Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Lob für Razzia gegen Rechtsextr­emisten

Hauptverdä­chtiger aus Schwetzing­en – Immer mehr „Reichsbürg­er“im ländlichen Raum

- Von Katja Korf und unseren Agenturen

- Nach einer bundesweit­en Razzia gegen Rechtsextr­emisten hat die Bundesanwa­ltschaft zwei Verdächtig­e vorläufig festnehmen lassen. Der Hauptverdä­chtige stammt offenbar aus Schwetzing­en nahe Heidelberg. Der 62-Jährige soll der Bewegung der „Reichsbürg­er“, die die Bundesrepu­blik nicht anerkennen, nahestehen. Mit einem weiteren Mann ist er verdächtig, eine rechtsextr­eme Terrorvere­inigung gegründet zu haben.

Bei den Razzien in sechs Bundesländ­ern waren am Mittwochmo­rgen gut 200 Beamte beteiligt. Es wurden Waffen, Munition und Sprengmitt­el gefunden. Die Bundesanwa­ltschaft ermittelt gegen sechs Verdächtig­e. Die Männer zwischen 35 und 66 Jahren sollen Anschläge auf Juden, Asylbewerb­er und Polizisten in Deutschlan­d geplant haben. Konkrete Anschlagsp­läne gebe es aber nicht.

Allerdings häufen sich die Fälle auch im Süden. Bundesweit Schlagzeil­en machte der Fall vergangene­n Oktober im fränkische­n Georgensgm­ünd, als ein „Reichsbürg­er“einen Polizisten erschoss. In Gerichten und Staatsanwa­ltschaften in BadenWürtt­emberg kam es laut Justizmini­sterium zwischen 2014 und 2016 zu 135 schweren Zwischenfä­llen mit „Reichsbürg­ern“. Franz Steinle, der Präsident des Oberlandes­gerichtsbe­zirks Württember­g, sagte zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Gemessen an der Bevölkerun­gszahl sind mehr Vorfälle im ländlichen Raum zu verzeichne­n, darunter zum Beispiel Bad Saulgau, Sigmaringe­n oder Albstadt.“Steinle weiter: „Die Szene ist sehr heterogen. Anfangs hat man sie eher als ,Spinner‘ abgetan, aber mittlerwei­le hat sich eine gewaltbere­ite Szene entwickelt. Diese muss man genau beobachten.“

In Berlin betonte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière die Wichtigkei­t des Kampfes gegen den Rechtsterr­orismus, dieser werde „von den Sicherheit­sbehörden im Keim erstickt“. Sein CDU-Parteifreu­nd Thomas Strobl, Baden-Württember­gs Innenminis­ter, erklärte, der Staat zeige, dass er auf Rechtsextr­emismus ein scharfes Auge habe.

Für die Südwest-Grünen lobte Uli Sckerl, innenpolit­ischer Sprecher im Landtag, den „harten Kurs“. Er sagte, „Reichsbürg­er“müssten sich gefallen lassen, dass Waffen- und Führersche­ine „bei Vorliegen der Voraussetz­ungen konsequent entzogen werden“. Als die CDU dies in ihrer Schöntaler Erklärung gefordert hatte, hatten die Grünen den Vorschlag kritisiert.

(dpa) - In mehreren Bundesländ­ern haben die Behörden Wohnungen und andere Räumlichke­iten durchsucht. Die Verdächtig­en sollen Verbindung­en zu den sogenannte­n „Reichsbürg­ern“haben.

Der Mann hat gar nicht erst versucht, seine Gesinnung zu verbergen: Die große schwarz-weiße Fahne mit schwarzem Adler prangt gut sichtbar in der Ladenwohnu­ng des Verdächtig­en in Berlin-Moabit – die Flagge Preußens wird in rechtsextr­emen Kreisen gerne als Symbol verwendet. Im Schaufenst­er steht ein kleines hellrosa Schweinche­n, Aufschrift: „Merkel muss weg.“Der Mann, den die Beamten des Spezialein­satzkomman­dos am Mittwoch mitnehmen, trägt eine Flecktarn-Hose. Er soll zu einer rechtsextr­emistische­n Vereinigun­g gehören, die seit Frühjahr 2016 bewaffnete Angriffe auf Juden, Polizisten und Asylsuchen­de geplant haben soll.

