Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Fünf Eltern und doch Waise
Italienisches Paar muss das Kind einer russischen Leihmutter den Behörden überlassen
(dpa) - Am 27. Februar 2011 wird in Moskau ein Junge geboren. So viel steht fest. Bereits auf die scheinbar simple Frage nach den Eltern gibt es viele Antworten: Ist es das italienische Paar Donatina und Giovanni? Die russische Leihmutter? Oder doch die beiden Unbekannten, die ihren Samen und ihre Eizellen gespendet haben?
Am Ende fehlt dem Kind formal sogar über Monate eine Identität. Es wird Donatina und Giovanni weggenommen, kommt in ein Waisenhaus, später zu einer Pflegefamilie. Vor dem Menschenrechtsgerichtshof wehrt sich das Paar dagegen – letztlich erfolglos. Am Dienstag lehnen die Straßburger Richter die Beschwerde endgültig ab. Die italienischen Behörden durften den Wunscheltern das Kind wegnehmen, um „Unordnung zu verhindern“. (Beschwerde-Nr. 25358/12)
In Italien, dem Heimatland von Donatina und Giovanni, ist die Leihmutterschaft nämlich verboten – wie in Deutschland. Nicht so in Russland – oder etwa auch in der Ukraine oder den USA. Vom Wunsch beseelt, ein Kind zu haben, ohne langwierige Adoptionsverfahren durchstehen zu müssen, ist das Paar nach Moskau gereist und hat dort einen Leihmutterschaftsvertrag abgeschlossen.
Besonders – und für die Entscheidung der Straßburger Richter mit ausschlaggebend – an dem Fall ist, dass weder er noch sie genetisch mit dem Kind verwandt sind. Ob der Italiener das nun wusste oder in der Klinik irgendetwas nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen, blieb unklar. Die italienischen Behörden stellten den guten Glauben des Paares jedenfalls in Frage. Sie warfen ihm Narzissmus vor, die beiden hätten mit dem Kind ihre Beziehungsprobleme lösen wollen.
Worum es wohl eher ging: um die Durchsetzung der Wertvorstellung, dass es eine Leihmutterschaft nicht geben sollte. In erster Instanz hatte das Menschenrechtsgericht Italien dazu verurteilt, dem Paar eine Entschädigung zu zahlen. Der Verweis auf die öffentliche Ordnung könne kein Freibrief sein. „Ein Kind aus einer Familie zu nehmen, ist eine extreme Maßnahme, die nur als letztes Mittel in Betracht kommen sollte“– und zwar dann, wenn das Kind wirklich gefährdet ist. In zweiter Instanz rückte das Kindeswohl nun in den Hintergrund und das Interesse des Staates, ein Leihmutterschaftsverbot durchzusetzen, in den Vordergrund.
Warum aber ist die Leihmutterschaft in so vielen europäischen Ländern verboten? „Der Gesetzgeber“, sagt Medizinrechtler Hans-Georg Koch, „befürchtet eine Kommerzialisierung, denn die Frau, die das Kind über neun Monate lang austrägt, muss ja irgendwie entschädigt werden.“Außerdem: Was passiert, wenn das Kind nicht ausfällt wie angenommen – es behindert ist oder Zwillinge geboren werden? Oder die Leihmutter es sich anders überlegt und das Kind behalten will?
Trotz des Verbots nehmen auch Deutsche immer häufiger Leihmütter in Anspruch – eben im Ausland, sagt Rechtsanwalt Rolf Behrentin. „Bei mir nimmt die Zahl der Fälle seit ein paar Jahren zu.“Befördert haben dürfte dies eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2014. Die Karlsruher Richter erkannten damals ein schwules Paar als Eltern für ein Kind an, das eine Leihmutter in den USA ausgetragen hatte.
Kindeswohl an erster Stelle
„Die Rechtsprechung tendiert dazu, Umgehungen des Leihmutterschaftsverbots zum Wohl des Kindes hinzunehmen“, sagt der Anwalt. Auch bei den Jugendämtern steht das Kindeswohl an erster Stelle: „In Deutschland werden Kinder ganz selten aus den Familien herausgenommen“, sagt Behrentin. „Das passiert zum Beispiel dann, wenn ein Verdacht von Kinderhandel besteht.“
Ein Fall wie der in Italien, in dem beide Partner nicht mit dem Kind verwandt sind, ist in Deutschland noch nicht bekannt geworden. Sicher habe eine solche Konstellation den „Makel einer Bestellung“, sagt Familienanwalt Michael Stern. „Manche Menschen könnten da auf fatale Ideen kommen.“
Stern ist sich sicher: „Irgendwann wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen, ob eine genetische Verwandtschaft für die rechtliche Anerkennung der Elternschaft zwingend sein darf. Oder ob das Kindeswohl absolut im Vordergrund steht – wie bei der Adoption.“