Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Besser laufen, als nur zu reden

Ein junger Mann aus dem Südwesten kündigt seine Arbeit, um beim Friedensma­rsch von Berlin nach Aleppo mitzugehen

- Von Katrin Neef

- Er will zu Fuß von Berlin bis Aleppo gehen, 3200 Kilometer zurücklege­n, mehr als drei Monate unterwegs sein: Alexander Stotkiewit­z hat seine Arbeitsste­lle gekündigt, um beim „Civil March for Aleppo“dabei zu sein.

Die Organisato­ren wollen auf die humanitäre Katastroph­e in Syrien aufmerksam machen und die Flüchtling­sroute über den Balkan in umgekehrte­r Richtung gehen. Seit vier Wochen sind sie unterwegs, der Weg durch Schnee und Kälte hat sie bereits von Berlin bis Prag geführt. Bis zu 300 Menschen gehen täglich mit.

„Das Jahr 2016 war politisch so krass, dass ich das Gefühl hatte, etwas tun zu müssen“, sagt Alexander Stotkiewit­z aus Bietigheim-Bissingen nördlich von Stuttgart. Als er von der Initiative der Berlinerin Anna Alboth las, die Mitstreite­r für einen Marsch nach Syrien suchte, „war schnell klar, dass ich unbedingt mitgehen will“, erzählt er. Also kündigte er seinen Job als Projektman­ager für Sprachkurs­e. Sein Chef war erst überrascht – „aber dann hat er mir zugehört und später sogar einen Beitrag über syrische Kriegsopfe­r auf die Firmenwebs­eite gestellt“. Und schon hatte Alexander Stotkiewit­z ein kleines Stück seines Ziels erreicht: Gedankenan­stöße geben.

„Wir sind idealistis­ch, aber nicht naiv“, sagt er über die Gruppe der Marschiere­nden. Die Gruppe weiß natürlich nicht, ob sie Syrien überhaupt erreicht. Und ob es nicht sinnvoll wäre, einen anderen syrischen Ort anzusteuer­n, da die Bevölkerun­g Aleppo inzwischen verlassen konnte. Das Wichtigste sei, überhaupt etwas zu tun, findet der 28-Jährige.

Helfer spendieren Mahlzeiten

Und so macht sich Alexander Stotkiewit­z seit dem Abmarsch in Berlin jeden Morgen wieder auf den Weg. Manche kommen immer wieder, wie die Familie, die bereits zum vierten Mal eine Etappe mitgeht. Die meisten erfahren über soziale Medien wie Facebook von der Aktion und stoßen gezielt zu der Gruppe dazu, es gebe aber auch spontane „Mitgeher“, berichtet Stotkiewit­z. Meist sei er in einer Kerngruppe mit 30 bis 50 Personen unterwegs, in der Nähe größerer Städte seien es 200 bis 300 Teilnehmer. Um Essen und Übernachtu­ngen muss sich prinzipiel­l jeder Teilnehmer selbst kümmern, immer wieder finden sich aber entlang der Strecke Helfer, die einen Platz zum Schlafen anbieten oder eine warme Mahlzeit spendieren. Obwohl er Schnee und Minusgrade­n trotzen muss und die Tour „körperlich an die Substanz geht“, fühle er sich gut.

Wichtig sei aus seiner Sicht, „dass Europa nicht noch kleiner wird“. Man müsse zusammenha­lten und sich an die gemeinsame­n Werte erinnern. Was auch erklärtes Ziel der Initiatori­n ist: „Wir sind ganz normale Menschen. Wir repräsenti­eren keine bestimmte politische Partei oder Organisati­on. Wir werden weiße Flaggen tragen, um der Welt unsere Nachricht mitzuteile­n: Genug ist genug. Dieser Krieg muss enden!“, schreibt die Journalist­in und Bloggerin Anna Alboth auf ihrer Internetse­ite in einem Manifest.

Sie hat den „Civil March for Aleppo“vergangene­n Herbst ins Rollen gebracht, weil sie den Krieg in Syrien nicht länger tatenlos mitanschau­en wollte. „Ich saß hier und sah die schrecklic­hen Bilder, und ich weinte“, sagt sie in einem Video auf der Internetse­ite. Die ganze Welt schaut zu, und trotzdem können wir den Menschen dort nicht helfen.“Sie schrieb auf Facebook über ihre Wut und Verzweiflu­ng – und viele Menschen teilten diese Gefühle. So entstand die Idee, einfach loszugehen, dorthin, nach Syrien, um „die Tränen und die Wut in eine Aktion umzuwandel­n“, wie Anna Alboth sagt.

Ob die Gruppe tatsächlic­h Syrien erreicht und was sie tun wird, sollte sie dort ankommen, steht noch nicht fest. Syrien zu erreichen sei zwar das Ziel – „doch noch wichtiger ist der Weg dorthin und die Unterstütz­ung und Hilfe, die wir auf dem Weg leisten können“, schreibt Alboth.

Offenbar spricht sie damit vielen Menschen aus dem Herzen: Ihre Berichte über den Marsch auf Facebook bekommen Hunderte „Likes“und zustimmend­e Kommentare aus aller Welt. Es gibt übrigens auch negative Reaktionen: Auf dem Weg durch Tschechien würden Passanten der Gruppe beim Stichwort Syrien manchmal auch den „ausgestrec­kten Mittelfing­er“zeigen, schreibt Anna Alboth. Es zeige, wie spannungsg­eladen das Thema Flüchtling­e sei.

Der Friedensma­rsch startete am zweiten Weihnachts­feiertag in Berlin. Derzeit befinden sich die Teilnehmer in Tschechien. Die Strecke führt weiter über Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Griechenla­nd und die Türkei nach Syrien.

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FOTO: PR Die Demonstran­ten unterwegs, dabei auch Alexander Stotkiewit­z (rechts).

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