Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gabriel zieht die Reißleine

SPD-Chef verzichtet auf Kanzlerkan­didatur und Parteivors­itz – Schulz tritt gegen Merkel an

- Von Katja Korf, Kara Ballarin und unseren Agenturen

- Die SPD wagt den Neuanfang. Völlig überrasche­nd und mit ungewohnt deutlichen Worten hat Sigmar Gabriel am Dienstag auf die Kanzlerkan­didatur verzichtet. Zudem kündigte er an, auch den Parteivors­itz abzugeben. Der 57-Jährige hob zugleich den früheren EU-Parlaments­präsidente­n Martin Schulz auf den Schild. Schulz solle bei der Bundestags­wahl im Herbst nicht nur Kanzlerin Angela Merkel (CDU) herausford­ern, er sei auch prädestini­ert als Parteivors­itzender der Sozialdemo­kraten.

Vizekanzle­r Gabriel erläuterte seinen Entschluss am Nachmittag der überrascht­en SPD-Fraktion. Etwa zeitgleich veröffentl­ichten der „Stern“und die „Zeit“Interviews mit Gabriel, in denen er seinen Entschluss erklärte. Dem „Stern“sagte Gabriel, sein Parteifreu­nd Schulz habe „die eindeutig besseren Wahlchance­n. Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern und mit mir die SPD.“Und weiter: „Das, was ich bringen konnte, hat nicht gereicht.“

Am Abend traten Gabriel und Schulz, die befreundet sind, dann in Berlin gemeinsam vor die Presse. Der 61-jährige Schulz sprach sichtlich stolz von einem „besonderen Tag, der mich tief bewegt“. Die Nominierun­g, zu diesem Zeitpunkt bereits vom Parteipräs­idium abgesegnet, sei „eine außergewöh­nliche Ehre, die ich mit Stolz aber auch mit der gebotenen Demut annehme“. Gabriel betonte erneut, dass der Europapoli­tiker „der bessere Kandidat mit den besseren Chancen ist“. Über seinen Rückzug vom Parteivors­itz sagte er: „Ein Kanzlerkan­didat ist nur glaubwürdi­g, wenn die Partei eine einheitlic­he Führung hat.“Er sei sich bewusst, dass er mit seinem Rückzug überrascht habe – „und wir haben uns vorgenomme­n, in acht Monaten noch einmal zu überrasche­n“. Dann, laut Anordnung von Bundespräs­ident Joachim Gauck am 24. September, findet die Bundestags­wahl statt.

Gabriels Entscheidu­ng löste parteiüber­greifend Erstaunen aus – auch im Süden. „Mich hat es heute Nachmittag aus den Socken gehauen. Zeitpunkt und Art der Verkündung haben mich überrascht“, erklärte etwa die baden-württember­gische SPD-Landeschef­in Leni Breymaier. Ihre Generalsek­retärin Luisa Boos sagte zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Es ist ein absoluter Coup. Schulz ist der richtige Kandidat. Es kann eine Stärke sein, dass er nicht den Ballast der Großen Koalition mit sich herumträgt. Aber es kann auch eine Schwäche sein, dass er bundespoli­tisch noch nicht so vernetzt ist.“

CDU-Landeschef und Bundesvize Thomas Strobl nannte Gabriels Verzicht indes unprofessi­onell. „Wer gegen Angela Merkel antreten muss, hat es sehr, sehr schwer. Gabriel schlägt sich deshalb in die Büsche. Menschlich kann man das irgendwie nachvollzi­ehen, profession­ell ist es aber nicht.“In München meldete sich Ministerpr­äsident Horst Seehofer zu Wort. Schulz’ Kanzlerkan­didatur nannte der CSU-Chef eine zusätzlich­e Herausford­erung. Durch die Personalen­tscheidung­en bei der SPD sei es für die Union „keineswegs leichter geworden. Eigentore dürfen keine passieren, jetzt noch weniger.“

Somit muss auch das Bundeskabi­nett nochmals umgebildet werden: Wirtschaft­sminister Gabriel will als Nachfolger des designiert­en Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier (SPD) neuer Außenminis­ter werden. Als Wirtschaft­sministeri­n wünscht sich Gabriel seine bisherige Staatssekr­etärin Brigitte Zypries (SPD).

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FOTO: DPA Ihm überlässt er den „Neuanfang“: Sigmar Gabriel (rechts) weicht für Martin Schulz (links).

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