Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Staatsmänner, Weltenretter, Bösewichte
Das Amt des US-Präsidenten beflügelt die Fantasie der Filmemacher, seit die Bilder laufen lernten
- Es gibt eine Menge Arbeitsplätze, von denen die Öffentlichkeit keine Vorstellung hat. Das Oval Office zählt definitiv nicht dazu. Das Arbeitszimmer des US-Präsidenten ist einer der berühmtesten Arbeitsplätze der Welt, allseits vertraut aus ungezählten Kinofilmen und Fernsehserien. Seit der Erfindung des Films gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat das Amt des USPräsidenten die Fantasie der Filmschaffenden beflügelt. Wer die Liste der Schauspieler ausdrucken möchte, die reale oder fiktive US-Präsidenten gespielt haben, sollte einen dicken Packen Papier einlegen und es nicht allzu eilig haben. Es gibt allein mehr als 200 Darsteller, die schon mal Abraham Lincoln (18611865), einen der charismatischsten US-Präsidenten, gespielt haben.
Von Nicholson bis Douglas
Die tollsten Ideen sind schon verfilmt worden, Jack Nicholson kann ein Lied davon singen. In Tim Burtons durchgeknallter Science-Fiction-Satire „Mars Attacks“von 1996 macht die Hollywood-Ikone als Präsident James Dale unliebsame Bekanntschaft mit mordlüsternen Außerirdischen, denen allein mit Volksmusik beizukommen ist. Kevin Kline muss als Jobvermittler in der Komödie „Dave“(Ivan Reitman 1993) als Präsidentendouble an die Front, und Michael Douglas darf sich in der Schmonzette „Hello, Mr. President“(Rob Reiner 1995) als verwitweter Präsident Andrew Shepherd in eine von Anette Benning gespielte Umweltaktivistin verlieben.
Andererseits hat die Realität genug Futter für die Filmindustrie zu bieten. 21 Attentate auf Präsidenten sind bisher gezählt worden, die USA wurden schon von einem Schauspieler (Ronald Reagan) regiert, zwei Präsidenten (der dritte Amtsträger Thomas Jefferson und sein Vorgänger John Adams) sind am gleichen Tag gestorben: am 4. Juli 1826, dem 50. Jahrestag der Unabhängigkeitsbewegung. Und einer regierte nur für einen Monat – weil er bei seiner Amtseinführung am 4. März 1841 keinen Mantel tragen wollte. Der Anfall von Eitelkeit kam William H. Harrison teuer zu stehen, am 4. April 1841 war sein Leben zu Ende, offenbar wegen einer Lungenentzündung, die er sich bei der Amtseinführung zugezogen hatte.
Man sieht: Wenn es um Originalität geht, liefert das Leben den Filmemachern Steilvorlagen. Inzwischen ist die Welt allerdings so unübersichtlich geworden, dass oft nicht mehr klar ist, ob Hollywood die Realität imitiert oder ob die Realität Anleihen beim Film nimmt. Da gibt es zum Beispiel Mimi Leders „Deep Impact“von 1998, ein eher belangloser Beitrag zum Thema Endzeitthriller. Aber wer sich heute den Ausschnitt mit der Rede des fiktiven Präsidenten Tom Beck an seine Mitbürger anhört, traut seinen Augen und Ohren kaum. Nicht, weil der großartige Morgan Freeman den ersten gewählten schwarzen Präsidenten gibt, sondern weil Freeman in Tonfall, Diktion und Habitus eine verblüffende Ähnlichkeit mit Barack Obama aufweist, der zehn Jahre nach diesem Film erster schwarzer Präsident der USA wurde.
Vielleicht hat sich Obama den Film damals ja genau angeschaut: Die 16 Prozent der Stimmen, die Freeman bei der Umfrage „Welchen Film-Präsidenten sähen Sie gerne im Weißen Haus“abkassierte, sind politisch ja nicht zu verachten. Vom Film inspirieren ließ sich, wie könnte es anders ein, auf jeden Fall Ronald Reagan. Vom ersten Schauspieler im Weißen Haus gibt es die Anekdote, dass er sehr enttäuscht reagiert habe, als ihm eröffnet wurde, dass es den imposanten War Room aus Stanley Kubricks 1964er-Politsatire „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Morgan Freeman ist bei besagter Umfrage übrigens nur Zweiter geworden: hinter Harrison Ford, der es als Präsident James Marshall in Wolfgang Petersens Entführungsthriller „Air Force One“ganz alleine mit den Gegnern aufnimmt – ganz im Stil des vielfachen Weltenretters Bruce Willis. Leute, die das intellektuell kommode Schwarz-Weiß-Raster bedienen, sind schwer im Kommen – nicht nur in den USA.
Brillanter Schurke
Inzwischen dürfen die „Führer der westlichen Welt“sogar so viel Dreck am Stecken haben, dass selbst Richard Nixon, der einzige zurückgetretene Präsident, erbleichen würde. Dramaturgisch hochwertige Serien wie „House of Cards“, in der Kevin Spacey brillant den Schurken Francis Underwood gibt, haben idealistischen Präsidentendarstellungen über Schauspielergenerationen von Henry Fonda bis Daniel Day-Lewis den Rang abgelaufen. Man hätte ahnen können, dass das Leben Hollywood bald mal wieder imitiert. Aber selbst im Herzen von Fantasialand rechnete niemand damit, dass ein Behindertenbeleidiger, der mit Vorliebe gegen Minderheiten hetzt und ein stammtischkompatibles Weltbild pflegt, den Präsidentenstuhl besteigt.
Obwohl: „Niemand“ist nicht ganz korrekt. Ein paar wenige clevere Leute in der Filmfabrik haben es zumindest geahnt – schon lange. In der legendären „Simpsons“-Folge „Bart to the Future“träumte der Zehnjährige Spross von Springfields Kultfamilie bereits im Jahr 2000, dass Donald Trump einmal US-Präsident werden würde – und einen riesigen Schuldenberg hinterlässt.