Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Achtklässler lernen, wie Kommunalpolitik funktioniert
Beim Aktionstag „Schule trifft Rathaus“treffen Weingartener Gymnasiasten auf Oberbürgermeister Markus Ewald – Ideen für die Stadt entstehen
- Seit 2014 dürfen in Baden-Württemberg Jugendliche ab 16 Jahren bei Kommunalwahlen mitbestimmen. Aber wie bringt man Jugendliche dazu, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren? Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LPB) bietet eine Lösung an: Im Pilotprojekt „Schule trifft Rathaus“werden Achtklässler mit dem sperrigen Thema Politik auf ganz praktische Weise vertraut gemacht. Die Schüler kommen einen Vormittag ins Rathaus ihrer Gemeinde und lernen von LPB-Mitarbeitern und vom Rathauschef etwas über die Grundlagen des lokalen politischen Systems – Demokratie zum Anfassen sozusagen. Auch in Weingarten machten die Achtklässler nun den Sitzungssaal im Rathaus für einen Tag zum Klassenzimmer.
Ein Einkaufszentrum, mehr Radwege, eine schönere und größere Schule, ein größeres Freibad oder eine Trampolinhalle: Die Wünsche der Achtklässler sind ziemlich bunt an diesem Donnerstag. Der große Sitzungssaal, in dem sonst der Gemeinderat tagt, sieht aus wie ein großes Klassenzimmer: Tageslichtprojektor, Stellwände, Lehrer und eine ganze Menge Achtklässler. 40 Schüler aus dem Gymnasium Weingarten sind ins Rathaus gekommen und fabulieren über ihre „Traumstadt“. Die Schüler sind schon erstaunlich nahe an realistischen Vorschlägen, es will in Weingarten niemand einen Flughafen oder ein Bundesligastadion. Eine Skihalle und eine S-Bahn sind die abwegigsten Dinge. Und Oberbürgermeister Markus Ewald erklärt geduldig, was in Weingarten möglich ist und was nicht – und warum.
Politischer Lernprozess
Die Ideensammlung zur „Traumstadt“ist ein wichtiger Baustein im Projekt „Schule trifft Rathaus“. „Die Schüler sollen nicht nur die Theorie kennenlernen, sondern wissen, wie man sich in der Kommunalpolitik einbringen kann“, erklärt Thomas Franke, der Fachreferent für „Politische Tage“der LPB. Nachdem seit den Kommunalwahlen 2014 schon 16-Jährige wählen dürfen, sei es zwingend notwendig, die jungen Wähler zu schulen.
Weingartens Oberbürgermeister ist sichtlich stolz, dass seine Stadt gerade dabei ist, einige der Schülerwünsche zu erfüllen: Sanierung der Schulen, Ausbau des Radwegenetzes, mehr Einkaufsmöglichkeiten in einem kommenden Quartier auf dem Schuler-Areal. Andere – Stichwort Skihalle – muss Ewald den Schülern abschlagen – auch das gehört zum Lernprozess für die Achtklässler.
„Es ist mir ein ganz großes Anliegen, jungen Menschen schon ganz früh die Rolle der Demokratie und der Kommune zu vermitteln. Das funktioniert auch am besten im Rathaus und nicht im Klassenzimmer“, sagt Markus Ewald. „Es ist auch wichtig, um die Scheu vor der Verwaltung zu verlieren.“
Die Idee, den Projekttag nach Weingarten zu holen, hatte Klassenlehrer Thomas Popp. Das Thema Kommunalpolitik steht bei den Achtklässlern im Lehrplan und die Schüler beginnen in diesem Alter auch, sich für Politik zu interessieren. Also hat Thomas Popp sich an die LPB gewandt und prompt den Zuschlag bekommen.
Der Projekttag ist sozusagen auf Testreise durch Südwürttemberg. Von Ulm über Weingarten geht es nun weiter nach Friedrichshafen, dann folgen Gastspiele in Balingen und Tübingen und im März sind dann noch einmal zwei achte Klassen in Weingarten an der Reihe. „Wenn der ,Politische Tag’ angenommen wird, weiten wir das aus“, sagt Thomas Franke.
Die Schüler ziehen jedenfalls mit. Ummad Ahmad ist 14 Jahre alt, Achtklässler und engagiert sich bereits im Jugendgemeinderat. „Wir haben heute gelernt, dass wir als Bürger schon sehr viel mitentscheiden können“, sagt er. Die Schüler machen mit, sie hören zu, sie wollen verstehen, welche Arbeit im ansonsten so fremden Rathaus erledigt wird, wie eine Verwaltung funktioniert, wer für was zuständig ist.
„Wenn ich irgendwo Nachrichten sehe und es um Politik geht, verstehe ich oft nicht, was da genau passiert“, sagt Ahmad. „Wenn es zum Beispiel um Merkel geht. Ich kenne die Person, aber ich weiß nicht, wie sie genau arbeitet. Heute haben wir einen Einblick bekommen, wie Demokratie und Politik wirklich funktionieren.“
Der Erfolg der Aktion, meint Klassenlehrer Popp, lässt sich weniger an Noten als vielmehr am Engagement der Schüler ablesen. An diesem Tag geht das schnell: Ein Schülerwunsch ist, Wände im Gymnasium bunt zu gestalten. „Wenn ihr die Wände selbst bemalt, stelle ich euch den Eimer Farbe hin“, schlägt Ewald vor – und das Gymnasium hat eine kleine, nun kommunalpolitisch bewanderte und engagierte Malerkolonne.