Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Allen schnell Sprachkurse anbieten“
Scheidende Städtetagspräsidentin Bosch fordert bessere Regelungen für Zuwanderung
- Sechs Jahre lang saß Barbara Bosch dem baden-württembergischen Städtetag vor. Zum Ende ihrer Amtszeit erklärt sie im Gespräch mit Kara Ballarin, wie der Flüchtlingszuzug die Politik dazu brachte, sich verstärkt um preiswerte Wohnungen für alle zu bemühen. Und sie erläutert, warum es rasch ein Einwanderungsgesetz braucht.
Frau Bosch, wie gehen Sie damit um, dass Sie den Spitzenposten des Städtetags räumen werden?
Ganz nüchtern. Man weiß von Anfang an, dass man maximal sechs Jahre hat. Ich habe die Arbeit sehr gerne gemacht, weil ich überzeugt bin von der bedeutenden Rolle der Städte. Und klar ist auch, dass man immer auch noch nicht abgeschlossene Themen an den Nachfolger übergibt.
In Ihrem Fall die Themen Flüchtlingsintegration und preiswerter Wohnraum?
Absolut. Die Themen hängen auch zusammen. Der Zuzug der Flüchtlinge hilft letztlich, das Thema preiswerter Wohnraum für alle voranzubringen. Wir fordern seit Jahren vom Land, wieder in die Förderung von Sozialwohnungen einzusteigen, weil Wohnraum immer knapper und teurer wird. Seit sich der Flüchtlingszuzug Ende 2014 verschärft hat, fordern wir zudem ein einheitliches Förderkonzept für Wohnraum. Das wird nun kommen. Wir haben lange gesagt, dass verbilligte Kredite bei der derzeitigen Zinslage nichts bringen. Es braucht direkte Förderung – und auch das ist nun vereinbart.
Entsprechende Pläne hat jüngst Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut vorgestellt. Über die sogenannte WohnraumAllianz hat sich auch der Städtetag eingebracht. Warum hat es so lange gedauert, bis die Politik sich beim Thema Wohnen bewegt hat?
Die Politik hat nicht differenziert genug hingeschaut. Wohnraumnot ist vor allem ein Thema urbaner Zentren. Hinzu kommt, dass alle Städte im Land seit einigen Jahren enorm wachsen, vor allem wegen der Freizügigkeit in der EU. Mit dieser Dynamik müssen wir umgehen. Die Flüchtlinge haben den Blick für den knappen Wohnraum geschärft, sie waren nicht der Auslöser dafür.
Die Wohnraumallianz soll auch Möglichkeiten finden, wie schneller gebaut werden kann. Im Fokus sind auch die hohen Standards der Landesbauordnung – ein Schlagwort sind etwa die verpflichtenden Fahrradstellplätze. Wann gibt es hier Ergebnisse?
In der Wohnraumallianz haben wir ja vier Arbeitsgruppen gegründet. Eine tut sich noch etwas schwer – jene, die sich mit den Standards der Landesbauordnung und Klimaschutz beschäftigt. Da sehen wir, dass sich die Verfechter der Standards nur wenig bewegen. Aber um schnell Wohnraum schaffen zu können, müssen wir entweder die Standards absenken – vielleicht wenigstens Übergangsweise –, oder der Staat muss genügend Zuschüsse bereitstellen, um trotz der hohen Standards günstigen Wohnraum schaffen zu können.
Haben die Flüchtlinge den Blick der Politiker auch in anderen Bereichen geschärft?
Ja, zum Beispiel beim Thema Arbeit. Dass es kein Einwanderungsgesetz gibt, zeigt sich jetzt wie unter einem Brennglas. Die Arbeitslosigkeit sinkt, wir brauchen Arbeitskräfte, aber dann höre ich von Firmen, dass sie gerne Mitarbeiter halten wollen, aber nicht dürfen. Ein Einwanderungsgesetz ist in unserem ureigensten Interesse, um unabhängig vom Asylrecht Regelungen für eine geordnete Zuwanderung zu haben. Ich glaube, dass sich dafür aktuell eine größere Offenheit abzeichnet.
Welches Thema ist das brennendste, mit dem sich Ihr Nachfolger zu beschäftigen haben wird?
Flüchtlinge, ganz klar. Es hat sich schon sehr viel getan. Ich halte es zum Beispiel für essenziell, allen schnell Sprachkurse anzubieten. Bisher gibt es solche Kurse staatlicherseits erst, wenn die Menschen ein Bleiberecht in Aussicht haben. Auch denen, die wieder gehen müssen, kann es nicht schaden, ein paar Brocken Deutsch zu können. Das nutzt zum einen unserem Wirtschaftsstandort Deutschland mit seiner hohen Exportorientierung. Und zum anderen sind überwiegend junge Männer zu uns gekommen. Es wäre besser, sie hätten etwas zu tun, als nur in der Unterkunft zu sitzen. Zum Glück wird überall vor Ort sehr viel gemacht, auch von Ehrenamtlichen.
Sie sagten, es habe sich schon viel getan bei der Integration von Flüchtlingen. Wo hakt es aber noch?
Wir sind mit der Landesregierung zu guten Vereinbarungen gekommen, die Details müssen noch ausgehandelt werden. 90 Millionen Euro werden über eine Kopfpauschale an die Kommunen weitergereicht, über weitere 70 Millionen Euro verhandeln wir derzeit mit dem Sozialministerium. Allerdings besteht Minister Lucha darauf, nur die Personalkosten von gelernten Sozialarbeitern und Sozialpädagogen bezuschussen zu wollen. Das geben aber weder der Arbeitsmarkt noch die Ausbildungszahlen her. Folge wäre, dass die Kommunen trotz des Förderprogramms auf ihren Kosten sitzen bleiben, weil die Richtlinien zu wenig die Situation vor Ort berücksichtigen. Lobenswert ist, dass Baden-Württemberg die Leistungen des Bundes zur Entlastung der Kommunen ab 2018 vollständig weiterleitet. Das ist nicht in allen Bundesländern so.
Welchen Tipp geben Sie ihrem Nachfolger mit auf den Weg?
Keinen. Es sind ja immer routinierte Oberbürgermeister mit Verbandserfahrung, die gewählt werden. Da braucht es keine Ratschläge von mir.