Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Arme Bauern und glückliche Hähne
Auf der Grünen Woche geht es um Agrarpreise, Tierwohl und Nahrungsergänzungsmittel
- Noch stehen die Lkw mit den Leckereien aus aller Welt vor dem Messegelände unter dem Berliner Funkturm in der Schlange. Doch bis zur Eröffnung der diesjährigen Grünen Woche am Freitag werden die Spezialitäten appetitlich angerichtet sein. Rund 400 000 Besucher erwartet die größte Leistungsschau der Ernährungswirtschaft in diesem Jahr. Auf sie warten 1650 Aussteller aus 66 Ländern.
Doch bevor die größte Fressmeile der Welt für das Publikum freigegeben wird, bestimmen Politik und Zahlenwerke die Messe. Die Stimmung der Landwirte ist zwar nicht mehr am Tiefpunkt, wie im vergangenen Jahr, als die Milchpreise scheinbar haltlos in den Keller rutschten. Doch besonders gut ist sie auch nicht. „Es stimmt uns zuversichtlich, dass es zu Jahresbeginn auf den Agrarmärkten Zeichen der Besserung gibt“, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Joachim Rukwied. Doch eine spezielle Sorge wird Deutschlands oberster Bauer seinen Kollegen so nicht nehmen können: Die Bodenpreise steigen, was vor allem kleinere Betriebe in Bedrängnis bringt.
Viel positiver ist dagegen die Stimmung der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), sie blickt auf ein Rekordjahr zurück. „Nach aktuellen Schätzungen konnte der Umsatz um zwei Prozent auf 172 Milliarden Euro gesteigert werden“, berichtet BVE-Chef Christoph Minhoff. Die Exporte hätten mit fast 57 Milliarden Euro sogar einen neuen Höchstwert erreicht. Die Verbraucher könnten sich über weiterhin stabile Nahrungsmittelpreise freuen. Das ergab eine Befragung der Nahrungsmittelverarbeiter durch den Verband. „Eine Mehrheit geht davon aus, dass die Verkaufspreise 2017 gleich bleiben“, erläutert Minhoff.
Doch ungeachtet solcher Lichtblicke stehen Landwirte und Industrie vor einer Reihe noch ungelöster Probleme. Wichtigstes Thema auf dieser Grünen Woche wird das Tierwohl sein. Heute stellt Bundesagrarminister Christian Schmidt ein neues Label vor, das für eine tiergerechte Haltung stehen soll. Noch vor dem Auftritt des CSU-Politikers hagelt es aber Kritik von diversen Tierschützern. Streitpunkt ist die Freiwilligkeit der Kennzeichnung. Der Verein Foodwatch erwartet daher nur eine geringe Beteiligung am Gütesiegel. 80 Prozent der Tiere würden weiterhin durch die Haltungsbedingungen erkranken.
Der Bauernverband setzt dagegen auf Freiwilligkeit und verspricht Veränderungen bei der Nutztierhaltung. Die Gesundheit der Schweine, Rinder oder Hühner soll besser werden. Doch von verbindlichen Standards will der Verband nichts wissen. Immerhin gibt es Fortschritte. Auf der Grünen Woche wird eine Technologie vorgeführt, die das Geschlecht von Küken frühzeitig bestimmen kann. Bislang werden die männlichen Tiere kurzerhand getötet, weil sie nicht gebraucht werden. So könnte die Quälerei vielleicht bald der Vergangenheit angehören.
Problem Nitratbelastung
Das ist nicht die einzige Baustelle der Branche. Die EU beklagt schon länger, dass viele Böden in Deutschland zu stark mit Nitrat belastet sind. Auch hier verspricht der Bauernverband eine „Optimierung“der Düngung. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks will sich dagegen mit losen Zusagen nicht begnügen. Sie fordert einen grundsätzlichen Umbau der Agrarwirtschaft und will Subventionen stärker an Umweltkriterien binden. Die Landwirtschaft stoße heute an eine ökologische Grenze, warnt die SPD-Politikerin.
Im Mittelpunkt der Grünen Woche stehen aber die Verbraucher. Die Mes- se wird gerne als Testmarkt für neue Produkte genutzt, kritisch beäugt vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). In diesem Jahr hat sich der vzbv aber nicht die Hauptnahrungsmittel, sondern die zusätzlich konsumierten Nahrungsergänzungsmittel genauer angeschaut. Über eine Milliarde Euro im Jahr geben Verbraucher dafür aus. Vitamine und Mineralstoffe als Pillen oder Brausetabletten finden viele Abnehmer.
Doch der vzbv sieht Risiken und fordert ein staatliches Zulassungsverfahren und eine öffentliche Produktdatenbank für diese Angebote. Ein Test von magnesiumhaltigen Mitteln durch den Verband ergab ein kritisches Bild. 64 Prozent der Proben waren überdosiert. Dadurch könne es zu Durchfall oder Erbrechen kommen, warnen die Experten. „Wir brauchen dringend klare Regeln für sinnvolle Dosierungen“, sagt Klaus Müller. Der vzbv-Chef hält sogar eine Sicherheitsprüfung durch die Behörden für notwendig. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen will auf der Seite künftig über den Nutzen und die Risiken der einzelnen Nahrungsergänzungsmittel informieren.