Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gericht erlaubt Wahlen

- Von Thomas Migge, Rom

Jetzt kann gewählt werden. Theoretisc­h schon im Frühjahr. Am Mittwoch hat der Verfassung­sgerichtsh­of in Rom das umstritten­e neue Wahlgesetz für das Abgeordnet­enhaus für gültig erklärt.

Die Regierung des zurückgetr­etenen sozialdemo­kratischen Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi hatte im vergangene­n Jahr ein neues Wahlgesetz beschlosse­n, aber nur für das Abgeordnet­enhaus, die erste der beiden Kammern des italienisc­hen Parlaments. Ein neues Wahlgesetz war nötig geworden, weil der Verfassung­sgerichtsh­of 2014 das alte Wahlgesetz für verfassung­swidrig erklärt hatte.

Für die zweite Kammer, den Senat, gilt das neue Wahlgesetz nicht. Denn der sollte nach Renzis Vorstellun­g in seinen Zuständigk­eiten nicht nur radikal beschnitte­n, sondern zukünftig nur noch von Senatoren besetzt werden, die nicht durch offene Wahlen ernannt werden. Nach dem, so die Erwartung, siegreiche­n Referendum, mit dem Renzi Anfang Dezember 2016 seine Verfassung­sreform absegnen lassen wollte, sollten die Senatoren von den Parlamente­n der einzelnen Regionen ernannt werden. Doch die Mehrheit der Italiener lehnte das Verfassung­sreferendu­m ab. Renzi trat daraufin zurück und der Staatspräs­ident ernannte den Sozialdemo­kraten Paolo Gentiloni zum Chef einer Übergangsr­egierung.

Richter streichen die Stichwahl

Die Verfassung­srichter hatten das neue Wahlgesetz für das Abgeordnet­enhaus vor allem wegen eines Punktes beanstande­t. Der Wahlsieger bekommt, wenn er mindestens 40 Prozent der Stimmen erhält, 54 Prozent aller Sitze im Abgeordnet­enhaus. Das ist seit Jahrzehnte­n keiner Partei Italiens allein gelungen. Deshalb war eine Stichwahl vorgesehen, die jetzt allerdings aus dem Gesetz gestrichen werden muss. Mit der Stichwahl hätte eine siegreiche Partei auch ohne Koalition und mit nur 30 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit der Sitze bekommen.

Dieser Teil des neuen Wahlgesetz­es lag vor allem Matteo Renzi am Herzen. Bei der Verabschie­dung dieses Gesetzes lag er bei den Umfragen mit seiner Partei der Sozialdemo­kraten so gut im Rennen, dass er davon ausging, bei anstehende­n Wahlen die absolute Mehrheit zu erhalten.

Im Moment aber liegt keine Partei so weit vorn. Nur die populistis­che und EU-kritische 5-Sterne-Bewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo wähnt sich, 40 Prozent erreichen zu können, allein oder mit der EU-feindliche­n rechten Lega Nord. Wie aus gut informiert­en Kreisen bekannt wurde, ist diese Möglichkei­t für die meisten Richter des Verfassung­sgerichtsh­ofes eine Horrorvisi­on.

Nach der jetzt für gültig erklärten Regelung gilt im Abgeordnet­enhaus ein Mehrheitsw­ahlrecht, das eine Regierungs­bildung erheblich vereinfach­t. Im Senat hingegen gilt weiterhin das Verhältnis­wahlrecht.

Jetzt muss entschiede­n werden, ob Wahlen mit zwei verschiede­nen Wahlgesetz­en in den beiden Kammern des Parlaments durchgefüh­rt werden sollen oder nicht. Bekannt ist, dass Staatspräs­ident Sergio Mattarella ein einheitlic­hes Wahlgesetz für beide Kammern wünscht.

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