Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Auf der Suche nach neuen Märkten
Ministerpräsident Kretschmann wirbt in Indien für intensivere Wirtschaftsbeziehungen
- Die mögliche Handelspolitik des neuen US-Präsidenten Donald Trump bereitet Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) erhebliche Sorgen. Während seines Indien-Besuchs sagte Kretschmann am Dienstag in Pune im Bundesstaat Maharashtra, „wir wissen nicht so recht, was auf uns zukommt.“Mit Blick auf die exportstarke Wirtschaft BadenWürttembergs erklärte Kretschmann, mehr US-Protektionismus sei eine Wahrscheinlichkeit und deshalb sei es jetzt umso wichtiger, „andere Wirtschaftsräume zu erschließen. Der Export muss diversifiziert werden.“
Kretschmann besucht mit Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Verkehrsminister Winfried Herrmann (Grüne) und einer knapp 120-köpfigen Wirtschaftsund Wissenschaftsdelegation den indischen Subkontinent. Schwerpunkte der Reise sind der Maschinenbau, die Automobilbranche, die Digitalwirtschaft und eine nachhaltige Stadtentwicklung.
Tatsächlich boomt die indische Volkswirtschaft. Getragen von vorwiegend privaten und öffentlichen Ausgaben, verzeichnete das asiatische Land im vergangenen Jahr ein Wachstum von 7,6 Prozent. Der Bundesstaat Maharashtra gilt als wirtschaftliche Lokomotive von Indien und hat eine mit Baden-Württemberg vergleichbare Industriestruktur. Seit knapp zwei Jahren besteht eine Länderpartnerschaft und Kretschmann kündigte den Aufbau eines Kooperationsbüros von BadenWürttemberg in Pune an, damit die Kontakte zur indischen Wirtschaft wie zur Wissenschaft intensiviert werden können. „Wir wollen der Türöffner für den Mittelstand sein“, unterstrich Kretschmann gemeinsam mit Hoffmeister-Kraut.
Zeichen stehen auf Wachstum
Zahlreiche Unternehmen aus dem Südwesten sind seit Jahrzehnten in Indien aktiv. Neben den Großen wie Mercedes-Benz oder Bosch sind es auch Mittelständler, für die der Markt mit über 1,2 Milliarden Menschen interessant ist. Harald Marquardt, Chef der Marquardt GmbH aus Rietheim-Weilheim (Landkreis Tuttlingen) macht seit 1996 Geschäfte in Indien. Sein Unternehmen baut und entwickelt elektronische Schalter und Schaltsysteme vor allem für die Automobilindustrie. „1996 haben wir mit einem indischen Partner ein Joint Venture gegründet. 2001 haben wir es vollständig übernommen und jetzt expandieren wir“, sagte Marquardt der „Schwäbischen Zeitung“. In Pune seien derzeit 180 Spezialisten für die weltweite Entwicklungsarbeit tätig. „In den kommenden drei Jahren werden wir diese Zahl verdoppeln.“
Auch Mercedes-Benz setzt auf Expansion, auch wenn die absoluten Zahlen im Vergleich zu anderen Ländern für die Maßstäbe des Weltkonzerns bescheidener sind. Im Werk Chakan produziert Mercedes mehrere Modelle von der A-Klasse über die E-Klasse aufwärts bis hin zur absoluten Nobelkarosse Maybach. Das Werk ist derzeit für eine Jahreskapazität von 20 000 Autos ausgelegt, die aber bei einer stärkeren Nachfrage leicht erhöht werden könnte. Im abgeschotteten indischen Automarkt sind derzeit knapp 76 000 Autos von Mercedes zugelassen.
Insgesamt scheint das Riesenland, das neun Mal größer als die Bundesrepublik ist, unglaubliche Möglichkeiten zu bieten. Die Städte wachsen in einem enormen Tempo. 2030 wird es in Indien wahrscheinlich 68 Städte geben, die mehr als eine Million Einwohner haben. Verbunden mit dieser Entwicklung erwachsen große Umweltund Verkehrsprobleme, für deren Lösung oder Bekämpfung sich Firmen aus Baden-Württemberg anbieten. In Delegationskreisen wurde von einem Marktvolumen von mindestens 30 Milliarden Euro gesprochen. Auch bei den Universitäten zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Für 2030 wird eine indische Gesamtbevölkerung von 1,5 Milliarden Menschen prognostiziert. Derzeit studieren an über 750 Hochschulen über 70 Millionen Menschen. Laut Experten braucht das Land in 13 Jahren 40 Millionen zusätzliche Studienplätze. Kooperationen mit deutschen Universitäten seien deshalb hochwillkommen.
Indien-Kenner Marquardt rät dennoch dazu, die Euphorie mit Blick vor allem auf eine schwerfällige Bürokratie etwas zu bremsen. „Hier braucht man viel Geduld und einen langen Atem. Aber Indien wird seinen Weg machen, und dann sollten Unternehmen aus Baden-Württemberg dabei sein.“