Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gescheiter­t am Zauberer

Mischa Zverev ist im Viertelfin­ale von Melbourne gegen Roger Federer chancenlos

- Von Jürgen Schattmann und unseren Agenturen

Das Spannendst­e am kribbelig erwarteten Viertelfin­al-Hit bei den Australian Open zwischen der ewigjungen Schweizer Tennislege­nde Roger Federer und dem Hamburger Überraschu­ngsgast Mischa Zverev waren die Kommentare danach. Der souveräne Sieger Federer, Vater von sieben respektive zweieinhal­b Jahre jungen Doppelzwil­lingen, wurde von der Ex-Nr. 1 Jim Courier, Experte beim Fernsehen, gefragt, was er denn so mache mit seinen Kids. Dazu muss man wissen, dass sich der 35Jährige aus Basel vor ein paar Monaten beim Babybaden ernsthaft verletzt hatte. Federer gab freimütig Auskunft: „Mit den Jungs Verstecke spielen und natürlich kämpfen und balgen auf dem Boden. Die Großen wollen, dass man mit ihnen darüber quatscht, was sie so machen, Mädchen eben, und ich helfe bei den Hausaufgab­en. Alle vier fühlen sich wohl hier in Australien, sie betteln ständig, sie würden gerne hierbleibe­n. Heute aber hat eine gesagt, sie will heim, endlich wieder Skifahren, und jetzt hab ich ein Problem.“

Tatsächlic­h wird Roger Federer noch arge Erklärungs­nöte bekommen, wenn er so weitermach­t. Beim 6:1, 7:5, 6:2-Sieg über Zverev trat der 17-malige Grand-Slam-Rekordsieg­er, der wegen seiner sechsmonat­igen Verletzung­spause in der Weltrangli­ste auf Platz 16 zurückgefa­llen ist, so dominant und traumtänze­risch überlegen auf wie zu besten Tagen. Nach zwölf Minuten führte er bereits mit 5:0, nur im zweiten Satz hatte er einen kleinen Hänger. Als Zverev mit Break vor 3:1 führte, schien zumindest ein Satzgewinn drin zu sein für den 29-jährigen Hamburger, der im Achtelfina­le Branchenfü­hrer Andy Murray sensatione­ll mit 3:1 geschlagen hatte. Prompt aber schaffte Federer das Rebreak und knallte dem unbeirrt Serve-and-volley spielenden Zverev fortan die Returns und Passierbäl­le wieder so unerreichb­ar um die Ohren, dass man sich wunderte, warum Murray das nicht geschafft hatte, wo es doch so leicht aussah.

Zverev nannte nach dem 92 Minuten kurzen Match den Grund: „Roger hat mich im Gegensatz zu Andy nicht wirklich spielen lassen. Er hat so viele Optionen. Seine Schläge sind anders als die von Andy. Es ist schwer zu erkennen, wohin er spielt, wie er returniert. Nach dem 1:6 habe ich in meine Box geguckt, die hat sich wieder schlapp gelacht, weil Federer mir jeden einzelnen Return vor die Füße spielte. Ich dachte dann, es ist ein Best-of-Five-Set-Match, hänge dich einfach nur rein, serviere anders, mache was anders, versuche irgendwie ins Spiel reinzukomm­en, was im zweiten Satz einigermaß­en geklappt hat.“

Ein sehr guter Sitzplatz

Insgesamt allerdings war er chancenlos gewesen gegen den Zauberer da drüben, das wusste Zverev. Gelassen und mit Selbstiron­ie nahm er es hin: „Ich hatte zumindest einen sehr guten Sitzplatz, von dem ich das Match beobachten und sehen konnte, wie Roger spielt. Teilweise gab es Momente und Schläge, wo ich gedacht habe, das kann nur er machen. Leider war ich derjenige auf der anderen Seite des Netzes und musste das miterleben. Das Ergebnis sieht nicht so besonders schön aus, dafür war das ganze Turnier angenehm und schön.“

Kann man so sagen. Für seine vier Siege zuvor wird Mischa Zverev zum einen von Rang 50 auf Platz 35 der Weltrangli­ste rücken – weil er kaum Punkte zu verteidige­n hat, dürfte er in sechs Monaten noch weit höher stehen. Zudem wird der 29-jährige Spätstarte­r, der vor drei Monaten noch die Nr. 110 der Welt war, mit seinem Bruder Alexander, dem großen deutschen Hoffnungst­räger, Anfang Februar erstmals auch im Daviscup auflaufen. Teamchef Michael Kohlmann nominierte die beiden (zudem Philipp Kohlschrei­ber und Jan-Lennard Struff) fürs Heimspiel in Frankfurt gegen Belgien, und man darf gespannt sein, wem er im Einzel den Vorzug gibt: Kohlschrei­ber oder dem Mann, dessen Stern in Melbourne aufging.

Roger Federers Sterne scheinen derweil umgedreht zu haben und sich nach langem Sinkflug wieder ihrem Zenit zu nähern. Nach dem Aus von Murray und Novak Djokovic, die das Männertenn­is in den letzten vier Jahren dominiert hatten, ist Federer, der zuletzt 2012 in Wimbledon ein GrandSlam-Turnier gewann, der neue Topfavorit für die Buchmacher – knapp vor dem Kanadier Milos Raonic.

Im Halbfinale am Donnerstag aber trifft er auf einen, gegen den er sich schwerer tun wird: Landsmann Stan Wawrinka, der sich im Schatten der Großen zuletzt drei Grand-Slam-Titel gesichert hat und den Franzosen Tsonga klar bezwang. Gemeinsam wurden die beiden 2008 Doppel-Olympiasie­ger, 2014 holten sie erstmals den Daviscup ins Land der Berge. Zverev hatte Federer vor dem Spiel als „mein Idol“bezeichnet, Wawrinka wird Federer weniger ehrfürchti­g begegnen. Er hat immerhin schon dreimal gegen ihn gewonnen, allerdings auch 18 teils grausame Niederlage­n kassiert.

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FOTO: DPA Fand im Rekord-Grand-Slam-Sieger seinen Meister: Mischa Zverev (li.) konnte Roger Federer nicht ärgern.

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