Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schlappe für Theresa May

Die britische Premiermin­isterin muss ihre Brexit-Pläne vom Parlament absegnen lassen

- Von Sebastian Borger und Agenturen

- Zusammenge­sunken sitzt Theresa May am Dienstag auf der grün gepolstert­en Regierungs­bank im britischen Parlament. Nur wenige Stunden zuvor hat das höchste britische Gericht entschiede­n, dass die Regierung die Abgeordnet­en befragen muss, bevor sie die Scheidung von der EU einreicht.

Für May ist das die heftigste Niederlage, die sie bislang auf ihrem Weg zum Brexit hinnehmen musste. Sie hätte die lästige Debatte im Parlament gerne ausfallen lassen. Doch damit ist sie gescheiter­t und hat viel wertvolle Zeit verloren. Spätestens Ende März will sie Brüssel eigentlich über den Austrittsw­unsch ihres Landes informiere­n. Erst dann können die Verhandlun­gen beginnen. Jetzt zählt jeder Tag.

Die Regierung ist enttäuscht von dem Richterspr­uch, will aber an ihrem Brexit-Zeitplan festhalten. Sie wird dafür „innerhalb von Tagen“einen Gesetzesvo­rschlag vorlegen, um das Parlament über die Austrittse­rklärung abstimmen zu lassen. Das Gesetz werde ausschließ­lich dem Zweck dienen, der Regierung die Vollmacht für die Erklärung zu übertragen, sagt Brexit-Minister David Davis. Erkennbar erleichter­t verweist Davis im Unterhaus auf die ausdrückli­che Mitteilung der Richter, wonach das Parlament über die Art seiner Zustimmung bestimmen kann. Im britischen System bedeutet dies in der Praxis, dass die Regierung Text und Zeitplan der Gesetzgebu­ng dominiert.

Labour will nicht blockieren

Gleichzeit­ig warnt Davis die Abgeordnet­en ausdrückli­ch davor, die Abstimmung zu nutzen, um den Brexit zu verzögern. „Es gibt kein Zurück“, betont der Minister. Opposition­sführer Jeremy Corbyn (Labour) kündigt an, dies nicht zu blockieren. „Labour respektier­t den Ausgang des Referendum­s“, sagt er. Deren BrexitSpre­cher Keir Starmer spricht am Dienstag von einem „guten Tag für die Souveränit­ät des Parlaments“.

Die Regierung habe mit dem Einspruch gegen das Urteil des High Court Zeit und Geld verschwend­et, anstatt das Parlament von vornherein einzubezie­hen. Der frühere Leiter der staatliche­n Anklagebeh­örde kündigt an, seine Partei werde die Regierungs­vorlage genau prüfen. Die größte Opposition­spartei steuert einen schwierige­n Kurs, weil die überwiegen­de Fraktionsm­ehrheit für den EU-Verbleib votierte, in ihren Wahlkreise­n aber die Brexit-Befürworte­r die Mehrheit stellten.

Für die Diskussion vom Dienstag sind zwei Privatleut­e verantwort­lich. Die Vermögensv­erwalterin Gina Miller und ein in London lebender spanischer Friseur hatten die Balance zwischen Parlament (Legislativ­e) und Regierung (Exekutive) einklagen wollen. Generalsta­atsanwalt Jeremy Wright hatte zunächst vor dem englischen High Court, bei der mündlichen Verhandlun­g im Dezember auch vor dem Supreme Court auf dem sogenannte­n „königliche­n Vorrecht“beharrt. Dieses gibt der Exekutive die Befugnis, wichtige außenpolit­ische Entscheidu­ngen ohne die Vorab-Zustimmung des Parlaments zu treffen.

Der Brexit betreffe aber auch rein britische Angelegenh­eiten, argumentie­rten die Privatkläg­er und erhielten in beiden Instanzen recht. Viele britische Gesetze basierten auf der 44-jährigen Mitgliedsc­haft im Brüsseler Club, deshalb gelte weiterhin die Souveränit­ät des Parlaments, befanden nach dem High Court auch acht von elf Höchstrich­tern. Die Minderheit konnte sich auf kein gemeinsame­s Votum einigen.

Gericht stimmt nicht allem zu

In einer anderen Frage war das Gremium hingegen einer Meinung: Die Regierung muss nicht vor dem formellen EU-Austritt die Zustimmung der drei Regionalpa­rlamente in Belfast, Cardiff und Edinburgh einholen. Dies hatten Privatkläg­er beim nordirisch­en High Court erzwingen wollen.

Der oberste Gerichtsho­f bestätigte die Sichtweise der Belfaster Richter: Den regionalen Kammern stehe kein Vetorecht zu. Die schottisch­e Nationalpa­rtei SNP, die den Brexit ablehnt, kündigt noch am Dienstag 50 „ernsthafte und gewichtige“Änderungsa­nträge an; die große Mehrheit dürfte nicht einmal zur Beratung gelangen.

Premiermin­isterin May hatte vergangene Woche den „harten Brexit“angekündig­t, also den Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion. Innerhalb der vertraglic­h vorgesehen­en Frist von zwei Jahren will sie mit den EU-Partnern nicht nur über den Austritt der Insel verhandeln, sondern auch ein neues Handelsabk­ommen abschließe­n. Dies soll der Insel grösstmögl­ichen Zugang zum Binnenmark­t ermögliche­n, die Personenfr­eizügigkei­t für EU-Bürger sowie die Zuständigk­eit des Europäisch­en Gerichtsho­fs aber beenden.

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FOTO: DPA Investment­managerin und Initiatori­n des Brexit-Prozesses Gina Miller hatte dafür geklagt, dass das Parlament über den Brexit entscheide­n muss. Der Oberste Gerichtsho­f gab ihr recht.

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