Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schulz setzt auf SPD-Sieg
Kanzlerkandidat will auf Alltagssorgen der Bürger hören
(dpa) - Der künftige SPDChef Martin Schulz glaubt an den Einzug ins Kanzleramt. „Die SPD will dieses Land führen“, sagte der Kanzlerkandidat am Mittwoch nach einer Sondersitzung der SPD-Fraktion in Berlin. Eine Wunschkoalition nannte er nicht. „Wir wollen, in welcher Konstellation auch immer, den Bundeskanzler stellen“, betonte Schulz. Denkbar wäre nach heutigem Stand eine rot-rot-grüne oder eine rot-gelb-grüne Koalition. Die möglichen Koalitionspartner hätten sich, so Schulz, dann an den Inhalten der SPD zu orientieren. Seine Partei werde den Koalitionsvertrag mit der Union erfüllen, im Wahlkampf aber für sich kämpfen. Er selbst wolle auf die Alltagssorgen der Bürger hören und die Demokratie gegen Rechtspopulismus verteidigen.
- Da steht er nun und strahlt. Martin Schulz, der neue Kanzlerkandidat, wird von der SPD-Fraktion mit dreiminütigem üppigen Beifall empfangen, die Minister in der ersten Reihe im Fraktionssaal zollen ihm, wie die ganze Fraktion, stehend Beifall, bevor er seine kleine Antrittsrede hält. 250 neue Mitglieder hat die SPD seit der Ankündigung von Schulz’ Kanzlerkandidatur, ein weiterer Grund zur Freude.
„Er hat den vollen Rückhalt der SPD-Fraktion“, sagt Fraktionschef Thomas Oppermann vor der Presse. Die muss nach dem Auftritt von Schulz noch ein bisschen warten, denn ziemlich viele SPD-Abgeordnete wollten noch schnell ein Selfie von sich und dem neuen Kandidaten machen. Es sei so „eine gute Stimmung in der Fraktion wie seit Jahren nicht“, sagen Abgeordnete.
Die Alltagssorgen
Oppermann lobt Schulz, der mit großer Souveränität seine Ämter bisher ausgefüllt und eine große Glaubwürdigkeit habe. „Wir wollen die Bundesregierung von vorne führen“, sagt der SPD-Fraktionschef. Schulz hat die Fraktion dafür um Unterstützung und Vertrauen gebeten. Er hat noch einmal davon erzählt, wie er früher Bürgermeister der 40 000-Einwohner-Stadt Würselen war und später siebeneinhalb Jahre Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament. Dass er als Bürgermeister die Alltagssorgen von Menschen täglich erfahren habe. Die wolle er in den Mittelpunkt stellen. „Das muss Leitlinie für uns sein“, so Schulz. Immer wieder betont der SPD-Politiker, dass man sich um die ganz normalen Menschen kümmern müsse. Sie sollten in den Mittelpunkt sozialdemokratischen Denkens gestellt werden.
Schulz zeigt aber auch, dass er Angriff beherrscht, als er eine klare Kampfansage gegen Rechts abgibt und zum Fall Höcke (AfD) Stellung bezieht. Er hält die Demokratie für gefährdet, „wenn ein Abgeordneter in seiner Partei bleibt, der das Holocaust-Mahnmal als Schandmal bezeichnet hat“. Der Schutzwall gegen Feinde und Zerstörer der Demokratie heiße SPD, betont der bisherige EU-Parlamentspräsident. Schulz gilt für viele Sozialdemokraten als Hoffnungsträger. Der Biberacher SPDAbgeordnete Martin Gerster berichtet, er habe gleich nach der Verkündung viele begeisterte SMS aus Oberschwaben bekommen.
Die Art des von Gabriel überraschend vollzogenen Übergangs wurde zwar am Abend zuvor im WillyBrandt-Haus noch einmal besprochen und auch kritisiert, sie soll aber jetzt vergessen werden. „Über das Vorgehen Gabriels schweigen wir lieber“, heißt es. Fraktionschef Oppermann, der sich selbst auch geärgert hatte, gibt die Devise aus: „Nicht mehr lamentieren, sondern kämpfen.“
Und Sigmar Gabriel? Dessen Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts in der Bundespressekonferenz wird schon zu einer Art Abschied aus dem Amt. Am Freitag wird er seinen neuen Posten als Außenminister antreten. Dass es auch Unmut über sein Vorgehen, seinen Rücktritt via „Stern“zu erklären gibt, versteht er. „Aber morgen wäre es ohnehin in allen Medien gewesen“, verteidigt er sein Vorgehen.
In der Rückschau auf seine gut drei Jahre als Wirtschaftsminister bezeichnet er die Entscheidung zu Kaisers-Tengelmann als seine wichtigste Entscheidung. Erstmals sei dies eine Ministererlaubnis, die direkt dem Erhalt von Arbeitsplätzen gedient habe. Dass Brigitte Zypries, die derzeitige Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium und frühere Justizministerin ihn als Wirtschaftsminister ablösen soll, begründet er mit dem großen Vertrauensverhältnis zu Zypries.
Seinen eigenen Schritt, nun nach dem Außenamt zu greifen, kommentiert er lapidar. Man hätte es ja schließlich nicht unbesetzt lassen können. Nachdem er im „Stern“-Interview seinen Rückzug auch mit seinem Privatleben begründet hatte („Ausschlaggebend waren die politischen Gründe. Aber die privaten sprechen auch dafür.“) wird er nun gefragt, ob er denkt, dass der Außenminister häufiger zu Hause sein könne als der Wirtschaftsminister. Gabriel sagt, das Außenministerium habe den Vorzug, dass man am Wochenende zu Hause sein könne, aber die Entscheidung sei politischer Natur gewesen. Ausstiegsgelüste aus der Politik hat er jedenfalls nicht: „Ich kandidiere ja für den nächsten Bundestag.“