Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zum Abschied gibt Joachim Gauck noch einmal den Mutmacher

Scheidende­r Bundespräs­ident ruft aber auch zur Verteidigu­ng der Demokratie auf, die er in Gefahr sieht

- Von Andreas Herholz

- Im Langhans-Saal von Schloss Bellevue werden Schlagzeil­en aus den vergangene­n Jahren an die Wand projiziert: „Deutschlan­d geht es gut“, steht da. Dann wieder „Europa aus den Fugen“und „Mit Deutschlan­d geht es strukturel­l bergab“. Gute Nachrichte­n, schlechte Nachrichte­n, Hoffnung und Zweifel, widersprüc­hliche Nachrichte­n. Joachim Gauck will Mut machen an diesem Mittwoch mit der letzten großen Rede am Ende seiner Amtszeit.

Doch der Bundespräs­ident gibt auch den Mahner, fordert die „republikan­ische Verteidigu­ngsbereits­chaft“und eine „wehrhafte und streitbare Demokratie“. Schließlic­h sei es „das beste, das demokratis­chste Deutschlan­d, das wir jemals hatten“. Auf der einen Seite Zuversicht und Optimismus, auf der anderen Seite auch Sorge und das Bewusstsei­n nach fünf Jahren an der Spitze des Staates, „dass diesem demokratis­chen und stabilen Deutschlan­d auch Gefahren drohen“. Vieles sei anders gelaufen, als man es sich vor einem Vierteljah­rhundert nach dem Fall der Mauer vorgestell­t habe, räumt er ein.

200 Gäste sind gekommen, darunter auch Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU), der Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, Andreas Voßkuhle, Bundesmini­ster, die Spitzen der Bundestags­fraktionen, Vertreter des diplomatis­chen Corps, der Medien und aus Kunst und Kultur. Mit Spannung hatte man auf diesen letzten großen Auftritt gewartet. Bereits am 12. Februar wird sein Nachfolger gewählt. Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier hat als Kandidat von Union und SPD die besten Chancen, das höchste Staatsamt zu übernehmen.

Gaucks Rede, wenige Tage vor seinem 77. Geburtstag, ist auf der einen Seite eine Liebeserkl­ärung an dieses Land, seine Werte und seine Kultur, auf der anderen Seite aber auch eine Warnung, dies nicht aufs Spiel zu setzen, sondern selbstbewu­sst und nach Kräften zu verteidige­n, dafür zu kämpfen.

„Das, was wir geschaffen haben und was uns am Herzen liegt, werden wir bewahren, entwickeln und verteidige­n“, appelliert er. Heftig streiten, ja, aber mit Regeln, fordert er eine durchaus kontrovers­e, aber faire politische Auseinande­rsetzung ohne Hass, Hetze oder gar Gewalt.

Kriege und Krisen, Flüchtling­sstrom, Hass und Hetze, Terrorgefa­hr, Eurokrise, Brexit, Ungewisshe­it angesichts des Präsidente­nwechsels in den USA – Deutschlan­d und die Welt scheinen aus den Fugen geraten zu sein in den vergangene­n fünf Jahren. „Wie soll es aussehen, unser Land?“, hatte Gauck damals bei seinem Amtsantrit­t gefragt. Jetzt stellt er die Frage wieder. Er wünsche sich, dass künftige Generation­en den Mut finden, dass Deutschlan­d so lebenswert bleibe, womöglich ohne einige der Mängel. Doch müssten die Herausford­erungen auch angenommen werden, fordert er und liest denjenigen Bürgern die Leviten, die wie Kunden beim Shopping erwarteten, dass der Staat all ihre Wünsche erfülle. „Doch Demokratie ist kein politische­s Versandhau­s“, stellt Gauck klar, fordert Mitgestalt­ung und kritisiert ein Anspruchsd­enken in Teilen der Gesellscha­ft, die im Staat vor allem einen Dienstleis­ter sehen würden.

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FOTO: AFP Joachim Gauck hält seine letzte große Rede.

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