Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Und wieder bebt die Erde in Italien
Vier Erdstöße erschüttern das Land – Der harte Winter erschwert die Rettungsarbeiten
- Seit Mittwochvormittag bebt in Mittelitalien wieder die Erde. In nur wenigen Stunden gleich viermal mit einer Stärke von mehr als fünf. Tausende von Menschen sind ohne Strom, Heizung und Kontakt zur Außenwelt. Schwere Schneefälle machen Bergungsarbeiten und die Evakuierung der Betroffenen schwer.
Die Straße SS 260 Richtung Montereale ist nur schwer zu befahren. Und nur mit Schneeketten. Seit Tagen schneit es in den Abruzzen. Die letzten knapp 100 Meter bis zum Ortseingang müssen zu Fuß zurückgelegt werden. Der Schnee liegt bis zu einem Meter hoch. Auch im Ortszentrum. Schneepflüge lassen sich, berichtet Donato De Santis, „seit Tagen nicht mehr bei uns sehen, denn in der gesamten Region liegt zu viel Schnee und es ist zu viel zu tun“.
De Santis ist einer von knapp 2800 Bewohnern der in circa 800 Meter Höhe auf einem Berg gelegenen Ortschaft Montereale. Die Regionalhauptstadt l’Aquila, die 2009 von einem schweren Erdbeben zerstört wurde, liegt 30 Kilometer südlich des Dorfes. In Montereale orteten die Experten des Nationalen Erdbebeninstituts in rund neun Kilometern Tiefe das Epizentrum der schweren Beben von Mittwoch. „Viermal bebte es heute ganz gewaltig“, so De Santis, „und wir befürchteten das Schlimmste“. Zwischen 10.25 und 14.33 Uhr wackelte die Erde mit einer Stärke von 5,1 bis 5,5.
Montereale wurde bereits im vergangenen August von schweren Beben getroffen. Es gibt nur einige erd- bebensichere Wohnhäuser, und in die haben sich nach dem ersten Erdstoß Mittwochvormittag die wenigen in der Winterzeit im Dorf lebenden Menschen zurückgezogen.
„Doch wir haben hier seit Mittwochvormittag weder funktionierende Heizungen noch elektrischen Strom und auch keine Telefonverbindungen“, sagt die 94-jährige Francesca Mariuoli. Sie ist bei Verwandten in der Via della Codacchia untergekommen. Man sitzt vor einem Kamin, ein warmes Feuer wärmt die Menschen. Francesca weigerte sich Ende August 2016, ihr Dorf zu verlassen. „Aber jetzt, ohne Strom, Heizung und warmes Wasser“, sagt sie unter Tränen, „kann ich hier nicht bleiben“. In der Region Abruzzen waren am Mittwochnachmittag fast 90 000 Menschen ohne Strom.
Doch wo sollen sie und die übrigen Bewohner aus Montereale und aus den anderen von den neuen Beben betroffenen Ortschaften hin? Rettungsfahrzeuge erreichen Montereale und viele andere Dörfer so gut wie gar nicht. Der starke Schneefall macht es auch den Rettungshubschraubern des staatlichen Zivilschutzes schwer, die Orte im Erdbebengebiet zu erreichen.
In der Ortschaft leben vor allem alte Menschen. Sie wollen hier nur schweren Herzens fort. Aber sie wer- den wohl müssen. Die Temperaturen, so der Wetterdienst, fallen in der Nacht auf rund zehn Grad minus. Ohne warmes Wasser und Heizung sind auch erdbebensichere Wohnhäuser gefährlich kalt.
Wie viele Gebäude in Montereale und der Umgebung zusammengestürzt sind, ist noch unklar. Zum Glück scheine es, als habe es keine Todesopfer gegeben, sagte Ministerpräsident Paolo Gentiloni. Der Chef des Zivilschutzes, Fabrizio Curcio, erklärte am Abend, dass möglicherweise eine Person unter einer Lawine begraben worden sei, die durch die Erdbeben ausgelöst wurde. Bekannt wurde auch, dass eine Mutter und ihr Kind lebend aus der Trümmern geholt wurden. Einige historische Gebäude, ein alter Glockenturm in Amatrice etwa, sind nach den schweren Beben komplett eingestürzt. Die winterlichen Wetterbedingungen, so viel Schnee wie zuletzt in den 1950er-Jahren, berichtet der staatliche Wetterdienst, machten auch Kontroll- und Bergungsarbeiten schwer bis unmöglich.
Bis nach Rom zu spüren
„Wir wissen nicht, wie viele Menschen dort im Kalten und ohne Verbindung zur Außenwelt sitzen“, meint Walter Tostana vom Zivilschutz. „Wir kommen dort wegen des Schnees nicht schnell hin.“So werden einige Hundert Menschen die eisige Nacht in den von den neuen Beben beschädigten Dörfern verbringen müssen. Die Erdstöße waren bis nach Rom zu spüren. In der Hauptstadt wurden Schulen evakuiert und die beiden U-Bahnlinien geschlossen, um sie nach eventuellen Schäden zu untersuchen.
Italiens Erdbebenforscher wundern sich nicht über die neuen Beben. „Im vergangenen August kam es zu Erdbrüchen im Untergrund der Berge der Abruzzen und Marken“, erklärt Gianluca Valensise vom Nationalen Erdbebeninstitut. In Amatrice und in der Umgebung kamen bei dem Erdbeben am 24. August fast 300 Menschen ums Leben. „Die afrikanische Erdplatte rutscht ja unter die eurasische und das sorgt dafür, dass hier die Erdkruste auseinanderbricht und schwere Erdbeben provoziert“, so der Experte. Deshalb müsse auch in Zukunft mit Beben gerechnet werden, auch mit richtig schweren.