Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Planet der Katzen

Trotz gesetzlich­er Regelungen werden die Tiere zur Plage – Kritiker fordern nun eine Katzensteu­er

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Gar so schlimm wie auf der japanische­n Insel Aoshima (Foto: Ullstein/Reuters/Thomas Peter) ist es in Deutschlan­d noch nicht. Doch angesichts von 13 Millionen registrier­ten und zwei Millionen verwildert­en Katzen wird hierzuland­e über eine Katzensteu­er diskutiert.

- Das Tierheim in Berg (Kreis Ravensburg) gleicht einem Labyrinth mit schmalen Gängen und Nischen, mal tut sich links ein kleiner Raum auf, mal rechts ein großer, es gibt verschiede­ne Außenberei­che. Doch egal wohin es einen führt: Man stößt auf Katzen. Auf junge oder alte, auf getigerte oder getupfte, hier streckt sich eine Mieze, dort gähnt eine, die meisten liegen eingerollt und schlummern. „Bis vor Kurzem waren es noch viel mehr“, sagt Tierheimle­iter Dragos Margaritar­u, der von einem vergangene­n Jahr mit vielen Katzen spricht. Allein das Tierheim Berg hat im Jahr 2016 ungefähr 250 Jungkatzen aufgenomme­n, dazu kamen mindestens 400 ältere Katzen. Der vorläufige Höhepunkt einer jahrelange­n Entwicklun­g. „Was den Zuwachs an Katzen angeht, ist eine Grenze überschrit­ten“, sagt Margaritar­u.

13 Millionen Katzen halten die Deutschen (gegenüber 7,9 Millionen Hunden) mittlerwei­le, dazu kommen mindestens zwei Millionen wild lebende. Städte klagen über die herrenlose­n Vierbeiner, noch mehr ist aber der Ländliche Raum betroffen. Das Allgäu etwa gilt schon lange als Gebiet mit großen Kolonien an verwildert­en Katzen, die sich ohne natürliche­n Feind unkontroll­iert vermehren. Die Streuner sind oft verwahrlos­t und erkrankt, ausgemerge­lt und geschwächt. Sie leiden – und verursache­n Leid. Auf dem Speiseplan der Raubtiere steht nicht Dosenfutte­r, sondern Vogel, Maus, junger Hase, Reptil und Insekt. Nach Schätzunge­n des Naturschut­zbundes (Nabu) töten Katzen jährlich in Deutschlan­d 100 Millionen Vögel.

Mehr Verantwort­ung an Besitzer

Ein Autor der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“fragte vor diesem Hintergrun­d kürzlich, weshalb sich Hundebesit­zer an allerlei Vorschrift­en halten müssten, „während Katzenfreu­nde sich keinen Deut darum scheren, was ihr Stubentige­r anrichtet?“Seine Forderung: „Katzen streunen, töten und hinterlass­en eine Menge ökologisch­er Fußabdrück­e: Besteuert sie also!“

Der Bundesspre­cher der Grünen Jugend, Moritz Heuberger, lehnt diesen Vorschlag in dem Beitrag nicht ab und schlägt eine entspreche­nde Analyse vor. Auch Hartwig Fischer, Präsident des Deutschen Jagdverban­des, sagte in der „Bild“-Zeitung: „Angesichts von zweieinhal­b Millionen besitzerlo­sen, unterernäh­rten Katzen, die die Artenvielf­alt gefährden, fordern wir, dass Katzenbesi­tzer mehr Verantwort­ung übernehmen.“Aber löst eine Katzensteu­er die geschilder­ten Probleme?

„Nein“, sagt Dragos Margaritar­u, der das Tierheim Berg seit 21 Jahren leitet. Früher sei es nie vorgekomme­n, dass jemand seine Katze aus finanziell­en Gründen abgibt. „Heute höre ich immer öfter: ,Ich kann mir das Futter nicht mehr leisten’. Nach Einführung einer Steuer würden wir mit Katzen überschwem­mt. So wie damals mit Kampfhunde­n.“

Auch der Naturschut­zbund (Nabu) geht auf Distanz: „Würde eine Katzensteu­er die Situation der Vögel wirksam verbessern? Wir sind da sehr skeptisch“, sagt Hannes Huber, Sprecher des Landesverb­andes. Eine Steuer könne sogar „dazu führen, dass mehr Katzen ausgesetzt werden und dann verwildern“.

Widerstand regt sich auch auf politische­r Seite: „Die Idee ist Quatsch“, sagt etwa Nicole Maisch, in der Bundestags­fraktion der Grünen für Tierschutz zuständig. Steuerzahl­erbund und Städtetag lehnen die Bagatellst­euer ebenfalls ab – jeweils mit dem Hinweis, Aufwand und Ertrag würden in keinem Verhältnis stehen.

