Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kriegsdienstverweigerer im Krieg
Mel Gibson erzählt in „Hacksaw Ridge“die Geschichte des Pazifisten Desmond Doss
Mel Gibson dreht einen Film über einen überzeugten Pazifisten. Das klingt nach einem Witz. Schließlich hat der in Australien aufgewachsene Amerikaner den Ruf, als Schauspieler, vor allem aber als Regisseur ein geradezu obsessives Verhältnis zur Gewalt zu pflegen. Und auch „Hacksaw Ridge“ist von einem friedfertigen Film weit entfernt. Gibson inszeniert wieder ein optisch ebenso beeindruckendes wie verstörendes Gemetzel. Dessen Intensität wird noch dadurch verstärkt, dass der Held sich weigert, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Die teils auf eigener Schuld gründende tiefe Religiosität der Hauptfigur dürfte Gibson angesprochen haben. Der aus dieser Faszination resultierende Film könnte nun auch für ihn eine Art von Erlösung bieten.
Comeback als Filmemacher
Denn in den zehn Jahren seit seiner letzten Regiearbeit, dem gewohnt brutalen Maya-Actiondrama „Apocalypto“, galt Gibson in Hollywood als unerwünschte Person. Anlass dazu hatte der alkoholkranke Filmemacher genug geboten, darunter antisemitische Ausfälle. Doch nun könnte der verlorene Sohn in die Hügel von Hollywood zurückkehren – schließlich ist „Hacksaw Ridge“gleich für sechs Oscars nominiert, darunter in den Kategorien als bester Film und Regie. Durchaus verdient, denn bei allen Vorbehalten ist Gibson unzweifelhaft ein begabter Regisseur und die recht nah an reale Geschehnisse angelehnte Geschichte faszinierend.
Im Mittelpunkt steht Desmond Doss, der aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe verweigerte aber dennoch im Zweiten Weltkrieg im Pazifik als Sanitäter zum Einsatz kam – und mindestens 75 Soldaten das Leben rettete. Die Zahl rührt daher, dass seine Vorgesetzten eher von 100 ausgingen, er selber aber nur von 50 sprach. Diese Bescheidenheit schien durchaus bezeichnend für den in einfachen Verhältnissen in Virginia aufgewachsenen SiebenterTags-Adventisten, der aufgrund seiner Religion das Gebot „Du sollst nicht töten“als nicht verhandelbar ansah.
Gibson erzählt Desmonds Geschichte in drei Akten. Die erste zeigt sein Aufwachsen. Als Kind erschlägt er im Streit seinen Bruder fast mit einem Stein. Als der Vater, ein traumatisierter Veteran des Ersten Weltkrieges (Hugo Weaving), gegenüber der Mutter handgreiflich wird, erschießt ihn Desmond beinahe. Danach beschließt er endgültig, als radikaler Pazifist zu leben. Andrew Garfield („Spiderman“) spielt Doss als jungen Mann mit einer gewissen „Forrest Gump“-Schlichtheit: Mit seiner offenen Art gelingt es ihm, das Herz der Krankenschwester Dorothy (Teresa Palmer) zu erobern.
Der zweite, vielleicht gelungenste Teil des Films zeigt Desmond bei der Ausbildung. Nicht nur die Vorgesetzten Captain Clover (Sam Worthington) und Sergeant Howell (Vince Vaughn), auch seine Kameraden empfinden die konsequente Waffenverweigerung als Provokation. Doss droht ein Prozess vor dem Militätribunal.
Im dritten Teil stürzt sich Gibson ins Schlachtengetümmel. Die titelgebende mehr als 100 Meter hohe Steilwand von Maeda wird im Pazifik von den Japanern gehalten. Die Amerikaner erleiden schwere Verluste. Doss kann es aber nicht ertragen, dass Verwundete auf dem Schlachtfeld zurückbleiben und kämpft unermüdlich um deren Rettung.
Handwerklich sind diese Szenen beeindruckend inszeniert, auch wenn es Gibson mit den biblisch inspirierten Bildkompositionen teils übertreibt und es bei der Darstellung der Japaner bei einer oberflächlichen Dämonisierung belässt. Seine Wucht gewinnt das Geschehen aber durch die im zweiten Teil aufgeworfenen Fragen: Ist es mutig oder feige – oder schlicht unverantwortlich – als Pazifist mit in die Schlacht zu ziehen? Bleibt man dabei letztlich nicht doch Teil der Kriegsmaschine? Und wer die dramatisch teils verdichtete Geschichte für kaum glaubhaft hält, kann im Abspann Erinnerungen des realen Desmond Doss’ und anderer Zeitzeugen lauschen.