Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Strobl möchte „Reichsbürger“entwaffnen
Terrorverdächtiger Rechtsextremist hat bis vor Kurzem in der badischen Stadt gelebt – Oberbürgermeister beklagt raueres Klima in der Stadt
(dpa) - Baden-Württemberg möchte sogenannte „Reichsbürger“entwaffnen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) habe den Stadt- und Landkreisen im Südwesten eine Anweisung dazu gegeben, teilte das Innenministerium am Donnerstag mit. Die Kommunen sollten „Reichsbürgern“keine Waffenscheine mehr ausstellen und bereits erteilte Genehmigungen wenn möglich widerrufen. „Reichsbürger“besäßen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit für den Besitz einer Waffe. In Stuttgart hat der Erlass bereits Auswirkungen: Das Ordnungsamt hat nach eigenen Angaben 100 Verdächtige überprüft, zehn von ihnen droht nun der Entzug des Waffenscheins. Am Mittwoch hatte die Bundesanwaltschaft bei bundesweiten Razzien zwei Verdächtige, darunter einen aus Schwetzingen, vorläufig festnehmen lassen.
(dpa) - Die Festnahme eines terrorverdächtigen „Druiden“im badischen Schwetzingen trifft die Menschen in der Stadt völlig überraschend – und lässt Oberbürgermeister René Pöltl kräftig durchatmen. „Wir haben zwar seit rund einem Jahr Probleme mit ,Reichsbürgern’, aber dieser Mann ist in diesem Zusammenhang nie aufgetreten“, sagt der 49-jährige Jurist im Eckzimmer des Rathauses.
Ein bärtiger, skurriler Mensch
Aufgetreten allerdings ist der selbst ernannte Druide – eine Figur aus der keltischen Mythologie – in zahlreichen Videos. Dort ist zu sehen, wie der heute 66-Jährige im langen weißen Gewand und mit Wanderstab umherschreitet. Der bärtige Mann wirkt recht skurril.
Doch glaubt man der Justiz, stammen zahlreiche extremistische Einträge in sozialen Netzwerken von ihm. Der Verdächtige rufe dort offen zu Straftaten gegen Minderheiten auf, lautet der Vorwurf. Unklar war, ob der Mann tatsächlich zu den „Reichbürgern“gehört. Die Bewegung erkennt die Bundesrepublik nicht an und behauptet, das Deutsche Reich bestehe bis heute. „Reichsbürger“werden landesweit vom Verfassungsschutz intensiv beobachtet.
Der 66-Jährige war am Mittwoch festgenommen worden. Insgesamt ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen sechs Verdächtige. Die Gruppe soll Anschläge auf Juden, Asylbewerber und Polizisten geplant haben. Bei Razzien in sechs Bundesländern wurden auch Waffen gefunden.
Ein- bis zweimal im Monat treffe von der Bewegung ein mit Reichsadler versehenes „Faxpamphlet“, wie Oberbürgermeister Pöltl es nennt, bei der Verwaltung ein. „In dem unstrukturierten Text wird der Staat offen infrage gestellt, das ist schon bedrohlich“, meint der Parteilose.
Und nun also die Festnahme des 66-Jährigen, der nur eine Straße entfernt wohnte. Dort steht Maryvonne Schuster vor dem Haus – sie lebt im ersten Stock. Soviel sie wisse, wohne der Mann nicht mehr in Schwetzingen. „Da standen mal Umzugskartons im Hof“, sagt die Küchenfachkraft und schiebt ihr Fahrrad weiter. Die Behörden bestätigen auf Nachfrage: Der Verdächtige sei 2011 aus Bischofsheim an der Rhön (Unterfranken) zugezogen und im Herbst 2016 von Amts wegen in Schwetzingen abgemeldet worden.
Die AfD bekam 18 Prozent
Der Gerichtsvollzieher habe den Mann nicht mehr angetroffen, sagt ein Behördenmitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden will. „Wir gehen davon aus, dass er sich vor allem im nahen Brühl aufhielt.“
Und in dieser Stadt sollen Anschlagspläne geschmiedet worden sein? Das ist in der malerischen Stadt rund zehn Kilometer westlich von Heidelberg schwer zu fassen. Auch an diesem kalten Januartag glänzt am Schlossplatz das Wahrzeichen: die ehemalige Sommerresidenz der Kurfürsten von der Pfalz. Die Barockgärten und Festspiele sind auch außerhalb der Stadt bekannt. Und schon jetzt wird auf die nächste Saison in der „Spargelmetropole“Schwetzingen eingestimmt, die Zehntausende Gäste anzieht.
Dass seine Stadt künftig mit Terrorismus statt Tourismus in Verbindung gebracht werden könnte, glaubt Oberbürgermeister Pöltl nicht. Es gebe keinen Extremismus in Schwetzingen, sagt der seit knapp zehn Jahren amtierende Ratsherr. Das Klima werde aber rauer.
„Unlängst bin ich erstmals bei einer Diskussion fast körperlich angegriffen worden“, sagt Pöltl. Er berichtet auch von einer zunehmenden Zahl von Waffenscheinen und einem AfD-Ergebnis von rund 18 Prozent bei der jüngsten Wahl. „Ich erkläre mir das so, dass viele sich von der Welt überfordert fühlen“, sagt der Oberbürgermeister.
Im Kaffeehaus am Schlossplatz legt die Serviererin die Lokalzeitung beiseite. „Schwetzinger unter Terrorverdacht“, prangt dort auf der Titelseite. „Ich glaube, das wird aufgebauscht“, sagt die junge Frau. „Aber gut, dass sie ihn festgenommen haben.“