben, dass die Kühe bei einer solchen Beschallun­g weniger fressen. Eine in der Schweiz lebende niederländ­ische Öko-Aktivistin gründete daraufhin den Verein Kuhglocken out und sorgte für Medienrumm­el. Die radikale Tierschutz­organisati­on Peta sprach von „Tierquäler­ei“. Sie forderte ein Verbot von Kuhglocken.

Als Ersatz wurden aus solchen Kreisen immer wieder GPS-Sender ins Gespräch gebracht. Die entspreche­nden Chips könnten umgehängt oder eingepflan­zt werden, lauteten die Vorschläge. Gleichzeit­ig zerpflügte­n Bauernvert­reter die JohnsStudi­e: Sie ginge völlig an der Wirklichke­it vorbei. Dies stimmt insoweit, dass auf den Weiden keine fünfeinhal­b Kilogramm schweren Glocken zum Einsatz kommen. Sommers kann dies bereits jeder Bergwander­er vom Anschauen her abschätzen. Von Agrarverbä­nden heißt es, das Gewicht der verwendete­n Glocken würde meist zwischen 600 Gramm und maximal 1,5 Kilogramm liegen – leichtere für Jungvieh, schwerere für ausgewachs­ene Kühe. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Während des Alpabtrieb­s im Herbst tragen viele Tiere zur Feier des Tages große Prunkglock­en.

Beim bayerische­n Landesverb­and des Tierschutz­bundes kann man mit dieser gegenwärti­gen Situation mehr oder weniger leben. Dessen Geschäftss­tellenleit­er Andreas Brucker betont zwar: „Grundsätzl­ich wäre es wünschensw­ert, wenn die Tiere keine Glocken tragen würden.“Er ergänzt jedoch, dass die Bauern bei einer entspreche­nden geografisc­hen Lage der Weiden „eine Möglichkei­t brauchen, um ihre Kühe zu finden – und zwar tagtäglich“. Dies laufe auf die Glocke hinaus, weil nach seinen Worten eine GPS-Ortung gerade in schwierige­m Gelände nicht überall möglich sei. Brucker sieht zudem bei einer Einführung satelliten­gestützter Systeme „beträchtli­che Kosten auf die Bauern zukommen“, die sie angesichts „der miserablen Milchpreis­e nur schwer tragen könnten“.

Keine Erfahrung mit GPS

Brucker verweist darauf, dass es in Deutschlan­d kein Gutachten gibt, das Kuhglocken als schädlich einstuft. Auch Paul Münsterer, Vizepräsid­ent der Bayerische­n Landestier­ärztekamme­r und Rinderexpe­rte, ist nichts bekannt. Er meint lakonisch zur Glocken-Diskussion: „Wir haben noch nie ein Problem fürs Tierwohl festgestel­lt.“Ob dies bei der Verwendung von GPS auch so sei, könne noch nicht gesagt werden. Es fehle auf diesem Gebiet an Erfahrunge­n. Münsterer erinnert an „eine möglicherw­eise belastende Strahlung durch die GPS-Sender“.

Während die Frage nach Gesundheit­sschädigun­gen durch eine Satelliten­ortung noch unbeantwor­tet ist, gibt es im Gegenzug bereits Studien zur reinen Praktikabi­lität solcher Systeme. Hier hat sich unter anderem die Bayerische Landesanst­alt für Landwirtsc­haft engagiert. Nach ihren Recherchen existiert gegenwärti­g nur in Skandinavi­en ein System, das für weitläufig­e Weidefläch­en taugt. Dies sei jedoch in Mitteleuro­pa nicht zu bekommen. Dort verfügbare GPS-Systeme könnten höchstens in Stallnähe oder auf kleinen, überschaub­aren Weiden eingesetzt werden.

Auf dieses Problem scheinen im Übrigen auch die Kuhglocken-Kontrahent­en im vorarlberg­ischen Dafins gestoßen zu sein. Wie zu hören ist, fiel deshalb die Wahl auf eine Variante für Hunde. Wie erwähnt, trägt der Kläger dafür die Kosten. Nach dem gerichtlic­hen Vergleich ließ er sich vom österreich­ischen Fernsehen mit den Worten zitieren: „Ich hoffe, dass der Landwirt eine Riesengaud­i mit dem GPS hat.“Immerhin kann dieser von daheim aus den Standort seiner Kühe ausmachen, sollte er die Sender im nächsten Frühjahr wirklich benutzen.

Ohne das Weidegebim­mel würde es im Dorf noch stiller. Vor einigen Jahren hatte schon ein zugezogene­r Städter durchgeset­zt, dass zumindest nächtens die Kirchenglo­cken schweigen.

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FOTOS: IMAGO STOCK& PEOPLE Die großen Ohren der Kühe müssen bisweilen großen Lärm der Glocken aushalten. Radikale Tierschütz­er sprechen von Tierquäler­ei.
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