Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Strauß-Erben und das „Elfte Gebot“
Korruption in Bayern – und was Edmund Stoiber daraus gemacht hat
Von Michael Lehner
- Regensburgs SPDOberbürgermeister Joachim Wolbergs sitzt wegen des Verdachts der Untreue in Untersuchungshaft. Die Nation amüsiert sich mal wieder über die bayerische „Bananenrepublik“. Und erinnert dabei gern an Franz Josef Strauß, dem Korruption allerdings nie nachzuweisen war. Aber es gibt auch die These, dass Schmiergeldaffären in Bayern so häufig seien, weil dort besonders streng ermittelt werde.
Es macht Sinn bei selbigem Franz Josef Strauß zu beginnen. In fröhlichen Runden pflegte der langjährige CSU-Chef gern sein „Elftes Gebot“zu zitieren: „Du darfst dich nicht erwischen lassen!“Im Gefolge wurde meist tüchtig gelacht und die Leute sagten: „Ein Hund ist er schon.“Was in Bayern ein Ausdruck großer Hochachtung sein kann. So gesehen sind die Nachfolger des Partei-Übervaters eher Schoßhündchen. Was insbesondere für den glücklosen Ministerpräsidenten Max Streibl gilt, dem der Freistaat dennoch den Titel „Amigo-Land“verdankt.
Das kam so: Unter der Last von Bestechlichkeitsvorwürfen, die aus historischer Sicht eher wie Lappalien wirken, wagte Streibl einen Befreiungsschlag. Zum Passauer Politik-Aschermittwoch, einem Hochamt der bayerischen Meinungsfindung, rief er einen bis heute bemerkenswerten Satz in die voll besetzte Nibelungenhalle: „Saludos Amigos.“Der Saal tobte zu dieser Anspielung auf die Amigo-Schlagzeilen der Tagespresse. Aber zu retten war der Regierungschef aus Oberammergau längst nicht mehr.
Urlaubseinladungen offenbart
Streibls damaliger Innenminister, ein gewisser Edmund Stoiber, entschied sich zu einer Art medialer Selbstanzeige. Er offenbarte in einem Pressegespräch Urlaubseinladungen in Feriendomizile reicher Unternehmer. Aber das seien quasi Dienstreisen gewesen im Kielwasser des Franz Josef Strauß, dem Stoiber in jenen Jahren als CSU-Generalsekretär diente. Die Journalisten widersprachen nicht, als der Innenminister die rhetorische Frage stellte, wie Strauß reagiert hätte, hätte er sich solchen Einladungen widersetzt.
Zu den Gastgebern gehörte seinerzeit auch der niederbayerische Kurklinik-Unternehmer Eduard Zwick – in jenen Jahren Bayerns größter Steuerschuldner, Spezi von Strauß und Geschäftspartner des Finanzministers Gerold Tandler, der schon damals nebenher in Altötting eine der besten Hotelfachschulen der Republik betrieb. Auf wundersamen Wegen erfuhr die Öffentlichkeit, dass die Steuerschuld des Bäderkönigs auf ebenso wundersame Art von 71 auf 8,3 Millionen Mark ermäßigt wurde. Dann kam auch noch auf, dass Tandler bei Doktor Zwick mit 700 000 D-Mark in der Kreide stand. Damit war der Finanzminister aus dem Rennen um die Nachfolge von Max Streibl. Der selbst mal Finanzminister war und – schon im freien Fall – unverhohlen mit Enthüllungen aus seinen Akten drohte.
Im Gedächtnis bleibt von jenem Reinigungsprozess eine offene Frage des mittlerweile verstorbenen Max Streibl: „Freunde zu haben, ist das eine Schande bei uns in der CSU?“An seinem Ende hatten Parteifreunde sogar instrumentalisiert, dass er sich die Satellitenschüssel auf seinem Privathaus von der staatlichen Gesellschaft für neue Medien bezahlen ließ. Womit auch klar war, dass nach Franz Josef Strauß auch die Affären ein sehr viel kleineres Karo hatten.
Sieger der Schlammschlacht wurde schließlich Edmund Stoiber. Ihm ist zu verdanken, dass in Bayern fortan Regeln gelten, die auch im bundesweiten Vergleich eher puritanisch wirken. Der neue starke Mann offenbart ohne erkennbare Not, dass seine Vorgänger Strauß und Streibl als Testamentsvollstrecker einer oberfränkischen Versandhaus-Dynastie jährlich bis zu 300 000 Mark Honorar kassierten. Diese Tradition wolle er nicht fortsetzen, erklärte Stoiber und verordnete bayerischen Mandatsträgern eine weitreichende Abgabepflicht für Einkünfte aus allerlei Zubrot-Ämtern.
