Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Endzeitstimmung im Fischparadies
Der weltberühmte Tsukiji-Markt soll wegen der Olympischen Spiele umziehen
(dpa) - Mit einer kleinen Spitzhacke reißen die Fischhändler winzige Stücke Fleisch aus den gefrorenen Thunfischen. Während die meisten ihrer Landsleute noch im Futon liegen, beugen sich die Männer bei der morgendlichen Thunfischauktion auf dem weltberühmten Fischmarkt Tsukiji minutenlang über die abgeschnittenen Schwanzflossen. Prüfend zerreiben sie das Fleisch der Tiere zwischen ihren Fingern, begutachten seine Struktur, seine Faserung, die Farbe.
Vor der Auktionshalle donnern kleine Palettenlaster mit Meerestieren aus aller Herren Länder durch die Gänge des Marktes. Um kurz nach Mitternacht treffen die ersten Ladungen ein. Von der Scholle bis zum Blauflossenthunfisch: Tsukiji bietet alles, was das Herz des Fischliebhabers höher schlagen lässt. Rund 1700 Tonnen werden hier tagtäglich umgeschlagen, bevor die Fische in den unzähligen Sushi-Restaurants des Archipels landen.
Bald dürfte es vorbei sein mit dem Schauspiel: Die alten Hallen aus den 1930er-Jahren sollen abgerissen werden und wegen der Olympischen Spiele 2020 in Tokio Platz machen für neue Häuser und breite Straßen. Der Markt soll in bereits fertiggestellte neue Hallen auf Toyosu, einer nur wenige Minuten entfernten künstlichen Insel am Rand der Tokioter Bucht, umziehen.
Eigentlich sollte das schon im November über die Bühne gegangen sein, doch Tokios neue Gouverneurin Yuriko Koike hat die Pläne vorerst auf Eis gelegt. Der Untergrund des neuen Geländes ist trotz Sanierungsarbeiten weiter hochgradig mit Umweltgiften wie Benzol und Arsen verseucht. Auf dem Grundstück in Toyosu stand früher eine Gasfabrik. Nun sollen nochmals Untersuchungen vorgenommen werden. „Wir sind total überrascht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als das Ergebnis abzuwarten“, sagte Kenji Ohashi vom Tsukiji-Marktverband.
Andere sind verärgert. „Bei der jetzigen Lage können wir nicht umziehen“, zitierte die Zeitung „Asahi Shimbun“kürzlich den 47 Jahre alten Zwischenhändler Yasuhiro Yamazaki. Egal wie viele Milliarden an Steuergeldern schon in den neuen Standort investiert worden seien, „wir gehen auf keinen Fall Kompromisse ein. Ich will Klarheit über die Sicherheit, wenn ich Fische verkaufe“. Nicht nur die Stadt hat schon viel Geld investiert, sondern auch viele Händler, unter anderem für Kühlgeräte. Manche können sich den geplanten Umzug gar nicht leisten und haben bereits ihr Geschäft ganz aufgegeben.
Die Blütezeiten sind ohnehin vorbei. Seit Jahren geht der Handel zurück, immer weniger Supermärkte und Restaurantketten brauchen Tsukiji noch und kaufen stattdessen direkt bei den Fischern. Wurden im Jahr 2002 noch rund 640 000 Tonnen in Tsukiji gehandelt, waren es 2015 nur noch 440 000 Tonnen. Von den einst mehr als 1000 Zwischenhändlern sollen heute Medien zufolge noch etwa 570 übrig sein. Nach Angaben des Wirtschaftsblatts „Toyo Keizai“haben in den vergangenen zwölf Jahren mehr als 100 Firmen dicht gemacht.