Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Der Tiefschlag kam schon vor dem Start
Berlin blickt Donald Trumps Amtsübernahme sorgenvoll entgegen
- Die Wirtschaftsbeziehungen sind eng, die politischen Beziehungen auch. So ist es kein Wunder, dass sich Berlin große Sorgen macht: Die USA, jahrzehntelang Schutzmacht und großer Bruder der Deutschen, haben sich verändert. Trump stellte in einem Interview schon Tage vor seinem Start als US-Präsident die Nato und die EU infrage und drohte der deutschen Autoindustrie.
Seine Erklärung, die Nato sei obsolet, hat sowohl in Brüssel als auch in Berlin Besorgnis ausgelöst. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte sich zwar immer noch diplomatisch, aber selten klar für seine Verhältnisse, als er sagte, Trumps Äußerungen seien bei der Allianz „mit Verwunderung und Aufregung“zur Kenntnis genommen worden. So setzten dann auch am gleichen Tag die Interpretationen ein. Schließlich heiße „obsolet“nicht nur überflüssig, sondern auch veraltet – und auch das könnte Trump gemeint haben.
Politische Beobachter sehen in Trumps Äußerungen auch den Versuch, Europa zu spalten. Denn er lobte Angela Merkel als eine der wichtigsten Regierungschefs, um dann hinzuzufügen, dass die EU im Prinzip ein Mittel zum Zweck für Deutschland sei. Und dass der Brexit richtig sei. Die Kanzlerin reagierte betont gelassen, stellte aber gleich klar, dass die Europäer ihr Schicksal selbst in der Hand hätten. Sie werde sich für eine enge Zusammenarbeit der 27 EU-Staaten einsetzen. Lange hatte Berlin – wie die meisten anderen europäischen Regierungen auch – auf Trumps Konkurrentin, Hillary Clinton, gesetzt. Clinton wäre die personifizierte Berechenbarkeit für Europa gewesen. Trump ist nun das Gegenteil.
Dadurch kommt nicht nur die Politik ins Schwitzen. Die deutsche Wirtschaft exportiert für knapp 114 Milliarden Euro Waren in die USA (im Jahr 2015), 640 000 Menschen sind bei deutschen Firmen beschäftigt. Von daher hoffen die deutschen Unternehmen auf Verlässlichkeit und Kontinuität, auch wenn Trump schon 35 Prozent Steuern angekündigt hat für Autos, die in Mexiko für den US-Markt produziert werden. BMW baut dort gerade ein Werk auf.
Ende der Schutzmacht
In einer Allensbach-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift Capital und der FAZ sagen 96 Prozent der deutschen Top-Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung, sie sähen die beginnende US-Präsidentschaft Trumps mit Sorge.
Fest steht bereits, dass Europa sich darauf einstellen muss, mehr als bisher für die eigene Sicherheit zu zahlen. Allerdings hatte auch Obama den Europäern mehr Geld für die Nato abverlangt. Trump ist zu außenpolitischem Engagement bereit, wenn Amerika dabei gewinnt. „Schauen Sie, ich bin kein Politiker“, hat er der „Bild“-Zeitung gesagt. Er sei vielmehr ein „Deal Maker“, sagt Roderich Kiesewetter, Außenexperte der CDU.
Deshalb haben Außenpolitiker in Berlin auch Angst, dass Trump dem von ihm verehrten russischen Präsidenten Putin zu sehr entgegenkommen könnte. Dass Trump Zugeständnisse an russisches Imperialstreben machen könnte, ist das Horrorszenario schlechthin für die deutsche Außenpolitik. Und auch die erste Reaktion gibt es unter von Putin, der Trumps Einschätzung der Nato als „Überbleibsel“zustimmte, lässt nichts Gutes ahnen.
Das Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfte auch eher schwierig werden. Im Wahlkampf hatte Donald Trump Merkel für „geisteskrank“erklärt. In dem Interview in dieser Woche gab er sich zurückhaltender, aber kritisch. Sie habe einen katastrophalen Fehler in der Flüchtlingspolitik gemacht. Aber er respektiere sie und möge sie.
Am Rande der Höflichkeit
Von Merkel gibt es bis jetzt keine Sympathiebekundungen. Sie hat ihre Höflichkeit auf das Notwendigste beschränkt, als sie Trump in ihrer Gratulation zur Wahl indirekt zur Einhaltung demokratischer Grundwerte aufforderte. „Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an“, sagte Merkel. Das wurde von vielen Beobachtern in Berlin als unglaublich empfunden. Merkel ermahnt den zukünftigen Präsidenten jener Nation, die über Jahrzehnte für Frieden und Freiheit in der westlichen Welt stand, zur Einhaltung der Werte.
Spätestens beim G20-Gipfel in Hamburg im Juli dieses Jahres wird sie wohl Trump treffen. Die Kanzlerin bemüht sich jedoch darum, schon früher einen Termin zu bekommen.