Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Obama lässt späte Gnade walten

Chelsea Manning kommt nach sieben Jahren in Haft frei – Wikileaks-Gründer Julian Assange bleibt im Exil

- Von Frank Herrmann

- Kurz vor Ende seiner Amtszeit begnadigt US-Präsident Barack Obama die Whistleblo­werin Chelsea Manning. Sie sitzt seit sieben Jahren im Gefängnis, weil sie geheime Militärdok­umente an die Plattform Wikileaks weitergele­itet hat. Andere Whistleblo­wer hingegen können nicht auf Gnade hoffen.

Zuletzt waren alarmieren­de Nachrichte­n aus Fort Leavenwort­h gekommen. Chelsea Manning habe zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Man konnte ahnen, welche Seelenqual­en sie litt in dem Militärgef­ängnis in Kansas. Zumal sie sich, geboren als Bradley Manning, als Frau fühlte. Zumal sie in einer Haftanstal­t eingesperr­t war, in der sonst nur Männer einsaßen. Vor Monaten trat sie in den Hungerstre­ik, den sie erst beendete, als die Armee zugesagt hatte, auf ihre Bitte nach einer Geschlecht­sumwandlun­g einzugehen.

Die Strafe sei ungerecht und empörend, „sie steht in keinem Verhältnis zu dem, was ich getan habe“, schrieb die 29-Jährige in einem Gnadengesu­ch. In einer seiner letzten Amtshandlu­ngen als Präsident hat Barack Obama den Ruf nach Milde erhört. Statt bis 2045 hinter Gittern sitzen zu müssen, kommt Manning in vier Monaten frei. Mit den nahezu sieben Jahren, die sie bereits im Gefängnis verbrachte, habe sie eine angemessen­e Strafe verbüßt, sagt das Weiße Haus. Damit begegnet sie den Einwänden konservati­ver Kritiker, die wie der Senator John McCain von einem schweren Fehler sprechen.

Obama reagiert hart

Obamas Entscheidu­ng kommt insofern überrasche­nd, weil kaum ein anderer US-Präsident mit solcher Härte reagierte, wenn Whistleblo­wer öffentlich machten, was unter Verschluss bleiben sollte. Obama holte ein altes Gesetz aus der Rumpelkamm­er, den „Espionage Act“von 1917, mit dem praktisch jeder, der Interna ausplauder­t, zum Spion erklärt werden kann. Die Causa Manning war nur einer von neun Fällen, in denen sich das Kabinett Obama auf das verstaubte Paragrafen­werk berief, um Whistleblo­wer vor Gericht zu stellen. Zugleich war es der Fall, in dem der Angeklagte derart drakonisch bestraft wurde, dass nicht nur dessen Anhänger von skandalöse­r Übertreibu­ng sprachen

Bradley Manning, wie Chelsea Manning damals noch hieß, war 2009 als Computeran­alyst mit seiner Einheit in den Irak verlegt worden. Im Camp Hammer, einer kleinen Kaserne in der Nähe Bagdads, konnte er auf ein Netzwerk zugreifen, mit dem Streitkräf­te und Botschafte­n der USA kommunizie­ren. Vor einer Militärric­hterin hat er später geschilder­t, wie schockiert er war, als er mitbe- kam, mit welcher „Lust am Töten“die US-Soldaten 2007 an Bord zweier Apache-Hubschraub­er in Bagdad Raketen abfeuerten und 13 Iraker töteten, unter ihnen einen Fotografen der Nachrichte­nagentur Reuters, dessen Kamera die GIs mit einer Waffe verwechsel­ten.

Nicht nur den Videomitsc­hnitt des Angriffs spielte er Wikileaks zu, auch ungefähr 250 000 vertraulic­he Depeschen, in denen amerikanis­che Diplomaten schilderte­n, wie sie wirklich über ihre Gastländer und deren Politiker dachten. Der Obergefrei­te war die Quelle, mit der die von Julian Assange gegründete Enthüllung­splattform ihren ersten großen Coup landete.

Die Reue dient dem Weißen Haus nunmehr als Argument, um auch zu begründen, warum ein Whistleblo­wer ähnlichen Kalibers nicht ebenfalls begnadigt wird: Edward Snowden, das Computerge­nie, das die Abhöroffen­sive der NSA in ihrem ganzen Ausmaß offenlegte. Bei ihm, so Obamas Sprecher Josh Earnest, lägen die Dinge anders. Chelsea Manning habe sich der Justiz gestellt und Fehler eingestand­en. Snowden dagegen sei „in die Arme des Feindes“geflohen.

Assange wiederum hatte einst wissen lassen, dass er sich an die USA ausliefern lassen werde, sobald Manning freikomme. Sobald die Whistleblo­werin auf freiem Fuß sei, sei er bereit, seinen Zufluchtso­rt, die Botschaft Ecuadors in London, zu verlassen, hatte er früher erklärt. Am Mittwoch ließ er seine Anwälte verkünden, er wolle zunächst in der Botschaft bleiben.

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FOTO: DPA Die US- Soldatin Chelsea Manning, hier noch als Bradley Manning, wird begnadigt.

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