Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Zum Abschied gibt Joachim Gauck noch einmal den Mutmacher
Scheidender Bundespräsident ruft aber auch zur Verteidigung der Demokratie auf, die er in Gefahr sieht
- Im Langhans-Saal von Schloss Bellevue werden Schlagzeilen aus den vergangenen Jahren an die Wand projiziert: „Deutschland geht es gut“, steht da. Dann wieder „Europa aus den Fugen“und „Mit Deutschland geht es strukturell bergab“. Gute Nachrichten, schlechte Nachrichten, Hoffnung und Zweifel, widersprüchliche Nachrichten. Joachim Gauck will Mut machen an diesem Mittwoch mit der letzten großen Rede am Ende seiner Amtszeit.
Doch der Bundespräsident gibt auch den Mahner, fordert die „republikanische Verteidigungsbereitschaft“und eine „wehrhafte und streitbare Demokratie“. Schließlich sei es „das beste, das demokratischste Deutschland, das wir jemals hatten“. Auf der einen Seite Zuversicht und Optimismus, auf der anderen Seite auch Sorge und das Bewusstsein nach fünf Jahren an der Spitze des Staates, „dass diesem demokratischen und stabilen Deutschland auch Gefahren drohen“. Vieles sei anders gelaufen, als man es sich vor einem Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer vorgestellt habe, räumt er ein.
200 Gäste sind gekommen, darunter auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, Bundesminister, die Spitzen der Bundestagsfraktionen, Vertreter des diplomatischen Corps, der Medien und aus Kunst und Kultur. Mit Spannung hatte man auf diesen letzten großen Auftritt gewartet. Bereits am 12. Februar wird sein Nachfolger gewählt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat als Kandidat von Union und SPD die besten Chancen, das höchste Staatsamt zu übernehmen.
Gaucks Rede, wenige Tage vor seinem 77. Geburtstag, ist auf der einen Seite eine Liebeserklärung an dieses Land, seine Werte und seine Kultur, auf der anderen Seite aber auch eine Warnung, dies nicht aufs Spiel zu setzen, sondern selbstbewusst und nach Kräften zu verteidigen, dafür zu kämpfen.
„Das, was wir geschaffen haben und was uns am Herzen liegt, werden wir bewahren, entwickeln und verteidigen“, appelliert er. Heftig streiten, ja, aber mit Regeln, fordert er eine durchaus kontroverse, aber faire politische Auseinandersetzung ohne Hass, Hetze oder gar Gewalt.
Kriege und Krisen, Flüchtlingsstrom, Hass und Hetze, Terrorgefahr, Eurokrise, Brexit, Ungewissheit angesichts des Präsidentenwechsels in den USA – Deutschland und die Welt scheinen aus den Fugen geraten zu sein in den vergangenen fünf Jahren. „Wie soll es aussehen, unser Land?“, hatte Gauck damals bei seinem Amtsantritt gefragt. Jetzt stellt er die Frage wieder. Er wünsche sich, dass künftige Generationen den Mut finden, dass Deutschland so lebenswert bleibe, womöglich ohne einige der Mängel. Doch müssten die Herausforderungen auch angenommen werden, fordert er und liest denjenigen Bürgern die Leviten, die wie Kunden beim Shopping erwarteten, dass der Staat all ihre Wünsche erfülle. „Doch Demokratie ist kein politisches Versandhaus“, stellt Gauck klar, fordert Mitgestaltung und kritisiert ein Anspruchsdenken in Teilen der Gesellschaft, die im Staat vor allem einen Dienstleister sehen würden.