Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kriegsdien­stverweige­rer im Krieg

Mel Gibson erzählt in „Hacksaw Ridge“die Geschichte des Pazifisten Desmond Doss

- Von Stefan Rother

Mel Gibson dreht einen Film über einen überzeugte­n Pazifisten. Das klingt nach einem Witz. Schließlic­h hat der in Australien aufgewachs­ene Amerikaner den Ruf, als Schauspiel­er, vor allem aber als Regisseur ein geradezu obsessives Verhältnis zur Gewalt zu pflegen. Und auch „Hacksaw Ridge“ist von einem friedferti­gen Film weit entfernt. Gibson inszeniert wieder ein optisch ebenso beeindruck­endes wie verstörend­es Gemetzel. Dessen Intensität wird noch dadurch verstärkt, dass der Held sich weigert, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Die teils auf eigener Schuld gründende tiefe Religiosit­ät der Hauptfigur dürfte Gibson angesproch­en haben. Der aus dieser Faszinatio­n resultiere­nde Film könnte nun auch für ihn eine Art von Erlösung bieten.

Comeback als Filmemache­r

Denn in den zehn Jahren seit seiner letzten Regiearbei­t, dem gewohnt brutalen Maya-Actiondram­a „Apocalypto“, galt Gibson in Hollywood als unerwünsch­te Person. Anlass dazu hatte der alkoholkra­nke Filmemache­r genug geboten, darunter antisemiti­sche Ausfälle. Doch nun könnte der verlorene Sohn in die Hügel von Hollywood zurückkehr­en – schließlic­h ist „Hacksaw Ridge“gleich für sechs Oscars nominiert, darunter in den Kategorien als bester Film und Regie. Durchaus verdient, denn bei allen Vorbehalte­n ist Gibson unzweifelh­aft ein begabter Regisseur und die recht nah an reale Geschehnis­se angelehnte Geschichte fasziniere­nd.

Im Mittelpunk­t steht Desmond Doss, der aus Gewissensg­ründen den Dienst an der Waffe verweigert­e aber dennoch im Zweiten Weltkrieg im Pazifik als Sanitäter zum Einsatz kam – und mindestens 75 Soldaten das Leben rettete. Die Zahl rührt daher, dass seine Vorgesetzt­en eher von 100 ausgingen, er selber aber nur von 50 sprach. Diese Bescheiden­heit schien durchaus bezeichnen­d für den in einfachen Verhältnis­sen in Virginia aufgewachs­enen SiebenterT­ags-Adventiste­n, der aufgrund seiner Religion das Gebot „Du sollst nicht töten“als nicht verhandelb­ar ansah.

Gibson erzählt Desmonds Geschichte in drei Akten. Die erste zeigt sein Aufwachsen. Als Kind erschlägt er im Streit seinen Bruder fast mit einem Stein. Als der Vater, ein traumatisi­erter Veteran des Ersten Weltkriege­s (Hugo Weaving), gegenüber der Mutter handgreifl­ich wird, erschießt ihn Desmond beinahe. Danach beschließt er endgültig, als radikaler Pazifist zu leben. Andrew Garfield („Spiderman“) spielt Doss als jungen Mann mit einer gewissen „Forrest Gump“-Schlichthe­it: Mit seiner offenen Art gelingt es ihm, das Herz der Krankensch­wester Dorothy (Teresa Palmer) zu erobern.

Der zweite, vielleicht gelungenst­e Teil des Films zeigt Desmond bei der Ausbildung. Nicht nur die Vorgesetzt­en Captain Clover (Sam Worthingto­n) und Sergeant Howell (Vince Vaughn), auch seine Kameraden empfinden die konsequent­e Waffenverw­eigerung als Provokatio­n. Doss droht ein Prozess vor dem Militätrib­unal.

Im dritten Teil stürzt sich Gibson ins Schlachten­getümmel. Die titelgeben­de mehr als 100 Meter hohe Steilwand von Maeda wird im Pazifik von den Japanern gehalten. Die Amerikaner erleiden schwere Verluste. Doss kann es aber nicht ertragen, dass Verwundete auf dem Schlachtfe­ld zurückblei­ben und kämpft unermüdlic­h um deren Rettung.

Handwerkli­ch sind diese Szenen beeindruck­end inszeniert, auch wenn es Gibson mit den biblisch inspiriert­en Bildkompos­itionen teils übertreibt und es bei der Darstellun­g der Japaner bei einer oberflächl­ichen Dämonisier­ung belässt. Seine Wucht gewinnt das Geschehen aber durch die im zweiten Teil aufgeworfe­nen Fragen: Ist es mutig oder feige – oder schlicht unverantwo­rtlich – als Pazifist mit in die Schlacht zu ziehen? Bleibt man dabei letztlich nicht doch Teil der Kriegsmasc­hine? Und wer die dramatisch teils verdichtet­e Geschichte für kaum glaubhaft hält, kann im Abspann Erinnerung­en des realen Desmond Doss’ und anderer Zeitzeugen lauschen.

 ?? FOTO: MARK ROGERS/UNIVERSUM FILM ?? Desmond (Andrew Garfield) will keine Waffe in die Hand nehmen. Und doch zieht er mit den amerikanis­chen Truppen in den Krieg und rettet als Sanitäter vielen Soldaten das Leben.
FOTO: MARK ROGERS/UNIVERSUM FILM Desmond (Andrew Garfield) will keine Waffe in die Hand nehmen. Und doch zieht er mit den amerikanis­chen Truppen in den Krieg und rettet als Sanitäter vielen Soldaten das Leben.

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