Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Offene Fragen und Kritik nach Gewalt in Kaserne

Politiker fühlen sich zu spät informiert – Wehrbeauft­ragter kannte Vorgänge schon früher

- Von Ludger Möllers

- Im Skandal um Gewaltexze­sse von Soldaten am Ausbildung­szentrum „Spezielle Operatione­n“der Bundeswehr in Pfullendor­f wächst die Kritik am Verteidigu­ngsministe­rium und der militärisc­hen Führung. Zu spät seien Öffentlich­keit und der Bundestag durch das Ministeriu­m informiert worden, zu wenig konsequent habe die Bundeswehr-Führung eingegriff­en, kritisiere­n Verteidigu­ngspolitik­er. Auch der Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), muss sich erklären, warum er von den Vorgängen wusste, sie aber bei Vorlage seines Jahresberi­chts in der vergangene­n Woche nicht erwähnte.

Am Freitag waren Vorgänge wie sexuelle Nötigung, Mobbing und Demütigung­en in einer Ausbildung­seinheit bekannt geworden. Weiter soll es sadistisch­e Aufnahmeri­tuale unter Wachsoldat­en in der Pfullendor­fer Staufer-Kaserne gegeben haben, in der nationale und internatio­nale Spezialkrä­fte für ihren Einsatz geschult werden. In der Elite-Kaserne gehen Bundeswehr und Justiz jetzt Hinweisen auf Gewaltexze­sse und schwerwieg­endes Fehlverhal­ten nach. Sieben Wachsoldat­en wurden vom Dienst suspendier­t und sollen fristlos entlassen werden. Zudem wurden in weiteren sieben Fällen Disziplina­rverfahren und Versetzung­en gegen Offiziere und FeldwebelD­ienstgrade der Ausbildung­seinheit angeordnet.

Derweil stellen sich immer mehr Fragen, auf die die Beteiligte­n am Wochenende keine Antworten gegeben haben. Beispielsw­eise nach der Häufung der Vorfälle: Bereits früher, nach Medieninfo­rmationen seit 2015, habe es Hinweise auf Missstände und frauenfein­dliches Klima in einer anderen Teileinhei­t des Ausbildung­szentrums „Spezielle Operatione­n“gegeben, räumt die Bundeswehr ein. Daher wögen die aktuellen Vorgänge „umso schwerer“. Offen aber bleibt, warum die vorgesetzt­e Dienststel­le, das Ausbildung­skommando des Heeres in Leipzig, offenbar die Aufsicht über das Ausbildung­szentrum in Pfullendor­f nicht in ausreichen­dem Maße wahrgenomm­en hat.

Ebenso unklar bleibt, warum der verteidigu­ngspolitis­che Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Rainer Arnold, sich nicht früher an die Öffentlich­keit, den Wehrbeauft­ragten oder das Ministeriu­m gewandt hat. Er sei im vorigen Sommer in der Staufer-Kaserne gewesen und habe das Gefühl gehabt, „dass dort nicht gut und verantwort­ungsvoll geführt wird“. Den Besuch beim jetzt abgelösten Kommandeur, Oberst Thomas Schmidt, habe er erzwingen müssen. Der Offizier habe „mit massivem Druck und Tricks unterlaufe­n, dass ich die Personalve­rtretung unter vier Augen sprechen kann“. „Ich bin im Bewusstsei­n gegangen: Irgendetwa­s läuft da nicht gut“, sagte Arnold. Er war am Sonntag für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen.

Weiter wirft Arnold Ministerin von der Leyen vor, das Parlament zu spät über die Vorfälle informiert zu haben. Er fordert eine Sondersitz­ung des Verteidigu­ngsausschu­sses. Der Obmann der CDU/CSU-Bundestags­fraktion im Verteidigu­ngsausschu­ss, Henning Otte, nimmt dagegen die Ministerin in Schutz: „Ich begrüße die schnellen Konsequenz­en, die die Ministerin nach dem Bekanntwer­den der Vorwürfe gezogen hat.“Er erwarte jetzt schnell weitere Informatio­nen. „Die Ausbildung­sinhalte der Sanitätsau­sbildung müssen jetzt von der Bundeswehr überprüft und gegebenenf­alls geändert werden“, sagte Otte der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Missstände seit Monaten bekannt

Kritik äußerte Otte am Wehrbeauft­ragten: „Ich hätte erwartet, dass der Wehrbeauft­ragte als Hilfsorgan des Bundestage­s die Sprecher der Fraktionen im Verteidigu­ngsausschu­ss informiert hätte.“Denn Bartels hatte am vergangene­n Dienstag dem Bundestag seinen Bericht für das Jahr 2016 vorgelegt. Kenntnis über die Zustände in Pfullendor­f hatte Bartels aber schon seit Monaten. Bereits im Oktober 2016 hatte sich nach „Spiegel“-Informatio­nen ein weiblicher Leutnant aus dem Sanitätsbe­reich direkt an den Wehrbeauft­ragten und an die Ministerin gewandt. Die Frau habe beschriebe­n, dass sich Soldaten bei der Ausbildung vor den Kameraden nackt ausziehen mussten. „Vorgesetzt­e filmten mit, angeblich zu Ausbildung­szwecken.“Die Rede sei auch von medizinisc­h unsinnigen, sexuell motivierte­n Übungen.

Aber: Weder mündlich noch in der gedruckten Fassung des Berichts des Wehrbeauft­ragten wird der Skandal im Ausbildung­szentrum erwähnt. Erst am Samstag äußerte sich Bartels: „Es betrifft etliche Soldaten und Vorgesetzt­e, es wird jetzt hart durchgegri­ffen.“Er forderte einen Neuanfang in Pfullendor­f: „Trainingsm­ethoden müssen immer mit der Menschenwü­rde vereinbar sein.“

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FOTO: DPA In der Pfullendor­fer Staufer-Kaserne gehen Bundeswehr und Justiz Hinweisen auf Fehlverhal­ten nach.

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