Rauschende Geburtstagsfeier
Nicht nur die direkten Strauß-Nachkommen haben dem neuen Saubermann solche Taten nie gänzlich verziehen. Obwohl er es nicht wagte, ein letztes, höchst lukratives Zubrot für kommunale Mandatsträger anzutasten: diverse Aufsichtsposten bei regionalen Geldinstituten. Der letzte große Aufreger-Fall auf solcher Grundlage machte bundesweit Schlagzeilen, als der Miesbacher CSU-Landrat Jakob Kreidl nicht nur eine rauschende, gut 100 000 Euro teure Geburtstagsfeier, sondern auch die Neumöblierung seines Dienstzimmers und eine jagdliche Schießanlage im benachbarten Tirol unter Einsatz von Sparkassenmitteln finanzierte.
Kreidl, dem die Bundeswehr-Universität wegen Plagiaten seinen Doktortitel absprach, steht irgendwie für den letzten großen Fall der AmigoÄra. Anderen Ereignissen aus dem bayerischen Politik-Establishment fehlt meistens der Glanz. Da lässt ein Bürgermeister einem örtlichen Verein auf Gemeindekosten für 20 000 Euro die Hofeinfahrt teeren. Da sichert sich ein anderer RathausChef ein zinsgünstiges 20 000-EuroDarlehen von einem örtlichen Bauträger. Und da nützten Abgeordnete von CSU und SPD Schlupflöcher, um das in der Stoiber-Zeit verhängte Verbot der Verwandtenbeschäftigung auf Steuerzahlers Kosten zu umgehen.
Wehmut begleitet den Saubermann-Wandel auch: Bis heute schwärmen auch eher progressive Journalisten von den CSU-Fraktionsreisen, für die der damalige Fraktionschef und Gourmet Gerold Tandler die Restaurants persönlich auswählte.
Irgendwie komisch kommen sich Medienleute auch vor, wenn Staatsbeamte die Einladung zu einem Arbeitsessen in gut bürgerlichen Häusern verweigern (müssen). Schon ein Blumenstrauß oder eine Pralinenschachtel gelten als Bestechung, wenn sie mehr als 20 Euro gekostet haben. Die Zeiten haben sich eben gewandelt. Und so wirken die 500 000 Euro Spenden, die Bauunternehmer angeblich als Gegenleistung für lukrative Aufträge an die Regensburger SPD überwiesen haben sollen, fast wie ein Zeichen von alter Größe.
Wenn auch nicht im Vergleich zu den Usancen in der freien FreistaatWirtschaft: Von den berüchtigten Runden beim „Huber-Wirt“im Münchner Vorort Eching, wo über Jahre millionenschwere Elektroaufträge der Stadt München unter einer Handvoll Kartellbrüdern verteilt wurden, unter Beteiligung leitender Mitarbeiter der Stadtverwaltung und des Hauses Siemens. Über Gerhard Gribkowsky, der als Vorstandsmitglied der Bayerischen Landesbank rund 44 Millionen Dollar Schmiergeld von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone für wunschgemäße Verwertung der Übertragungsrechte von Autorennen kassierte.
Verfahren in Athen
Bis zu den bizarren Prozessen um weltweite Bestechungsaktionen aus der Münchner Siemens-Zentrale, die sogar den früheren Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzenden Heinrich von Pierer zum Rücktritt zwangen. Ein Verfahren in Athen ist immer noch anhängig, den Griechen fehlt aber das Geld, den turmhohen Aktenberg übersetzen zu lassen. Da wirkt der Brandbrief, mit dem Bayerns Kultusminister die bayerischen Lehrer mahnte, ja kein FotografenBakschisch fürs jährliche Klassenfoto anzunehmen, schon ziemlich provinziell.
Im bundesweiten Korruptionsvergleich muss Bayern mittlerweile sogar mit dem zweiten Platz vorliebnehmen: Wie die „Welt“aus einem internen Papier des Bundeskriminalamts berichtete, gebührt der erste Platz Nordrhein-Westfalen, zumindest im Jahr 2013. Und Wissenschaftler stellen die durchaus nahe liegende Frage, ob die Zahlen dem Umstand geschuldet sein könnten, dass einige Bundesländer wie Bayern es bei Korruption und Vorteilsnahme besonders genau nehmen. Für den Freistaat eine nicht unbegründete Unschuldsvermutung, seit Edmund Stoiber das Amigo-Erbe mit einer Kampfansage antrat: „Wenn irgendetwas aufgeklärt werden muss, dann wird es aufgeklärt.“
Zustimmung erntete der bekennende FC Bayern-Fan seinerzeit auch von Bayern-Boss Uli Hoeneß. Der bekannte gegenüber Fanclub-Mitgliedern, dass er allenfalls mal ein paar Nürnberger Bratwürste aus eigener Produktion an Entscheidungsträger verschicke. Wie sagte Franz Josef Strauß sehr zutreffend: „Du darfst dich nicht erwischen lassen.“