Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wie alt ist der Dönermesser-Angreifer?
Syrer soll Freundin in Reutlingen erstochen haben – Jugendstrafrecht eventuell anwendbar
(dpa) - Ein junger Mann soll seine Freundin im Sommer 2016 mit einem Dönermesser in der Reutlinger Innenstadt ermordet haben. Warum? Das bleibt offen. Das zuständige Gericht in Tübingen muss am ersten Prozesstag zunächst eine ganz andere Frage beantworten.
Der 24. Juli 2016 ist ein heißer Sonntag. Fatih D. sitzt vor einem Dönerlokal in Reutlingen und raucht Wasserpfeife, als er angegriffen wird. Ein Amokläufer schlägt ihm mit einem Dönermesser ins Gesicht, an mehr erinnert sich Fatih D. nicht. „Bei ihm gingen die Lichter aus“, sagt sein Anwalt Horst Epple. Fatih D. werden Zähne ausgeschlagen, die rechte Wange wird zerschnitten.
Halsschlagader knapp verfehlt
Hätte der Täter wenige Zentimeter tiefer geschlagen, wäre Fatih D. nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft die Halsschlagader durchtrennt worden. In einer Gasse hinter dem Lokal liegt an jenem Tag schon die 45-jährige Freundin des mutmaßlichen Täters – mit schweren Kopf- und Halsverletzungen. Sie verblutet.
Seit Dienstag muss sich der mutmaßliche Täter wegen Mordes und zweifachen versuchten Mordes in Tübingen vor Gericht verantworten. Den Gerichtssaal betritt er in roter Jogginghose. Ihm gegenüber sitzt Fatih D., der als Nebenkläger auftritt.
Der Angeklagte, ein Angestellter des Reutlinger Restaurants, soll das Dönermesser mitgenommen haben, um damit seine Freundin und Arbeitskollegin zu töten, wie es in der Anklage heißt. Bei seinem Amoklauf habe er mit dem 60 Zentimeter langen Messer mehrere Menschen gezielt angegriffen und verletzt. Er wurde damals erst von einem Autofahrer gestoppt, der ihn anfuhr.
Warum er – wie es in der Anklage heißt – die Frau ermordete, mit der er zuvor die Nacht verbracht hatte, das wird am ersten Verhandlungstag nicht klar. Denn das Schwurgericht hat zunächst die Frage nach dem Alter des Angeklagten zu beantworten.
Laut Ausweis ist der mutmaßliche Täter, ein anerkannter Asylbewerber aus Syrien, am 1.1.1995 geboren. Demnach war er bei der Tat 21 Jahre alt und wäre damit nach Erwachsenenstrafrecht zu behandeln. Doch im Ermittlungsverfahren gab er zu Protokoll, er sei am 16.11.1995 geboren. Diesen Angaben zufolge war er bei der Tat keine 21 Jahre alt. Dann wäre es möglich, Jugendstrafrecht anzuwenden. Beim Ausweis-Datum handle es sich um ein Registrierdatum, das die syrischen Behörden kurz nach seiner Geburt verwendet hätten, erklärt der Mann mit Hilfe eines Dolmetschers.
Ein Gutachter kann das Alter einer Person nach Angaben des Gerichts auf einige Jahre eingrenzen. Eine Altersdifferenzierung in Monaten sei jedoch laut dem Vorsitzenden Richter nicht möglich. Ein Anruf bei den Eltern in Aleppo soll Klarheit bringen. Doch die sind nicht zu erreichen. Die Entscheidung, von welchem Alter auszugehen ist, wird daher auf den nächsten Verhandlungstag am 14. Februar verschoben. „Wenn wir nicht sicher sind, gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“und wir würden an die Jugendkammer abgeben“, sagt der Richter.
Auf die Persönlichkeit des Angeklagten wirft am ersten Verhandlungstag die Aussage eines Jugendgerichtshelfers ein wenig Licht: Der Sozialpädagoge kannte den Angeklagten aus zweier Verfahren wegen Diebstahls und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Beim Besuch im Justizvollzugskrankenhaus nach dem Amoklauf habe er gelassen gewirkt. Er habe ihm seinen Lebensweg geschildert, wonach er in der Türkei gearbeitet habe, bevor er nach Deutschland gekommen ist. „Er hat durchaus recht erwachsen gewirkt.“