Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Winterkorn im Abgas-Verhör
Vor dem Untersuchungsausschuss gibt sich der ehemalige VW-Chef unwissend
- Der Andrang im Sitzungssaal des Untersuchungsausschusses im Bundestag war am Donnerstag so groß, dass der Verkehrsausschuss in einen größeren Raum umziehen musste. Das lag an der illustren Runde der Zeugen, die über den Ablauf des Diesel-Skandals befragt werden sollten. Im Mittelpunkt: der frühere VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn, der den Abgeordneten, flankiert von zwei Anwälten, Rede und Antwort stand.
Doch das meistbenutzte Wort „Braunschweig“verhinderte eine weitere Aufklärung darüber, wer für die Betrugssoftware und die Abgasmanipulationen beim Wolfsburger Konzern verantwortlich ist und wer wann was wusste.
„Braunschweig“steht dabei als Synonym für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen VW sowie die Klage von Aktionären auf Schadenersatz, weil sie sich zu spät über die Machenschaften des Unternehmens informiert fühlen. Da Aussagen dazu strafrechtliche Konsequenzen für Winterkorn nach sich ziehen könnten, darf er Aussagen dazu vor dem Ausschuss verweigern. Das Recht nutzte der Ex-Manager häufig.
Von einer wie auch immer gearteten Mitschuld mag der einst bestbezahlte deutsche Vorstand, gerade erst Pensionär mit üppiger Rente von 3100 Euro pro Tag geworden, nichts wissen. „Ich hätte das nicht für möglich gehalten“, sagt er in seinem Eingangsstatement. Und Winterkorn versteht die Wut der Kunden auf VW. „Ich bitte in aller Form um Entschuldigung“, fährt er fort. Selbstkritisch äußert sich Winterkorn nur kurz einmal. Er frage sich, ob er einzelne Signale nicht registriert habe. Welche das gewesen sein könnten, mag er allerdings auf Nachfrage eines Abgeordneten nicht mehr zu sagen.
Winterkorn bleibt bei September
Winterkorns Verteidigungslinie steht. Danach hat der Vorstandsvorsitzende erst im September 2015 von den Manipulationen der Abgaswerte durch eine spezielle Software Kenntnis erhalten. Nach wenigen Beratungstagen seien die Öffentlichkeit und auch die Bundeskanzlerin, das Kraftfahrt-Bundesamt sowie der Verkehrsminister informiert worden. Dass ihn keiner seiner Mitarbeiter über die Probleme mit den Abgasvorgaben der USA informiert hat, kann Winterkorn nicht verstehen. „Es gab niemals ein Schreckensregime“, wies er entsprechende Darstellungen über seine Amtszeit zurück. Aus Angst, so die Botschaft, wurde ihm die Wahrheit nicht vorenthalten.
Nur bei wenigen Fragen drängen sich Zweifel an Winterkorns Unwissenheit auf. Das gelingt dem Abgeordneten Arno Klare. Der Sozialdemokrat rechnet dem Ingenieur vor, wieviel AdBlue, einer zur Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen von VW notwendigen Flüssigkeit, benötigt wird, wenn die US-Grenzwerte eingehalten werden sollen. Klare kommt auf 115 Liter für die Zeit zwischen den Wartungsbesuchen in der Werkstatt, mehr als der reguläre Tank eines Fahrzeugs fasst. An Bord sind jedoch maximal 13 Liter. Diese Rechnung bezweifelt Winterkorn zwar nicht, will selbst aber nie auf diese naheliegende Plausibilitätsrechnung gekommen sein.
Auch ein Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch im März 2015 über eine Rückrufaktion von 500 000 Fahrzeugen hat Winterkorn nach eigenen Angaben nicht auf die Spur geführt. Dabei sollten die Autos eine neue Software erhalten, um die Abgaswerte zu verbessern. Schließlich wollte der grüne Abgeordnete Oliver Krischer wissen, ob der Zeuge die eingesetzte Software auch in Europa für illegal hält: Winterkorn windet sich, will nicht antworten. „Das ist eine juristische Frage“, sagt er schließlich.
So blieb eine der entscheidenden Fragen im Abgas-Skandal weiterhin ungeklärt. Wusste Winterkorn, wie es Berichte über die Ermittlungen der US-Behörden nahelegen, schon Ende Juli 2015 von den Problemen? Für diese und andere Fragen blieb die Antwort im Bundestag stets die gleiche: „Braunschweig“.
„Ich hätte das nicht für möglich gehalten.“Martin Winterkorn