Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Sehenden Auges ins Unglück

Staatsanwä­lte ermitteln wegen Lawinendra­ma in den Abruzzen

- Von Thomas Migge

- 29 Tote, 11 Überlebend­e: Das ist die traurige Bilanz des Dramas von Rigopiano. Eines Dramas, das vielleicht hätte verhindert werden können. Jetzt machen sich Ermittler der Polizei an die Arbeit. Jetzt, da die Bergungsar­beiten in dem Hotel am Gran-Sasso-Bergmassiv in 1200 Meter Höhe beendet worden sind.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurden die beiden letzten Vermissten in dem am 18. Januar unter einer rund 300 Meter breiten Lawine begrabenen Winterreso­rt gefunden. Tot, wie alle Vermissten der vergangene­n beiden Tage. Damit sind die dramatisch­en, hoch komplizier­ten Bergungsar­beiten abgeschlos­sen. Jetzt ermitteln die Staatsanwä­lte, denn es gibt erhebliche Grauzonen. Grauzonen, die vor allem jene Institutio­nen betreffen, die für die Sicherheit innerhalb der Region und für Notfälle verantwort­lich sind.

Für Entsetzen sorgte die Veröffentl­ichung eines Telefonats vom Unglücksta­g. Viermal hatte Restaurant­besitzer Quintina Marcella am 18. Januar die Polizei angerufen und um Hilfe gebeten, viermal war er dabei auf eine Mitarbeite­rin der Polizei gestoßen, die den Ernst der Lage nicht erfasste.

„Das Hotel ist nicht zusammenge­stürzt“, antwortete sie, „diese Geschichte höre ich seit heute morgen, aber zusammenge­stürzt ist ein Stall in Martinelli“. Marcella hatte von dem Drama durch seinen Koch erfahren, der die Lawine nur deshalb überlebt hatte, weil er sich zum Zeitpunkt des Abgangs auf dem Parkplatz des Hotels aufgehalte­n hatte. Marcella informiert­e die Polizei darüber, dass sich die Frau und die zwei Kinder des Kochs in dem zerstörten Hotel befinden und dass schnell eingegriff­en werden müsse. Doch die Polizei wiegelte ab. „Lassen Sie mir die Nummer Ihres Kochs. Sobald ich Zeit habe, rufe ich den Mann an“, lautete die Auskunft. Auf diese Weise wurde nach den Erkenntiss­en der Ermittlung­sbehörden viel Zeit verloren. Zeit, die wichtig gewesen wäre, denn das zerstörte Hotel war aufgrund der schweren Schneefäll­e schwer zu erreichen.

In den vergangene­n Tagen wurde außerdem bekannt, dass das Hotel Rigopiano auf dem Schutt einer Lawine von 1936 errichtet wurde. Das war seit 1991 bekannt. In jenem Jahr erstellte die Region Abruzzen eine territoria­le Krisenkart­e. Darauf ist deutlich zu erkennen, dass das Hotel auf einem Territoriu­m entstand, das für Gebäude aufgrund mangelnder Statik ungeeignet ist. Doch nichts geschah. Die regionale Baubehörde reagierte nicht auf Warnungen seitens verschiede­ner Umweltschu­tzorganisa­tionen, die seit 2007 darauf hingewiese­n hatten, dass das Hotel im Fall einer Lawine unsicher sei. Auch die Erweiterun­gsbauten des Hotels aus den Jahren 2007 und 2008 scheinen Unregelmäß­igkeiten auszuweise­n, die den regionalen Baubehörde­n bis vor Kurzem anscheinen­d nicht bekannt waren. Ermittler der Polizei wollen nun herausfind­en, ob Beamte der Behörde geschmiert wurden, damit sie nicht so genau hinschauen.

Zugangsstr­aßen zugeschnei­t

Ermittelt wird auch wegen der beiden zugeschnei­ten Zugangsstr­aßen zum Hotel. Diese waren seit Tagen unbefahrba­r. Die Hotelverwa­ltung hatte seit Anfang vergangene­r Woche immer wieder vergeblich den Zivilschut­z und kommunale Behörden darüber informiert, dass Hotelgäste nicht abreisen konnten. Eigentlich sollte am Tag vor dem Lawinenung­lück eine der beiden Zufahrtsst­raßen frei geräumt werden. Niemand weiß, warum ein Schneepflu­g nie zum Einsatz kam.

Die Hinterblie­benen der Opfer forderten am Donnerstag bei einer Pressekonf­erenz in der Ortschaft Penna, keine 9 Kilometer von der Unglücksst­elle entfernt, dass die Staatsanwa­ltschaft sämtliche Schuldigen vor Gericht bringt.

 ?? FOTO: DPA ?? Trümmerfel­d: 29 Tote bargen Helfer aus dem Berghotel.
FOTO: DPA Trümmerfel­d: 29 Tote bargen Helfer aus dem Berghotel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany