Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schlachtko­nzerne in der Kritik

Gewerkscha­fter Matthias Brümmer prangert Verstöße gegen den gesetzlich­en Mindestloh­n an

- Von Hanna Gersmann

- Eigentlich haben die Schlachtko­nzerne versproche­n, für bessere Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie zu sorgen. In Wirklichke­it werde aber der Mindestloh­n „systematis­ch unterlaufe­n“, sagt Gewerkscha­fter Matthias Brümmer: „Der Mindestloh­n wird nur auf dem Papier bezahlt. Mitten in Deutschlan­d.“Brümmer leitet die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) in einer Gegend, in der die großen Schlachthö­fe stehen, in Oldenburg.

Konzerne wie Danish Crown, Tönnies, Vion oder Wiesenhof produziere­n dort Schnitzel, Würste, Fleischwar­en. Die landen hierzuland­e und weltweit in Discounter­n und Supermärkt­en. Das Angebot ist oft unschlagba­r günstig. „Der Preis, den die Beschäftig­ten für billiges Fleisch zahlen, ist hoch“, klagt Brümmer. Schon im Dezember hatte er kritisiert: „Wir beraten täglich Kollegen mit Werkverträ­gen, die um den Mindestloh­n betrogen werden.“

Betroffene fürchten um Jobs

Kaum einer, sagt der Gewerkscha­fter, „ahnt, wie die Löhne in Schlachthö­fen gedrückt werden, damit Fleisch im reichen Deutschlan­d billig produziert wird“. Brümmer beruft sich auf Angaben, die Beschäftig­te machen, wenn sie sich von der Gewerkscha­ft beraten lassen. Die Betroffene­n selbst wollen nach seinen Angaben anonym bleiben. Sie fürchten um ihre Jobs und um ihre Existenz.

In Deutschlan­d koste „das Schlachten eines Schweines, bis es halbiert im Kühlhaus hängt, oft nur 1,03 Euro“, meint Brümmer – und damit „erheblich weniger als etwa in Dänemark“. Dahinter stecke ein besonderes Schlachter­prinzip in Deutschlan­d: Das Gros der Arbeiter werde vom Subunterne­hmer eines Schlachtho­fes angeworben, in Bulgarien oder in Polen, in Rumänien oder in der Ukraine.

Für den Job zahlten die Süd- und Osteuropäe­r oft eine Vermittlun­gsgebühr. Dann würden sie nach Deutschlan­d gefahren, in das Zentrum der europäisch­en Fleischind­ustrie. Sie schneiden den Tieren die Hälse auf, hängen das Vieh an den Haken, enthäuten und zerlegen es, verpacken die Stücke im Akkord. Das ist harte körperlich­e Arbeit.

„Die Schlachtho­fbetreiber beauftrage­n ihre Subunterne­hmer mit der Erledigung sogenannte­r Gewerke. Die beiden Firmen schließen einen Werkvertra­g ab“, erklärt Brümmer. Das bedeute: Die hiesigen Konzerne können sagen, dass die Kühe nicht mehr von ihren eigenen Leuten, sondern von Mitarbeite­rn des Subunterne­hmers getötet werden, sie damit eigentlich nichts zu tun haben.

„Diese Subunterne­hmer ziehen dann vom Mindestloh­n einen Posten nach dem anderen ab“, so Brümmer weiter. Das könne ein Betrag für das Fleischerm­esser, das sogenannte Messergeld, sein oder einer für Schutzhand­schuhe und deren Reinigung. Das sei „nicht rechtens“. Dem Zoll, der den Mindestloh­n eigentlich kontrollie­ren müsse, fehle aber das Personal.

Dabei hat die Fleischind­ustrie schon im Jahr 2015 feste Zusagen gemacht. Damals hatten sich Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel und seine Kollegin aus dem Arbeitsres­sort, Andrea Nahles (beide SPD) eingeschal­tet. Die Chefs von sechs großen Konzernen unterzeich­neten eine freiwillig­e Selbstverp­flichtung, zwölf andere zogen später nach. Entscheide­nde Aussagen: Die Stammbeleg­schaft soll ausgebaut, für die Einhaltung des Mindestloh­ntarifvert­rages auch bei den Werksvertr­agspartner­n gesorgt werden. „Gescheiter­t“, urteilt Brümmer.

Das sieht André Vielstädte, der für Branchenfü­hrer Tönnies spricht, anders. Er sagt: „Wir achten den Mindestloh­n, wir haben ihn selbst mit eingeforde­rt. Wären uns Verstöße bekannt, würden wir dagegen vorgehen, sind sie uns aber nicht.“

Bei Danish Crown heißt es: „Wir arbeiten hart daran, Verstöße auszuschli­eßen, und haben bereits Subunterne­hmer rausgeschm­issen, die nicht korrekt arbeiten. Das ist aber ein Prozess.“Auch sei es nicht einfach, die Stammbeleg­schaft zu erhöhen: „Wir wollten 42 Leute neu einstellen, haben aber nur zwei Bewerbunge­n bekommen.“

Michael Andritzky, Hauptgesch­äftsführer des Verbands der Ernährungs­wirtschaft VdEW, der die gesamte Fleischbra­nche vertritt, widerspric­ht energisch: „Die Behauptung­en von Herrn Brümmer sind nicht belegt. Sie sind schlichtwe­g dummes Zeug.“Und weiter: „Natürlich kann ich nicht für alle Betriebe sprechen, aber der Mindestloh­n wird gezahlt.“

Brief des Wirtschaft­sministers

Allerdings steht die Branche auch von anderer Seite in der Kritik. Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel schrieb den Konzernche­fs erst vor wenigen Tagen einen mahnenden Brief. Darin führt er „eine sehr geringe Erhöhung der Stammbeleg­schaft in Höhe von 1,2 Prozent“im Jahr 2015 an und mahnt: „Unser gemeinsame­s und primäres Ziel sollte weiterhin sein, über die Erhöhung der Stammbeleg­schaft eine Verbesseru­ng der Beschäftig­ungsbeding­ungen herbeizufü­hren.“Gabriel verweist darauf, dass die Unternehme­r zugesagt haben, Werksvertr­agspartner bei Vergehen zu sanktionie­ren. Gabriels Brief endet mit den Worten: „Es würde mich deshalb freuen, wenn diese Bestandtei­le der Selbstverp­flichtung noch stärker das Selbstvers­tändnis Ihrer Branche prägen würden.“

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