Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Vereidigung mit Katerstimmung
Das Ritual zwischen neuem österreichischen Bundespräsidenten und amtierender Bundesregierung – sie bietet ihren Rücktritt an, den der Bundespräsident nicht annimmt – hatte diesmal eine besondere Note. Denn das Angebot der rot-schwarzen Koalitionsregierung war nicht aus der Luft gegriffen. Vielmehr befinden sich die oft zerstrittenen Bündnispartner in einer Krise, die schnell im Bruch und in baldigen Neuwahlen enden könnte. Nicht von ungefähr – und eher ungewöhnlich – nahm der 73-jährige Wirtschaftsprofessor Van der Bellen die Regierung in die Pflicht.
„Der Baumeister, der nur plant, mit dem werden wir nicht zufrieden sein“, meinte Van der Bellen mit Blick auf die Fülle von Ideen, Österreich zu reformieren. „Politik muss Ergebnisse bringen“, mahnte er die Koalitionäre in seiner ersten Rede. Die haben das Kriegsbeil schon fast in der Hand. Kanzler Christian Kern (SPÖ) stellte der ÖVP ein jüngst etwas relativiertes Ultimatum bis zum Freitag, um diverse Vorhaben endlich auf die Schiene zu bringen. So suchen die Minister aktuell kleine gemeinsame Nenner. Bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten könnten sie fündig geworden sein. Bei der Halbierung der Asyl-Obergrenze, wie sie die ÖVP fordert, droht aber Ärger mit der SPÖ.
Eigentlich stehen Neuwahlen erst in rund 20 Monaten an, aber viele Beobachter und führende Politiker gehen von einem baldigen Urnengang aus. Eine neue Umfrage könnte diesen Schritt erleichtern. Der große Vorsprung der FPÖ, bisher von fast allen Umfragen bestätigt, scheint zu bröckeln. Das Institut Imas sieht die Rechtspopulisten bei 28 bis 30 Prozent, die SPÖ bei 25 bis 27 Prozent und die ÖVP bei 24 bis 26 Prozent. Damit sähe die Ausgangslage für beide deutlich rosiger aus als geglaubt.
Vorwürfe in der Koalition
Die Stimmung zwischen den Koalitionären scheint jedenfalls suboptimal. Tiefpunkte waren zuletzt gegenseitige Vorwürfe, jeweils bereits eine Schmutz-Kampagne vorzubereiten. Innenminister Wolfgang Sobotka von der ÖVP unterstellte der Kanzlerpartei SPÖ, sie lasse das Leben des mutmaßlichen ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz ausforschen. Die SPÖ ortete den Versuch, dass die Doktorarbeit von Kanzler Kern auf Betreiben der ÖVP durchleuchtet werde.
Van der Bellens ehemaliger Mitbewerber Norbert Hofer – vom früheren Grünen-Chef für dessen „bemerkenswerte Leistung“im Wahlkampf gelobt – sucht unterdessen die sonnigeren Seiten des Lebens. Hofer, zuletzt Zaungast bei der Amtseinführung von US-Präsident Trump, plant im Mai eine Kreuzfahrt mit Senioren der FPÖ. Auf der FacebookSeite des Österreichischen Seniorenrings (ÖSR) wird Werbung für die Seefahrt „Traumhaftes Mittelmeer“mit Hofer gemacht. Das Vergnügen könnte für den stellvertretenden Nationalratspräsidenten ausfallen, falls die Regierung vorzeitig scheitert.