Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schlappe für Theresa May
Die britische Premierministerin muss ihre Brexit-Pläne vom Parlament absegnen lassen
- Zusammengesunken sitzt Theresa May am Dienstag auf der grün gepolsterten Regierungsbank im britischen Parlament. Nur wenige Stunden zuvor hat das höchste britische Gericht entschieden, dass die Regierung die Abgeordneten befragen muss, bevor sie die Scheidung von der EU einreicht.
Für May ist das die heftigste Niederlage, die sie bislang auf ihrem Weg zum Brexit hinnehmen musste. Sie hätte die lästige Debatte im Parlament gerne ausfallen lassen. Doch damit ist sie gescheitert und hat viel wertvolle Zeit verloren. Spätestens Ende März will sie Brüssel eigentlich über den Austrittswunsch ihres Landes informieren. Erst dann können die Verhandlungen beginnen. Jetzt zählt jeder Tag.
Die Regierung ist enttäuscht von dem Richterspruch, will aber an ihrem Brexit-Zeitplan festhalten. Sie wird dafür „innerhalb von Tagen“einen Gesetzesvorschlag vorlegen, um das Parlament über die Austrittserklärung abstimmen zu lassen. Das Gesetz werde ausschließlich dem Zweck dienen, der Regierung die Vollmacht für die Erklärung zu übertragen, sagt Brexit-Minister David Davis. Erkennbar erleichtert verweist Davis im Unterhaus auf die ausdrückliche Mitteilung der Richter, wonach das Parlament über die Art seiner Zustimmung bestimmen kann. Im britischen System bedeutet dies in der Praxis, dass die Regierung Text und Zeitplan der Gesetzgebung dominiert.
Labour will nicht blockieren
Gleichzeitig warnt Davis die Abgeordneten ausdrücklich davor, die Abstimmung zu nutzen, um den Brexit zu verzögern. „Es gibt kein Zurück“, betont der Minister. Oppositionsführer Jeremy Corbyn (Labour) kündigt an, dies nicht zu blockieren. „Labour respektiert den Ausgang des Referendums“, sagt er. Deren BrexitSprecher Keir Starmer spricht am Dienstag von einem „guten Tag für die Souveränität des Parlaments“.
Die Regierung habe mit dem Einspruch gegen das Urteil des High Court Zeit und Geld verschwendet, anstatt das Parlament von vornherein einzubeziehen. Der frühere Leiter der staatlichen Anklagebehörde kündigt an, seine Partei werde die Regierungsvorlage genau prüfen. Die größte Oppositionspartei steuert einen schwierigen Kurs, weil die überwiegende Fraktionsmehrheit für den EU-Verbleib votierte, in ihren Wahlkreisen aber die Brexit-Befürworter die Mehrheit stellten.
Für die Diskussion vom Dienstag sind zwei Privatleute verantwortlich. Die Vermögensverwalterin Gina Miller und ein in London lebender spanischer Friseur hatten die Balance zwischen Parlament (Legislative) und Regierung (Exekutive) einklagen wollen. Generalstaatsanwalt Jeremy Wright hatte zunächst vor dem englischen High Court, bei der mündlichen Verhandlung im Dezember auch vor dem Supreme Court auf dem sogenannten „königlichen Vorrecht“beharrt. Dieses gibt der Exekutive die Befugnis, wichtige außenpolitische Entscheidungen ohne die Vorab-Zustimmung des Parlaments zu treffen.
Der Brexit betreffe aber auch rein britische Angelegenheiten, argumentierten die Privatkläger und erhielten in beiden Instanzen recht. Viele britische Gesetze basierten auf der 44-jährigen Mitgliedschaft im Brüsseler Club, deshalb gelte weiterhin die Souveränität des Parlaments, befanden nach dem High Court auch acht von elf Höchstrichtern. Die Minderheit konnte sich auf kein gemeinsames Votum einigen.
Gericht stimmt nicht allem zu
In einer anderen Frage war das Gremium hingegen einer Meinung: Die Regierung muss nicht vor dem formellen EU-Austritt die Zustimmung der drei Regionalparlamente in Belfast, Cardiff und Edinburgh einholen. Dies hatten Privatkläger beim nordirischen High Court erzwingen wollen.
Der oberste Gerichtshof bestätigte die Sichtweise der Belfaster Richter: Den regionalen Kammern stehe kein Vetorecht zu. Die schottische Nationalpartei SNP, die den Brexit ablehnt, kündigt noch am Dienstag 50 „ernsthafte und gewichtige“Änderungsanträge an; die große Mehrheit dürfte nicht einmal zur Beratung gelangen.
Premierministerin May hatte vergangene Woche den „harten Brexit“angekündigt, also den Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion. Innerhalb der vertraglich vorgesehenen Frist von zwei Jahren will sie mit den EU-Partnern nicht nur über den Austritt der Insel verhandeln, sondern auch ein neues Handelsabkommen abschließen. Dies soll der Insel grösstmöglichen Zugang zum Binnenmarkt ermöglichen, die Personenfreizügigkeit für EU-Bürger sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs aber beenden.