Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Herstory statt History
Die Macht der Bilder: Natalie Portman als „Jackie“Kennedy
n Jahrzehnten wird man sich an Sie erinnern. Sie sind wie eine Mutter für das ganze Land gewesen.“So sprach Robert Kennedy, USJustizminister und Bruder des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, im November 1963, zumindest wenn man diesem Film glaubt: Er sagt das in diesem Film zu Jackie, Jacqueline Kennedy, der Präsidentenwitwe. Um sie geht es in „Jackie“, dem neuen Film des Chilenen Pablo Larraín („No!“), der trotzdem in Thema, Sprache, Finanzierung ein komplett amerikanischer ist: Ein Hollywood-Melodram mit allem was die US-Traumfabrik an Aufwand bereitstellen kann. Allein 19 Friseure, 19 „dritte Regieassistenten“und fünf „Kamera-Assistenten“führt der Abspann auf.
Getragen von einer beeindruckenden Nathalie Portman in der Titelrolle, erzählt der Film detailverliebt in Dokumentarszenen, inszenierten Dokumentarszenen, in Vorblenden und Rückblenden von den Tagen, die zwischen John F. Kennedys Ermordung am 22.November und seiner Trauerfeier am 25. November 1963 lagen. Im Zentrum steht die Frage, wer über diese Trauerfeier und ihre Ausgestaltung entschied, die in vielen Details die Beerdigung Abraham Lincolns zum Vorbild nahm, über die Beisetzung und die entsprechende politische Symbolik. Es geht also um die Macht der Bilder und um die Herrschaft über sie. Der Film zeigt eine Jackie Kennedy, die vom Geschehen schwer getroffen ist und trotzdem kühl bereits wenige Stunden nach dem Tod ihres Mannes damit beginnt, am Bildgedächtnis und Mythos von dessen Präsidentschaft zu arbeiten – wider alle Gegenkräfte.
Sie war die ungekrönte Königin
Es geht aber natürlich auch um das Phänomen Jacqueline Kennedy, die später als „Jackie O.“, die Ehefrau des griechischen Reeder-Playboy-Milliardärs Aristoteles Onassis und Übermutter des Kennedy-Clans berühmt blieb – eine glanzvolle ungekrönte Königin Amerikas.
Dem Bekannten fügt Larraín vor allem einen Aspekt hinzu: Jackie wird als überaus medienbewusste Person gezeichnet – angefangen mit der Entscheidung, das blutbefleckte Kleid vom Mordtag die nächsten Stunden über nicht abzulegen. Vor dem Ins-Bett-gehen sieht man sie dann duschen: Vom Haar ab läuft das Blut ihres Mannes an ihr herunter. Müssen wir uns das so vorstellen?
So sieht gutes Kino aus
Ob ihr Bild in diesem Film der historischen Wahrheit entspricht und Jackies Rolle gerecht wird – wer weiß? Eine gute Kinogeschichte ist es allemal, auch wenn Larraíns aufwendig gemachter Film gerade in seiner ununterscheidbaren Mischung realer und perfekt nachgeahmter Bilder nicht weniger manipulativ ist, als er es den US-Mächtigen unterstellt. Präsentiert wird hier nun ausschließlich Herstory statt History.
Dieses Übermalen und Überschreiben von Geschichte mit künstlichen Bildern ist problematisch. Zugleich ist dies das Hauptthema des Films: Die Rolle des Mythologischen und Emotionalen in der Demokratie mit ihren trockenen Verfahren. Das Verhältnis von Recht und Pragmatik zum Irrationalen, dem Charisma des Präsidenten, das mit seinem Tod wie bei mittelalterlichen Königen auf die Verwandtschaft übertragen wird. Schon zu Lebzeiten wob John F. Kennedy am Mythos vom amerikanischen „Camelot“, dem Hof des weisen König Artus – so wollte er gesehen werden, und seine Witwe sorgte dafür, dass diese Sicht auch nach dem Mord von Dallas bis heute fast ungebrochen Bestand hat.
Man würde diesen Film übrigens noch einmal ganz anders betrachten, wäre vergangene Woche die erste Frau als Präsidentin ins Weiße Haus eingezogen. Dann würde man in „Jackie“eine ferne Vorläuferin Hilary Clintons gesehen haben, eine erste Frau, die machtvoll und klug mit der präsidentiellen Symbolik umzugehen weiß, die zwischen den Fallstricken des Apparats eine geschickte Strippenzieherin und Manipulatorin war. So aber fallen andere Ähnlichkeiten ins Auge: Beides waren seltene und daher einsame, erkennbar sich verhärtende Frauen in einer Männergesellschaft, die dort letztlich Opfer der geballten Männermacht geworden sind.
Jenseits dessen erzeugt „Jackie“allerdings auch die wehmütige Erinnerung an eine Zeit, in der die USPräsidentschaft noch den Glanz einer zivilen Monarchie hatte und Amerika noch als Vorbild und Ideal demokratischer Verhältnisse taugen konnten. Lang ist's her.
USA 2016, Regie: Pablo Larraín, Buch: Noah Oppenheim, mit Natalie Portman, 100 Minuten.