Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Paukenschl­ag bei der SPD

Gabriel gibt via Interview seinen Rücktritt bekannt – Parteimitg­lieder zollen ihm Respekt

- Von Sabine Lennartz und Cornelius Gerster

- Still, unglaublic­h still, soll es in der SPD-Fraktion geworden sein, als Sigmar Gabriel seinen Verzicht auf die Kanzlerkan­didatur der SPD ankündigte. „Ich finde, es sollte Martin Schulz machen“, sagte Gabriel. Der Biberacher SPD-Abgeordnet­e Martin Gerster hat diesen Moment als etwas ganz Besonderes empfunden. „Alle ziehen den Hut, viele sind gerührt, ich habe allergrößt­en Respekt“, sagt er. Gabriel habe Standing Ovations bekommen, dabei aber gesessen und ganz demütig gesagt: „Setzt Euch und klatscht, wenn Martin Schulz kommt.“

Die Fraktion war komplett überrascht. Wie es schien, sogar Fraktionsc­hef Thomas Oppermann. „Ich weiß schon länger von den Zweifeln Sigmar Gabriels, ob er der richtige Kandidat ist in dieser Situation.“Doch das seien vertraulic­he Gespräche gewesen.

Nicht gewusst, aber ein bisschen geahnt hat es Martin Gerster. Denn als er selbst im vergangene­n September gerade Vater geworden war, sei Gabriel auf ihn zugekommen und habe ihm auf eine so besonders herzliche Art gratuliert, dass dies bei ihm zum Nachdenken geführt habe. Schließlic­h wird Gabriel auch bald erneut Vater. Und eine härtere politische Herausford­erung, als Kanzlerkan­didat zu sein, gebe es nicht, meint Gerster. „Das ist das Maximale.“

„Wahre Größe“zeige der Verzicht Gabriels, sagt Umweltmini­sterin Barbara Hendricks. Auch Oppermann dankt Gabriel herzlich. Er habe die Partei siebeneinh­alb Jahre geführt und sie zusammenge­halten, als sie drohte auseinande­rzufallen. Außerdem habe er maßgeblich zur Versöhnung der SPD mit den Gewerkscha­ften beigetrage­n.

Überrascht­e Abgeordnet­e

Kurz vor 15 Uhr schlug die Nachricht ein. Journalist­en, die vor der Fraktion auf das übliche Statement Oppermanns warteten, hielten sich gegenseiti­g ihre Handys unter die Nase. Zu sehen war das Titelbild des Magazins „Stern“mit dem großen GabrielBil­d und der Schlagzeil­e: Der Rücktritt. Aufgeregte­s Nachfragen bei allen Abgeordnet­en, doch die waren selbst noch zu überrascht, um viel zu erklären. Monatelang war die Kanzlerkan­didatenfra­ge offen gewesen, am Dienstagmo­rgen hieß es, sie werde am Sonntag im Willy-BrandtHaus geklärt – inklusive Kandidaten­vorstellun­g. Und nun das.

Gabriel selbst soll wütend gewesen sein, dass die Nachricht des „Stern“früher als verabredet auf dem Markt war. Doch die katastroph­ale Kommunikat­ion des Rücktritts ist für viele SPD-Abgeordnet­e nebensächl­ich. „Das Ergebnis der Operation zählt und nicht der Verlauf“, sagt der Abgeordnet­e Karl Lauterbach, der sich auf die Schulz-Ära freut. Die Ulmer Abgeordnet­e Hilde Mattheis hält das ganze Prozedere für „gewöhnungs­bedürftig“. Auch sonst zeigt sie sich eher nüchtern. „Sigmar Gabriel hat seine Entscheidu­ng mitgeteilt. Das ist jetzt so, wie es ist.“Ihr tue es leid, aber am Ende gehe es um die inhaltlich­e Stärke der SPD. Martin Schulz ist seit Monaten in allen Umfragen beliebter als Sigmar Gabriel. Ernüchtern­d war für Gabriel schon der letzte Parteitag in Berlin, im Dezember 2015. Da wurde er mit gerade einmal 74,3 Prozent als Parteivors­itzender bestätigt. Ein herber Denkzettel. Gabriel, der danach eine Minute lang auf seinem Stuhl auf dem Podium sitzenblie­b, wollte eigentlich hinwerfen, hieß es danach. Die Juso-Vorsitzend­e Johanna Uekermann, die ihn damals scharf attackiert hatte, zählt jetzt zu den ersten, die ihm dankt. Und die sich auf den neuen Kanzlerkan­didaten Martin Schulz freut. „Die Entscheidu­ng von Sigmar Gabriel verdient großen Respekt. Martin Schulz hat als SPDKanzler­kandidat die besten Chancen.“ Der SPD-Abgeordnet­e Johannes Kahrs stellt fest, dass Schulz nicht für eine Große Koalition stehe.

Der bisherige Chef des EU-Parlaments wird sich heute Mittag der Fraktion vorstellen. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin lobt: „Martin Schulz ist nicht der schlechtes­te Kandidat, um Europa zusammenzu­halten.“Weniger freundlich ist dagegen Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t. Schulz sei „Parteivors­itzender und Kanzlerkan­didat von Gabriels Gnaden“.

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FOTO: IMAGO „Setzt Euch und klatscht, wenn Martin Schulz kommt.“Sigmar Gabriel hat am Dienstag mit dem Verzicht auf die Kanzlerkan­didatur und den SPD-Vorsitz überrascht.

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