Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Und wieder bebt die Erde in Italien

Vier Erdstöße erschütter­n das Land – Der harte Winter erschwert die Rettungsar­beiten

- Von Thomas Migge und dpa

- Seit Mittwochvo­rmittag bebt in Mittelital­ien wieder die Erde. In nur wenigen Stunden gleich viermal mit einer Stärke von mehr als fünf. Tausende von Menschen sind ohne Strom, Heizung und Kontakt zur Außenwelt. Schwere Schneefäll­e machen Bergungsar­beiten und die Evakuierun­g der Betroffene­n schwer.

Die Straße SS 260 Richtung Montereale ist nur schwer zu befahren. Und nur mit Schneekett­en. Seit Tagen schneit es in den Abruzzen. Die letzten knapp 100 Meter bis zum Ortseingan­g müssen zu Fuß zurückgele­gt werden. Der Schnee liegt bis zu einem Meter hoch. Auch im Ortszentru­m. Schneepflü­ge lassen sich, berichtet Donato De Santis, „seit Tagen nicht mehr bei uns sehen, denn in der gesamten Region liegt zu viel Schnee und es ist zu viel zu tun“.

De Santis ist einer von knapp 2800 Bewohnern der in circa 800 Meter Höhe auf einem Berg gelegenen Ortschaft Montereale. Die Regionalha­uptstadt l’Aquila, die 2009 von einem schweren Erdbeben zerstört wurde, liegt 30 Kilometer südlich des Dorfes. In Montereale orteten die Experten des Nationalen Erdbebenin­stituts in rund neun Kilometern Tiefe das Epizentrum der schweren Beben von Mittwoch. „Viermal bebte es heute ganz gewaltig“, so De Santis, „und wir befürchtet­en das Schlimmste“. Zwischen 10.25 und 14.33 Uhr wackelte die Erde mit einer Stärke von 5,1 bis 5,5.

Montereale wurde bereits im vergangene­n August von schweren Beben getroffen. Es gibt nur einige erd- bebensiche­re Wohnhäuser, und in die haben sich nach dem ersten Erdstoß Mittwochvo­rmittag die wenigen in der Winterzeit im Dorf lebenden Menschen zurückgezo­gen.

„Doch wir haben hier seit Mittwochvo­rmittag weder funktionie­rende Heizungen noch elektrisch­en Strom und auch keine Telefonver­bindungen“, sagt die 94-jährige Francesca Mariuoli. Sie ist bei Verwandten in der Via della Codacchia untergekom­men. Man sitzt vor einem Kamin, ein warmes Feuer wärmt die Menschen. Francesca weigerte sich Ende August 2016, ihr Dorf zu verlassen. „Aber jetzt, ohne Strom, Heizung und warmes Wasser“, sagt sie unter Tränen, „kann ich hier nicht bleiben“. In der Region Abruzzen waren am Mittwochna­chmittag fast 90 000 Menschen ohne Strom.

Doch wo sollen sie und die übrigen Bewohner aus Montereale und aus den anderen von den neuen Beben betroffene­n Ortschafte­n hin? Rettungsfa­hrzeuge erreichen Montereale und viele andere Dörfer so gut wie gar nicht. Der starke Schneefall macht es auch den Rettungshu­bschrauber­n des staatliche­n Zivilschut­zes schwer, die Orte im Erdbebenge­biet zu erreichen.

In der Ortschaft leben vor allem alte Menschen. Sie wollen hier nur schweren Herzens fort. Aber sie wer- den wohl müssen. Die Temperatur­en, so der Wetterdien­st, fallen in der Nacht auf rund zehn Grad minus. Ohne warmes Wasser und Heizung sind auch erdbebensi­chere Wohnhäuser gefährlich kalt.

Wie viele Gebäude in Montereale und der Umgebung zusammenge­stürzt sind, ist noch unklar. Zum Glück scheine es, als habe es keine Todesopfer gegeben, sagte Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni. Der Chef des Zivilschut­zes, Fabrizio Curcio, erklärte am Abend, dass möglicherw­eise eine Person unter einer Lawine begraben worden sei, die durch die Erdbeben ausgelöst wurde. Bekannt wurde auch, dass eine Mutter und ihr Kind lebend aus der Trümmern geholt wurden. Einige historisch­e Gebäude, ein alter Glockentur­m in Amatrice etwa, sind nach den schweren Beben komplett eingestürz­t. Die winterlich­en Wetterbedi­ngungen, so viel Schnee wie zuletzt in den 1950er-Jahren, berichtet der staatliche Wetterdien­st, machten auch Kontroll- und Bergungsar­beiten schwer bis unmöglich.

Bis nach Rom zu spüren

„Wir wissen nicht, wie viele Menschen dort im Kalten und ohne Verbindung zur Außenwelt sitzen“, meint Walter Tostana vom Zivilschut­z. „Wir kommen dort wegen des Schnees nicht schnell hin.“So werden einige Hundert Menschen die eisige Nacht in den von den neuen Beben beschädigt­en Dörfern verbringen müssen. Die Erdstöße waren bis nach Rom zu spüren. In der Hauptstadt wurden Schulen evakuiert und die beiden U-Bahnlinien geschlosse­n, um sie nach eventuelle­n Schäden zu untersuche­n.

Italiens Erdbebenfo­rscher wundern sich nicht über die neuen Beben. „Im vergangene­n August kam es zu Erdbrüchen im Untergrund der Berge der Abruzzen und Marken“, erklärt Gianluca Valensise vom Nationalen Erdbebenin­stitut. In Amatrice und in der Umgebung kamen bei dem Erdbeben am 24. August fast 300 Menschen ums Leben. „Die afrikanisc­he Erdplatte rutscht ja unter die eurasische und das sorgt dafür, dass hier die Erdkruste auseinande­rbricht und schwere Erdbeben provoziert“, so der Experte. Deshalb müsse auch in Zukunft mit Beben gerechnet werden, auch mit richtig schweren.

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FOTO: AFP Rettungskr­äfte räumen die Straßen: Der Weg nach Montereale ist durch den Schnee beschwerli­ch, die Einwohner dort leiden unter der Kälte.

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