Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Drehbücher für die Bühne
Simon Stone ist Australier mit Schweizer Wurzeln und einer der begehrtesten Regisseure
- Manchmal geht es schnell mit der Karriere. In seinem Fall hat man allerdings den Eindruck, irgendjemand habe in den letzten Monaten zusätzlich den Turbo eingeschaltet. Simon Stone ist gerade mal 31 und avancierte innerhalb kürzester Zeit zu einem der am meisten beschäftigten Theatermacher im deutschsprachigen Raum.
Seine Interpretation von Ibsens „John Gabriel Borkmann“, eine Koproduktion der Wiener Festwochen mit dem Theater Basel, wurde dieses Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen und in der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Theater heute“als beste Inszenierung des Jahres ausgezeichnet. Dass da einer mit einer ganz eigenwilligen Handschrift unterwegs ist, konnte man allerdings schon vor diesem Ritterschlag sehen, als er zur letzten Ausgabe des Festivals Theater der Welt eine „Thyestes“-Version frei nach Seneca servierte. Es war vor zwei Jahren in Mannheim, als Simon Stone den Ursprung des Tantaliden-Mythos, in dem Atreus dem Bruder Thyestes dessen eigene Kinder zum Mahl vorsetzt, mit all seiner Grausamkeit in unsere Gegenwart versetzte.
Große Stoffe liegen ihm
Schon da reagierte die Kritik enthusiastisch auf den Theatermann mit eidgenössischer Vergangenheit. Geboren wurde Simon Stone 1984 in Basel. Seine Jugend- und Lehrjahre verbrachte er zuerst im englischen Cambridge, dann im australischen Melbourne, wo er am Victoria College of the Arts Regie studierte. Tatsächlich zu Hause ist der weltläufige Australier in den großen Stoffen der Theater – und Filmgeschichte. Stone ist nicht nur ein Theaterregisseur mit einer großen Vorliebe für klassische Texte, er ist auch ein bekennender Kino-Nerd und hat vor zwei Jahren zum ersten mal Filmregie geführt. Sein Beitrag zur australischen Filmanthologie „The Turning“, basierend auf Kurzgeschichten des australischen Schriftstellers Timothy John Winton, wurde 2014 in der Reihe „Berlinale Special“der Berliner Filmfestspiele gezeigt.
Der Film lockt
Dass Simon Stone schon sehr bald für die Theater verloren sein könnte und unter Umständen ausschließlich als Filmregisseur arbeitet, hat aber nicht nur damit zu tun, dass er wie ein Filmemacher denken kann und vor Kurzem an den Kammerspielen München eine Bühnenfassung von Luchino Viscontis „Rocco und seine Brüder“inszeniert hat. Es hat vor allem damit zu tun, dass man bei all seinen Vergegenwärtigungen klassischer Theaterstücke den Eindruck hat, er schreibe Drehbücher für die Bühne. Man kann Simon Stone auch als inszenierenden Autor beschreiben, und dass das so ist, hat mit der Art und Weise zu tun, wie er Theaterabende entwickelt. Wenn er wie bei seiner Neubearbeitung von Ibsens „Peer Gynt“am Hamburger Schauspielhaus mit Schauspielerinnen und Schauspielern arbeitet, beschränkt sich das nicht auf die Vergegenwärtigung von Figuren. Stone entwickelt einen neuen Text und beschreibt das selbst so, dass die Darsteller in diesem Prozess seine wichtigste Inspirationsquelle sind.
Die Ideen für seine Texte entstehen während der Proben. Stone schreibt Dialoge und szenische Entwürfe auf Englisch nieder und gibt sie, nachdem sie ins Deutsche übersetzt wurden, zurück an die Schauspieler. Was dabei herauskommt, konnte man gerade am Theater Basel sehen. Da arbeitet er derzeit als Hausregisseur und hat zusammen mit dem Ensemble Tschechows „Drei Schwestern“konsequent in eine postfaktische Gegenwart transplantiert. In Simon Stones Interpretation des modernen Klassikers lebt Tschechows Provinzgesellschaft nicht mehr kurz vor einem historischen Paradigmenwechsel. Da ist keine ermüdete Feudalgesellschaft, die im Angesicht eines bevorstehenden revolutionären Umbruchs die Kunst des melancholischen Stillstands verfeinert. Alles, was die Welt erschüttern könnte, ist bereits geschehen, und jeden Tag können neue Katastrophenmeldungen über die Mattscheibe flimmern.
Simon Stone verpasst den Seelenlagen der Tschechow-Menschen einen Umkehrschub, als habe er nach einem Medikament gegen chronische Melancholie gesucht. Inszeniert hat er das wieder wie einen Film. Auf der Bühne dreht sich eine Ferienvilla im Kreise, der Zuschauer sitzt wie ein staunendes Kind davor und ist Zeuge eines Panoptikums hochfahrender Zukunftspläne und scheiternder Lebensentwürfe. Im Zentrum die drei berühmtesten Schwestern der Theatergeschichte. Ihr Problem: diese unstillbare Sehnsucht nach einem anderen Leben.
Die Opernhäuser warten
Dass Simon Stone auch in diesem Fall mit seinen Neudeutungen großer Theaterliteratur so viel Erfolg hat, hängt damit zusammen, dass er bei all seiner Erzählfantasie als Autor und Regisseur immer nah an den Figuren und Motiven der Vorlage bleibt. Stone operiert auf der Probebühne am offenen Herzen eines Stückes und investiert so viel eigenes Herzblut, dass er im Inneren dessen rührt, was man Schauspielertheater nennt.
Diesen Sommer gibt Simon Stone sein Debüt bei den Salzburger Festspielen. Er wird eine Oper inszenieren: Aribert Reimanns „Lear“mit Gerald Finley in der Titelrolle. Premiere ist am 20. August. „Drei Schwestern“am 21. Januar, 12., 17., 19., 26. Februar Billetkasse 0041 61 295 11 33