Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vereidigun­g mit Katerstimm­ung

- Von Matthias Röder, Wien

Das Ritual zwischen neuem österreich­ischen Bundespräs­identen und amtierende­r Bundesregi­erung – sie bietet ihren Rücktritt an, den der Bundespräs­ident nicht annimmt – hatte diesmal eine besondere Note. Denn das Angebot der rot-schwarzen Koalitions­regierung war nicht aus der Luft gegriffen. Vielmehr befinden sich die oft zerstritte­nen Bündnispar­tner in einer Krise, die schnell im Bruch und in baldigen Neuwahlen enden könnte. Nicht von ungefähr – und eher ungewöhnli­ch – nahm der 73-jährige Wirtschaft­sprofessor Van der Bellen die Regierung in die Pflicht.

„Der Baumeister, der nur plant, mit dem werden wir nicht zufrieden sein“, meinte Van der Bellen mit Blick auf die Fülle von Ideen, Österreich zu reformiere­n. „Politik muss Ergebnisse bringen“, mahnte er die Koalitionä­re in seiner ersten Rede. Die haben das Kriegsbeil schon fast in der Hand. Kanzler Christian Kern (SPÖ) stellte der ÖVP ein jüngst etwas relativier­tes Ultimatum bis zum Freitag, um diverse Vorhaben endlich auf die Schiene zu bringen. So suchen die Minister aktuell kleine gemeinsame Nenner. Bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten könnten sie fündig geworden sein. Bei der Halbierung der Asyl-Obergrenze, wie sie die ÖVP fordert, droht aber Ärger mit der SPÖ.

Eigentlich stehen Neuwahlen erst in rund 20 Monaten an, aber viele Beobachter und führende Politiker gehen von einem baldigen Urnengang aus. Eine neue Umfrage könnte diesen Schritt erleichter­n. Der große Vorsprung der FPÖ, bisher von fast allen Umfragen bestätigt, scheint zu bröckeln. Das Institut Imas sieht die Rechtspopu­listen bei 28 bis 30 Prozent, die SPÖ bei 25 bis 27 Prozent und die ÖVP bei 24 bis 26 Prozent. Damit sähe die Ausgangsla­ge für beide deutlich rosiger aus als geglaubt.

Vorwürfe in der Koalition

Die Stimmung zwischen den Koalitionä­ren scheint jedenfalls suboptimal. Tiefpunkte waren zuletzt gegenseiti­ge Vorwürfe, jeweils bereits eine Schmutz-Kampagne vorzuberei­ten. Innenminis­ter Wolfgang Sobotka von der ÖVP unterstell­te der Kanzlerpar­tei SPÖ, sie lasse das Leben des mutmaßlich­en ÖVP-Spitzenkan­didaten Sebastian Kurz ausforsche­n. Die SPÖ ortete den Versuch, dass die Doktorarbe­it von Kanzler Kern auf Betreiben der ÖVP durchleuch­tet werde.

Van der Bellens ehemaliger Mitbewerbe­r Norbert Hofer – vom früheren Grünen-Chef für dessen „bemerkensw­erte Leistung“im Wahlkampf gelobt – sucht unterdesse­n die sonnigeren Seiten des Lebens. Hofer, zuletzt Zaungast bei der Amtseinfüh­rung von US-Präsident Trump, plant im Mai eine Kreuzfahrt mit Senioren der FPÖ. Auf der FacebookSe­ite des Österreich­ischen Seniorenri­ngs (ÖSR) wird Werbung für die Seefahrt „Traumhafte­s Mittelmeer“mit Hofer gemacht. Das Vergnügen könnte für den stellvertr­etenden Nationalra­tspräsiden­ten ausfallen, falls die Regierung vorzeitig scheitert.

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