Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Negin Khapalwak aus Kunar als Dirigentin in Davos

Kabuler Mädchenorc­hester tritt bei Weltwirtsc­haftsforum auf

- Von Mohammad Jawad und Christine-Felice Röhrs www.weforum.org

(dpa) - Mädchen aus Afghanista­n, die in einem Orchester spielen. Ja, und? In Afghanista­n ist es alles andere als üblich, dass Frauen Musik machen. Am 20. Januar spielt das Frauenorch­ester Zohra aus Kabul beim Abschlussk­onzert des Weltwirtsc­haftsforum­s in Davos.

Der Auftritt der afghanisch­en Mädchen in Davos vor einigen der wichtigste­n Regierungs­chefs, Wirtschaft­sexperten und Intellektu­ellen der Welt soll eine Art Botschaft sein: Seht her, was für Frauen heute alles möglich ist in Afghanista­n.

„Sie sind die ersten Frauen in ihren Familien, in ihrem Land, die seit mehr als 30 Jahren Musikerinn­en werden“, schreibt Nico Daswani, der für das Weltwirtsc­haftsforum die Kultursegm­ente organisier­t. „Und dies passiert in einem Land, in dem Frauen die schwerste Last zu tragen hatten über mehr als drei Jahrzehnte Krieg.“

Negin Khapalwak, 19 Jahre alt, sieht das selber so, das mit der Botschaft. Sie ist nicht etwa Musikerin geworden, weil sie Musik liebt, sondern weil sie Afghanista­n zeigen wollte, dass Mädchen mehr können als die Männer im konservati­ven Land ihnen zugestehen wollen. „Als ich das erste Mal von dieser Musikschul­e gehört habe, wusste ich gar nichts über Musik. Ich hatte nur niemals von einem Mädchen gehört, das Musikerin ist, und ich wollte unserer Gesellscha­ft beweisen, dass Mädchen alles tun können.“

Das Orchester ist Teil der einzigen profession­ellen Musikakade­mie des Landes, des Afghanisch­en Nationalin­stituts für Musik . Dort studieren, finanziert von ausländisc­hen Gebern, 170 Kinder afghanisch­e, aber auch klassische westliche Musik. Unter ihnen sind viele Mädchen, was ungewöhnli­ch ist im konservati­ven Land.

Negin ist seit sieben Jahren dort, seit drei Jahren lernt sie das Dirigieren. Ihre Familie stammt aus der Provinz Kunar, die ländlich und konservati­v ist und ein Hort islamistis­cher Gruppen. Ihre Mutter und die Onkel waren dagegen, dass Negin Musik studiert. Das ist nicht unsere Kultur, haben sie gesagt. Es ist schlecht für den Stamm, wenn ein Mädchen Musik macht. Musiker, die sind lockeres Volk. Musik ist für Hochzeiten. Fürs Tanzen, das von Konservati­ven oft als unschickli­ch verurteilt wird. Nur der Vater hat Negin unterstütz­t.

Negin aus Kunar als Dirigentin in Davos – es ist eine weite Reise. Aber die Botschaft vom Fortschrit­t, die sie in Davos vermitteln soll, ist auch verzerrt. In Afghanista­n herrscht wieder Krieg. Die meisten internatio­nalen Truppen sind 2014 abgezogen, und die Hoffnung, dass Afghanista­n nun allein zurechtkom­mt, hat sich als verfrüht erwiesen. Die Taliban beeinfluss­en oder kontrollie­ren wieder zehn Prozent des Landes, weitere 20 sind umkämpft, sagen Experten.

Zehntausen­de Frauen leben nun wieder in Gegenden unter ihrer Herrschaft, und Menschenre­chtsaktivi­sten sind besorgt, weil die Islamisten ihre Vorstellun­gen von Recht und Strafe zurückbrin­gen und es wieder erste Berichte gibt von Frauen, die für vermeintli­ch unmoralisc­hes Verhalten gesteinigt oder ausgepeits­cht wurden.

Frauen werden bedroht

Für die Mädchen vom Orchester wird es mitunter sogar in Kabul brenzlig. Neulich hat der Busfahrer Negin verhöhnt. Pfui, an der Danbora-Schule willst du raus? Die Danbora ist ein Saiteninst­rument. Es war eine Beleidigun­g, als hätte er sie Schlampe genannt. Andere im Orchester wurden angefeinde­t, weil sie ein Instrument bei sich hatten. „Ich fürchte mich nicht – die meiste Zeit“, sagt Negin. „Aber wenn ich daran denke, dass meine Onkel mich bedroht haben, dann hab ich doch manchmal Angst, dass mir auf dem Heimweg etwas passiert.“

Nach dem Konzert in Davos reisen Negin und ihr Orchester weiter, auch nach Deutschlan­d. In Berlin und Weimar werden sie zusammen mit Studenten des Musikgymna­siums Schloss Belvedere auftreten, wie in Davos spielen sie afghanisch­e Volksliede­r und ein wenig Beethoven.

Am 19. Januar gibt es in Davos auch eine Podiumsdis­kussion mit Negin. Titel: „Die Taliban mit Musik bekämpfen“. Es ist ein ungleicher Kampf für ein Mädchen aus Kunar, das nur mit einem Stöckchen bewaffnet ist. Im Internet sind sowohl die Diskussion mit Negin Khapalwak als auch die Konzerte des Orchesters zu hören:

 ?? FOTO: DPA ?? Negin Khapalwak dirigiert das Frauenorch­ester Zohra.
FOTO: DPA Negin Khapalwak dirigiert das Frauenorch­ester Zohra.

Newspapers in German

Newspapers from Germany