Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Besser laufen, als nur zu reden
Ein junger Mann aus dem Südwesten kündigt seine Arbeit, um beim Friedensmarsch von Berlin nach Aleppo mitzugehen
- Er will zu Fuß von Berlin bis Aleppo gehen, 3200 Kilometer zurücklegen, mehr als drei Monate unterwegs sein: Alexander Stotkiewitz hat seine Arbeitsstelle gekündigt, um beim „Civil March for Aleppo“dabei zu sein.
Die Organisatoren wollen auf die humanitäre Katastrophe in Syrien aufmerksam machen und die Flüchtlingsroute über den Balkan in umgekehrter Richtung gehen. Seit vier Wochen sind sie unterwegs, der Weg durch Schnee und Kälte hat sie bereits von Berlin bis Prag geführt. Bis zu 300 Menschen gehen täglich mit.
„Das Jahr 2016 war politisch so krass, dass ich das Gefühl hatte, etwas tun zu müssen“, sagt Alexander Stotkiewitz aus Bietigheim-Bissingen nördlich von Stuttgart. Als er von der Initiative der Berlinerin Anna Alboth las, die Mitstreiter für einen Marsch nach Syrien suchte, „war schnell klar, dass ich unbedingt mitgehen will“, erzählt er. Also kündigte er seinen Job als Projektmanager für Sprachkurse. Sein Chef war erst überrascht – „aber dann hat er mir zugehört und später sogar einen Beitrag über syrische Kriegsopfer auf die Firmenwebseite gestellt“. Und schon hatte Alexander Stotkiewitz ein kleines Stück seines Ziels erreicht: Gedankenanstöße geben.
„Wir sind idealistisch, aber nicht naiv“, sagt er über die Gruppe der Marschierenden. Die Gruppe weiß natürlich nicht, ob sie Syrien überhaupt erreicht. Und ob es nicht sinnvoll wäre, einen anderen syrischen Ort anzusteuern, da die Bevölkerung Aleppo inzwischen verlassen konnte. Das Wichtigste sei, überhaupt etwas zu tun, findet der 28-Jährige.
Helfer spendieren Mahlzeiten
Und so macht sich Alexander Stotkiewitz seit dem Abmarsch in Berlin jeden Morgen wieder auf den Weg. Manche kommen immer wieder, wie die Familie, die bereits zum vierten Mal eine Etappe mitgeht. Die meisten erfahren über soziale Medien wie Facebook von der Aktion und stoßen gezielt zu der Gruppe dazu, es gebe aber auch spontane „Mitgeher“, berichtet Stotkiewitz. Meist sei er in einer Kerngruppe mit 30 bis 50 Personen unterwegs, in der Nähe größerer Städte seien es 200 bis 300 Teilnehmer. Um Essen und Übernachtungen muss sich prinzipiell jeder Teilnehmer selbst kümmern, immer wieder finden sich aber entlang der Strecke Helfer, die einen Platz zum Schlafen anbieten oder eine warme Mahlzeit spendieren. Obwohl er Schnee und Minusgraden trotzen muss und die Tour „körperlich an die Substanz geht“, fühle er sich gut.
Wichtig sei aus seiner Sicht, „dass Europa nicht noch kleiner wird“. Man müsse zusammenhalten und sich an die gemeinsamen Werte erinnern. Was auch erklärtes Ziel der Initiatorin ist: „Wir sind ganz normale Menschen. Wir repräsentieren keine bestimmte politische Partei oder Organisation. Wir werden weiße Flaggen tragen, um der Welt unsere Nachricht mitzuteilen: Genug ist genug. Dieser Krieg muss enden!“, schreibt die Journalistin und Bloggerin Anna Alboth auf ihrer Internetseite in einem Manifest.
Sie hat den „Civil March for Aleppo“vergangenen Herbst ins Rollen gebracht, weil sie den Krieg in Syrien nicht länger tatenlos mitanschauen wollte. „Ich saß hier und sah die schrecklichen Bilder, und ich weinte“, sagt sie in einem Video auf der Internetseite. Die ganze Welt schaut zu, und trotzdem können wir den Menschen dort nicht helfen.“Sie schrieb auf Facebook über ihre Wut und Verzweiflung – und viele Menschen teilten diese Gefühle. So entstand die Idee, einfach loszugehen, dorthin, nach Syrien, um „die Tränen und die Wut in eine Aktion umzuwandeln“, wie Anna Alboth sagt.
Ob die Gruppe tatsächlich Syrien erreicht und was sie tun wird, sollte sie dort ankommen, steht noch nicht fest. Syrien zu erreichen sei zwar das Ziel – „doch noch wichtiger ist der Weg dorthin und die Unterstützung und Hilfe, die wir auf dem Weg leisten können“, schreibt Alboth.
Offenbar spricht sie damit vielen Menschen aus dem Herzen: Ihre Berichte über den Marsch auf Facebook bekommen Hunderte „Likes“und zustimmende Kommentare aus aller Welt. Es gibt übrigens auch negative Reaktionen: Auf dem Weg durch Tschechien würden Passanten der Gruppe beim Stichwort Syrien manchmal auch den „ausgestreckten Mittelfinger“zeigen, schreibt Anna Alboth. Es zeige, wie spannungsgeladen das Thema Flüchtlinge sei.
Der Friedensmarsch startete am zweiten Weihnachtsfeiertag in Berlin. Derzeit befinden sich die Teilnehmer in Tschechien. Die Strecke führt weiter über Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Griechenland und die Türkei nach Syrien.