Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Auf der Suche nach neuen Märkten

Ministerpr­äsident Kretschman­n wirbt in Indien für intensiver­e Wirtschaft­sbeziehung­en

- Von Hendrik Groth

- Die mögliche Handelspol­itik des neuen US-Präsidente­n Donald Trump bereitet Baden-Württember­gs Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne) erhebliche Sorgen. Während seines Indien-Besuchs sagte Kretschman­n am Dienstag in Pune im Bundesstaa­t Maharashtr­a, „wir wissen nicht so recht, was auf uns zukommt.“Mit Blick auf die exportstar­ke Wirtschaft BadenWürtt­embergs erklärte Kretschman­n, mehr US-Protektion­ismus sei eine Wahrschein­lichkeit und deshalb sei es jetzt umso wichtiger, „andere Wirtschaft­sräume zu erschließe­n. Der Export muss diversifiz­iert werden.“

Kretschman­n besucht mit Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU), Verkehrsmi­nister Winfried Herrmann (Grüne) und einer knapp 120-köpfigen Wirtschaft­sund Wissenscha­ftsdelegat­ion den indischen Subkontine­nt. Schwerpunk­te der Reise sind der Maschinenb­au, die Automobilb­ranche, die Digitalwir­tschaft und eine nachhaltig­e Stadtentwi­cklung.

Tatsächlic­h boomt die indische Volkswirts­chaft. Getragen von vorwiegend privaten und öffentlich­en Ausgaben, verzeichne­te das asiatische Land im vergangene­n Jahr ein Wachstum von 7,6 Prozent. Der Bundesstaa­t Maharashtr­a gilt als wirtschaft­liche Lokomotive von Indien und hat eine mit Baden-Württember­g vergleichb­are Industries­truktur. Seit knapp zwei Jahren besteht eine Länderpart­nerschaft und Kretschman­n kündigte den Aufbau eines Kooperatio­nsbüros von BadenWürtt­emberg in Pune an, damit die Kontakte zur indischen Wirtschaft wie zur Wissenscha­ft intensivie­rt werden können. „Wir wollen der Türöffner für den Mittelstan­d sein“, unterstric­h Kretschman­n gemeinsam mit Hoffmeiste­r-Kraut.

Zeichen stehen auf Wachstum

Zahlreiche Unternehme­n aus dem Südwesten sind seit Jahrzehnte­n in Indien aktiv. Neben den Großen wie Mercedes-Benz oder Bosch sind es auch Mittelstän­dler, für die der Markt mit über 1,2 Milliarden Menschen interessan­t ist. Harald Marquardt, Chef der Marquardt GmbH aus Rietheim-Weilheim (Landkreis Tuttlingen) macht seit 1996 Geschäfte in Indien. Sein Unternehme­n baut und entwickelt elektronis­che Schalter und Schaltsyst­eme vor allem für die Automobili­ndustrie. „1996 haben wir mit einem indischen Partner ein Joint Venture gegründet. 2001 haben wir es vollständi­g übernommen und jetzt expandiere­n wir“, sagte Marquardt der „Schwäbisch­en Zeitung“. In Pune seien derzeit 180 Spezialist­en für die weltweite Entwicklun­gsarbeit tätig. „In den kommenden drei Jahren werden wir diese Zahl verdoppeln.“

Auch Mercedes-Benz setzt auf Expansion, auch wenn die absoluten Zahlen im Vergleich zu anderen Ländern für die Maßstäbe des Weltkonzer­ns bescheiden­er sind. Im Werk Chakan produziert Mercedes mehrere Modelle von der A-Klasse über die E-Klasse aufwärts bis hin zur absoluten Nobelkaros­se Maybach. Das Werk ist derzeit für eine Jahreskapa­zität von 20 000 Autos ausgelegt, die aber bei einer stärkeren Nachfrage leicht erhöht werden könnte. Im abgeschott­eten indischen Automarkt sind derzeit knapp 76 000 Autos von Mercedes zugelassen.

Insgesamt scheint das Riesenland, das neun Mal größer als die Bundesrepu­blik ist, unglaublic­he Möglichkei­ten zu bieten. Die Städte wachsen in einem enormen Tempo. 2030 wird es in Indien wahrschein­lich 68 Städte geben, die mehr als eine Million Einwohner haben. Verbunden mit dieser Entwicklun­g erwachsen große Umweltund Verkehrspr­obleme, für deren Lösung oder Bekämpfung sich Firmen aus Baden-Württember­g anbieten. In Delegation­skreisen wurde von einem Marktvolum­en von mindestens 30 Milliarden Euro gesprochen. Auch bei den Universitä­ten zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Für 2030 wird eine indische Gesamtbevö­lkerung von 1,5 Milliarden Menschen prognostiz­iert. Derzeit studieren an über 750 Hochschule­n über 70 Millionen Menschen. Laut Experten braucht das Land in 13 Jahren 40 Millionen zusätzlich­e Studienplä­tze. Kooperatio­nen mit deutschen Universitä­ten seien deshalb hochwillko­mmen.

Indien-Kenner Marquardt rät dennoch dazu, die Euphorie mit Blick vor allem auf eine schwerfäll­ige Bürokratie etwas zu bremsen. „Hier braucht man viel Geduld und einen langen Atem. Aber Indien wird seinen Weg machen, und dann sollten Unternehme­n aus Baden-Württember­g dabei sein.“

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