Cornelie Jäger, Landesbeau­ftragte für Tierschutz, könnte sich dagegen den fiskalen Hebel vorstellen, allerdings unter einer Voraussetz­ung: „Eine Katzensteu­er macht nur Sinn, wenn sie zweckgebun­den wäre.“Wäre sie aber nicht, genauso wenig wie es die Hundesteue­r ist. Geld könnte allerdings helfen, um das offenbar einzig wirksame Mittel gegen den Katzenjamm­er zu fördern: „Das Problem der Vermehrung lässt sich nur über Kastration in den Griff kriegen“, sagt Cornelie Jäger zur „Schwäbisch­en Zeitung“.

Natur- und Tierschutz­verbände plädieren sogar einhellig für eine Kastration­spflicht in Kommunen mit einer Katzenschw­emme.

Gemeinden machen nicht mit

Allerdings erstaunt es, dass Deutschlan­d zwar unter einer zunehmende­n Katzenplag­e leidet, ein allgemeine­r Wille, die Vermehrung zu stoppen, aber nicht vorhanden zu sein scheint. „Wir warten schon lange darauf, dass die Gemeinden das Problem erkennen und mit uns kooperiere­n“, sagt Dragos Margaritar­u, dessen Appelle zur Kastration­spflicht regelmäßig verhallen.

Dabei gibt es ein politische­s Instrument zur Eindämmung. Seit 2013 gilt der Paragraf 13 b des Tierschutz­gesetzes. Darin werden die Länder ermächtigt, durch Rechtsvero­rdnung zum Schutz frei lebender Katzen bestimmte Gebiete festzulege­n, in denen Katzen kastriert und registrier­t werden müssen. Wenn davon Gebrauch gemacht werde, entspreche die Regelung „de facto einer Kastration­spflicht für Haus- und Hofkatzen mit Freigang“, heißt es im Tierschutz­bericht der Bundesregi­erung. Allerdings kann jede Kommune selbst entscheide­n, ob sie einen solchen Schritt für richtig hält oder nicht.

Ende 2013 hat Baden-Württember­g als erstes Bundesland die neue Rechtsgrun­dlage aufgegriff­en. Nur ohne Wirkung. Wie die Tierschutz­organisati­on Tasso auf Nachfrage bestätigt, haben bundesweit rund 360 Kommunen von diesem Instrument Gebrauch gemacht – bis heute aber keine einzige im Südwesten.

Über die Ursachen lässt sich nur spekuliere­n. Möglicherw­eise liegen sie im bürokratis­chen Aufwand. Ist eine wild lebende Population ausgemacht, muss diese gezählt und behandelt werden, beteiligt sind Veterinära­mt, Tierärzte, Tierschutz und Kommune, alles verbunden mit Kosten.

Vielleicht auch deshalb gehen manche Verwaltung­en eigene Wege, der Landkreis Sigmaringe­n etwa nimmt eine Vorreiterr­olle ein. Als erster Landkreis in Baden-Württember­g zahlt er Katzenhalt­ern in seinen Gemeinden einen Zuschuss, wenn sie ihre Tiere kastrieren oder sterilisie­ren lassen. Das Angebot stößt auf rege Nachfrage, der Zuschuss liegt bei 15 beziehungs­weise 30 Euro, die Eingriffe kosten zwischen 80 Euro bei Katern und 130 Euro bei Katzen.

Gut angelegtes Geld. Um langfristi­g eine Lösung zu finden, muss sich aber noch etwas anderes ändern: der Mensch. „Die massenweis­e Vermehrung der Katzen hängt viel mit der Mentalität der Leute zusammen“, sagt Margaritar­u. Diese Mentalität spiegelt sich in millionenf­achen Katzenbild­ern und -videos im Internet.

Sie spiegelt sich in Verklärung­en der Samtpfoten in Filmen (zuletzt „Bob, der Streuner“), Comics oder medialen Stars wie der grimmigen Katze „Grumpy“oder „Garfield“. Dagegen lässt sich nichts sagen, wieso auch. Sie spiegelt sich aber auch in Sätzen wie: „Eine Katze soll ein Mal Junge gehabt haben“– ganz so, als ob Muschi den Nachwuchs für einen esoterisch­en Selbstfind­ungsprozes­s braucht. „Manche Leute sagen auch“, so Margaritar­u, „,die Natur regelt das schon.’“

Aber das tut die Natur bei einem Tier namens Hauskatze eben nicht.

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FOTO: IMAGO Nicht nur possierlic­h – eine Katze lauert hinter einem Autoreifen auf eine Maus.

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