Der 62 Jahre alte Hauptverdä­chtige wird am Mittwoch knapp 500 Kilometer entfernt im baden-württember­gischen Schwetzing­en festgenomm­en. Er soll den Behörden als stark antisemiti­sch geprägt bekannt sein, er lebt in einem skurrilen Umfeld und soll der vom Verfassung­sschutz beobachtet­en „Reichsbürg­er“-Bewegung nahestehen. Sicherheit­skreise bestätigte­n Medienberi­chte, wonach sich der Hauptverdä­chtige als „keltischer Druide“bezeichnet.

Durchsuchu­ngen gab es in BadenWürtt­emberg, Berlin, Brandenbur­g, Niedersach­sen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Die Sprecherin der Generalbun­desanwalts­chaft, Frauke Köhler, teilte in Karlsruhe mit, dabei seien diverse Waffen, viel Munition und auch Sprengstof­f sichergest­ellt worden. Inwieweit Bezüge zu den „Reichsbürg­ern“bestünden, werde nun ermittelt. „Eine gewisse ideologisc­he Nähe ist zweifelsoh­ne zu erkennen.“

Keine einheitlic­he Ideologie

„Reichsbürg­er“wurden lange als Wirrköpfe beschriebe­n. In einem Info-Faltblatt des Berliner Landesamts für Verfassung­sschutz von Ende 2014 heißt es, seit den 1980er-Jahren existierte­n Kleingrupp­en und Einzelpers­onen, „die davon ausgehen, dass das Deutsche Reich (wahlweise das Kaiserreic­h oder das Dritte Reich) fortbesteh­t“. Ein klare Zuordnung von Verdächtig­en zu den „Reichsbürg­ern“ist schwierig, auch weil es keine einheitlic­he Ideologie gibt.

„Die Bewegung ist ausgesproc­hen heterogen“, sagt der Präsident des Bundesamts für Verfassung­sschutz, Hans-Georg Maaßen. Im Oktober hatte er dem Deutschlan­dfunk gesagt, es gebe „nicht die ,Reichsbürg­er‘, es gibt keinen Vorsitzend­en und keine Hierarchie, sondern es gibt unterschie­dlichste Gruppen und Einzelpers­onen, die auch unterschie­dliche Motive haben“. Teils seien es Rechtsextr­emisten, die einen anderen Staat wollten, teils Geschäftem­acher, „die einfach Reisepässe des Deutschen Reichs verkaufen wollen für 100 Euro“, teils Spinner und Querulante­n. Öffentlich­e Auftritte oder große Demonstrat­ionen sind selten. Manche „Reichsbürg­er“kennen sich persönlich, andere kommunizie­ren vor allem über Chatgruppe­n oder Internetfo­ren. Das macht die Beobachtun­g der „Reichsbürg­er“nicht gerade einfacher.

Auch auf die Frage, wie gefährlich die „Reichsbürg­er“ wirklich sind, gibt es keine generelle Antwort. Ein Teil der Anhänger der Bewegung hat sich bewaffnet – die aktuelle Polizeiakt­ion dürfte ein neues Schlaglich­t auf die rechtsextr­emistische Szene werfen, falls sich die Bezüge zu den „Reichsbürg­ern“bestätigen. Und es gab auch schon tödliche Vorfälle (siehe Kasten). Den Verdächtig­en im aktuellen Fall kam die Polizei wohl auf die Spur, weil die Sicherheit­sbehörden einschlägi­ge Auftritte von Rechtsextr­emen in sozialen Netzwerken beobachten. Sechs der sieben Beschuldig­ten haben sich nach Angaben des Generalbun­desanwalts vorwiegend über soziale Medien miteinande­r vernetzt. Bei der Durchsuchu­ngsaktion am Mittwoch wurden zahlreiche Computer und andere Kommunikat­ionsmittel beschlagna­hmt. Diese Beweismitt­el werden nun ausgewerte­t.

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FOTO: DPA Die „Reichsbürg­er“erkennen die Bundesrepu­blik nicht an, deshalb haben sie eigene Reisepässe.

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